19.04.2010

Kundus-Massaker
Skandal
Bundesanwaltschaft kneift

Der Krieg als Marionette Karlsruhe (LiZ). Die deutsche Bundesanwaltschaft hat das Ermittlungsverfahren wegen des Kundus-Massakers eingestellt. Daß dieses Verfahren so enden würde, zeichnete sich bereits ab, als lediglich gegen den vor Ort befehlhabenden Oberst Georg Klein und seinen Flugoffizier, jedoch nicht gegen die Bundesregierung ermittelt wurde.

Die Bundesanwaltschaft teilte heute, Montag, in Karlsruhe mit, im Falle des Kundus-Massakers sei weder gegen Vorschriften des Völkerstrafgesetzbuches noch gegen die Bestimmungen des Strafgesetzbuches verstoßen worden. Am 4. September 2009 wurden bei einer vom deutschen Oberst Klein befohlenen Bombardierung zweier entführter Tanklastzüge offenbar gezielt bis zu 178 Menschen - darunter eine große Anzahl ZivilistInnen und Kinder - ermordet. Bereits in den ersten Tagen nach dem Massaker hatte Oberst Klein in einem internen Bericht kundgetan, daß er mit der Bombardierung vier Taliban-Anführer "vernichten" wollte. Dies steht eindeutig im Zusammenhang mit einem Strategiewechsel der deutschen Bundesregierung, die nach dem Vorbild der USA und Israels Mitte 2009 ebenfalls "gezielte Liquidierungen" Verdächtiger als Option ihrer Kriegsführung einführte.

Nach anfänglichem Abstreiten hatte der damalige deutsche Kriegsminister Franz Josef Jung erstmals am Montag, 7. September 2009, eingeräumt, daß bei dem "Luftschlag" auch ZivilistInnen zum Opfer gefallen sein könnten. Dem ZDF gegenüber hob er allerdings am selben Tag darauf ab, "daß der überwiegende Anteil Taliban gewesen" seien.

Bis zum 6. November 2009 hatte Jungs Nachfolger als Kriegsminister, Karl-Theodor zu Guttenberg, die Bombardierung als "militärisch angemessen" bezeichnet. Am 26. November vollzog er nach der Veröffentlichung internen Bundeswehr-Materials einen abrupten Kurswechsel. Daß er das Kundus-Massaker nunmehr als "nicht militärisch angemessen" bezeichnet, kann zu Guttenberg jedoch bis heute nicht inhaltlich begründen. Bis heute vermag er nicht dazulegen, welche neuen Informationen ihn zu dieser Kehrtwende bewogen haben. Guttenberg behauptete lediglich, vom Generalinspekteur der Bundeswehr Wolfgang Schneiderhan und von Staatssekretär Peter Wichert nicht ausreichend informiert worden zu sein. Diese mußten als Bauernopfer den Dienst quittieren.

Am 27. November trat nach großem öffentlichem Druck auch Guttenbergs Vorgänger Jung, der nach der Bundestagswahl als Arbeits- und Sozialminister amtierte, zurück. Offenbar will Bundeskanzlerin Angela Merkel an ihrem smarten Medienliebling, der laut Umfragen nach wie vor das am wenigsten unbeliebte Mitglied ihres Kabinetts zu sein scheint, unbedingt festhalten. Sollten die wahren Hintergründe des Kundus-Massakers publik werden, könnte ein Rücktritt Guttenbergs auch ihre Stellung ins Schwanken bringen.

Daß die deutsche Bundesanwaltschaft mit der Einstellung des Ermittlungsverfahrens kneift und den Konflikt mit der Bundesregierung scheut, ist angesichts der bislang vorliegenden Fakten skandalös: Bundeswehr und Bundesregierung hatten in der Öffentlichkeit zunächst behauptet, mit der Bombardierung der im Kundus-Fluß festgefahrenen Tanklaster sei es Oberst Klein um die Abwendung einer akuten Gefahr für das nur wenige Kilometer entfernte Bundeswehr-Lager in Kundus gegangen. Er habe befürchtet, die entführten Tanklaster könnten "als rollende Bombe" gegen das Lager eingesetzt werden. Nun ist allerdings an Hand der Fakten klar, daß eine solche Gefahr wegen der Entfernung und der Immobilität der Tanklaster nicht gegeben war. Sowohl die Entfernung als auch die Tatsache, daß die Tanklaster unbeweglich feststeckten, waren Oberst Klein hinreichend lange vor der befohlenen Bombardierung bekannt.

Als Motiv für die Tat bleibt also allein die von ihm selbst schriftlich niedergelegte Aussage, er habe vier bei den Tanklastern vermutete Aufständische "vernichten" wollen. Hierbei ist abgesehen von ethischen Überlegungen festzuhalten, daß auch im Krieg oder bei einem offiziell nach wie vor nicht als Krieg definierten Bundeswehr-Einsatz außerhalb eines direkten Schußwechsels, einer Notwehrsituation oder "putativer" Notwehr nicht willkürlich auf Verdächtige geschossen werden oder auf diese Bomben abgeworfen werden darf. Mit der offenbar klammheimlich eingeführten Option der "gezielten Liquidierung" von Verdächtigen setzen sich die deutsche Bundesregierung und Bundeswehr über einen bislang allgemein anerkannten zivilisatorischen Grundkonsens hinweg, wonach die Funktionen von Ankläger, Richter und Henker nicht in einer Hand liegen dürfen.

Eine weitere unbestreitbare Tatsache, die von der deutschen Bundesanwaltschaft offenbar ignoriert wurde, ist, daß Oberst Klein die US-amerikanischen Bomberpiloten unter Vorspiegelung einer "unmittelbaren Bedrohung" zum Abwurf der Bomben veranlaßte. Unbedingte Voraussetzung für den Einsatz der beiden US-amerikanischen F-15-Kampfflugzeuge (Close Air Support) war der Fall einer unmittelbaren Bedrohung deutscher Soldaten. Dieser lag unbestreitbar nicht vor und Oberst Klein löste daher die Bombardierung aus, indem er die US-Piloten entgegen besseren Wissens falsch informierte.

Nicht unerheblich sind in diesem Zusammenhang die Aussagen der US-Piloten. Oberst Klein habe ihre fünf mal gestellte Frage, ob sie statt einer Bombardierung die Tanklaster im Tiefflug überfliegen sollten, um die Menschenmenge zu zerstreuen, verneint. Zudem habe er zunächst auf dem Abwurf von sechs Bomben bestanden. Die US-Piloten erachteten statt dessen zwei Bomben für ausreichend und erklärten Oberst Klein kurz und bündig: "This is not going to happen" (Dies wird nicht geschehen"). Statt der angeforderten sechs Bomben warfen sie zwei Bomben ab, mit denen offenbar alle um die Tanklaster versammelten Menschen ermordet werden konnten.

Bis heute ist ungeklärt, welche Informationen zu welchem Zeitpunkt der deutschen Bundesregierung vorlagen. Der damalige "rote" Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier behauptet beispielsweise, daß der Feldjägerbericht zum Hergang des Angriffs, der bereits vor dem 7. September vorlag und in dem von zivilen Opfern die Rede ist, dem Auswärtigen Amt erst am 27. November zugestellt worden sei. Mittlerweile sickerte die Information durch, daß die der Parlamentskontrolle entzogene Killer-Truppe KSK maßgeblich an den Entscheidungen beteiligt war, die in der Nacht vom 3. auf 4. September zum Kundus-Massaker führten. Bei der KSK waren Infomationen eingegangen, wonach sich an den Tanklastern Anführer der Aufständischen befänden. Mittlerweile wurde bekannt, daß eine Liste von afghanischen Staatsbürgern existiert, deren Namen entweder mit einem c für "capture", gefangen nehmen, oder mit einem k für "kill", also töten, markiert sind. Dies alles deutet darauf hin, daß auch die Bundesregierung bereits in den Stunden vor dem Abwurf der Bomben über die Lage informiert war und Oberst Klein von oben "grünes Licht" für seine Befehle bekam.

Unmittelbar nach dem Massaker wurde zweimal hintereinander der verantwortliche Brigadegeneral für das deutsche Einsatzkontingent in Afghanistan ausgewechselt. Ende November übernahm General Leidenberger den Posten. (Siehe unseren Artikel v. 6.12.09) Leidenberger zeichnet sich vor allem dadurch aus, daß er jahrelang als Führungsoffizier beim Bundesnachrichtendienst (BND) gearbeitet hat. Auch dies deutet darauf hin, daß Informationen über die Vorgänge die zum Kundus-Massaker führten, geheim gehalten werden sollen.

Mittlerweile wurde zudem bekannt, daß eine beim Bundesnachrichtendienst angesiedelte Abteilung, Organistaion 85, am 9. September von der Bundesregierung mit der Aufgabe betraut wurde, die NATO-Ermittlungen zur Rolle der deutschen Bundesregierung beim Kundus-Massaker zu behindern und die Bundesanwaltschaft mit Fehlinformationen zu manipulieren. Seitdem wird alles dafür getan, den genauen Hergang der mehrstündigen Vorbereitung und die Befehlsstränge, die zum Kundus-Massaker führten, gezielt zu vernebeln.

Entgegen aller zum gegenwärtigen Zeitpunkt vorliegenden Informationen begründet die Bundesanwaltschaft ihre Entscheidung damit, Oberst Klein und sein Flugoffizier hätten nicht wissen können, daß sich zum Zeitpunkt des Luftangriffs ZivilistInnen auf der Sandbank des Kundus-Flusses aufhielten. Das hieße, daß die große Zahl von Menschen, die nachweislich vor dem Abwurf der Bomben auf den Sichtgeräten im Bundeswehr-Lager für Oberst Klein erkennbar waren, als eine Ansammlung von Aufständischen hätte angesehen werden können. So heißt es von der Bundesanwaltschaft heute: "Vielmehr konnten sie nach gewissenhafter und immer wieder aktualisierter Prüfung aller ihnen zum Geschehensablauf bekannten Fakten und Umstände annehmen, daß ausschließlich Aufständische vor Ort waren." Dies ist völlig absurd.

 

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Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Kundus-Massaker: Organisation 85
      versucht zu vernebeln (19.03.10)

      Kundus-Massaker:
      Im Bundeskanzleramt geplant? (24.02.10)

      Kundus-Massaker: Die Lügen des Oberst Klein
      Wie lange kann sich zu Guttenberg noch halten?
      (17.01.10)

      Kundus-Massaker: Weiteres Material sickert durch
      Oberst Klein wollte 4 Taliban-Anführer "vernichten"
      (13.12.09)

      Kundus-Massaker: Killertruppe KSK beteiligt
      Guttenberg trägt nichts zur Aufklärung bei (10.12.09)

      Kundus-Massaker: US-Bomberpiloten fragten 5 mal
      wegen Tiefflügen
      Oberst Klein behauptete "Feindberührung" (6.12.09)

      Kundus-Massaker: Jung zurückgetreten
      - Aufklärung gestoppt? (28.11.09)

      Wird das Bundeswehr-Massaker von Kundus
      jetzt aufgeklärt?
      Der Generalinspekteur der Bundeswehr
      und ein Staatssekretär traten heute zurück (26.11.09)

      Massaker in Afghanistan?
      Regelverletzung bei Bombardierung? (10.09.09)

      Afghanistan-Krieg: ZivilistInnen getötet
      bei Bombardierung zweier Tanklaster? (7.09.09)