7.11.2010

50.000 in Dannenberg
Auftakt zum CASTOR-Protest im Wendland

Auftaktkundgebung in Dannenberg, 6.11.2010 Dannenberg (LiZ). Am Freitag war der CASTOR-Zug in Frankreich gestartet. Zum zwölften Mal soll in diesem Jahr hochradioaktiver Atommüll ins wendländische Gorleben transportiert werden, eine Service-Leistung für die Atom-Konzerne, die einer Demokratie Hohn spricht. Bei der Auftaktkundgebung zum Protest gegen diese Service-Leistung kamen am Samstag in Dannenberg 50.000 Menschen zusammen. Dies ist seit dem Treck nach Hannover im Jahr 1979, an dem 100.000 Menschen teilnahmen, die höchste Beteiligung bei einer Gorleben-Kundgebung. Viele wollen diesmal in den kommenden Tagen im Wendland bleiben und sich an Blockaden des CASTOR-Transports oder am "Schottern" beteiligen.

Die ersten von insgesamt mehr als 400 Bussen aus ganz Deutschland kamen bereits im Laufe des Vormittags im wendländischen Dannenberg an, so daß sich der von Info-Zelten eingerahmte Acker allmählich füllte. Bereits vor Beginn der Kundgebung wurde ein neuartiges Programm geboten, bei dem sich Musik- und Redebeiträge abwechseln und der "kulturelle Teil" nicht nur die Funktion einer "Umrahmung" erfüllt. So setzen etwa die 'Lüneburger Schrott-TrommlerInnen' in nahezu orchestraler Stärke die Tradition der Samba-Gruppen fort, die mittlerweile auf kaum einer Demo fehlen dürfen. Ein kabarettistischer Beitrag von Willem Wittstamm schießt ein Feuerwerk satirischer Pointen ab. Nach dem Vorbild esoterischer Traumreisen fordert er das Publikum auf die Augen zu schließen. "Wir befinden uns in einem Airbus A 380 - herrliche Landschaften unter uns - Ansage des Flugkapitäns: »Kann mal eben jemand aussteigen und die Landebahn bauen?« - Nun ja, warum soll's uns im Flugzeug besser gehen als mit der Atomenergie..."

Kurz vor 13 Uhr verkündet Kerstin Rudeck, Vorsitzende der BI Umweltschutz Lüchow Dannenberg, daß der CASTOR-Zug gerade beim Städtchen Berg in der Südpfalz gestoppt werden konnte - riesiger Beifall. Und nur zwei Minuten vor Beginn der Kundgebung bricht die Sonne durch die Wolken und strahlt mit tausenden Anti-AKW-Sonnen auf Fahnen und Transparenten um die Wette.

Auftaktkundgebung in Dannenberg, 6.11.2010

Zu Beginn der Auftaktkundgebung erinnert Dieter Seifert von 'Robin Wood' an den kürzlich gestorbenen Präsidenten von Eurosolar und Bundestagsabgeordneten Hermann Scheer, der sich immer glaubwürdig für den Ausbau der erneuerbaren Energien einsetzte. Die Versammlung legt eine einminütige Gedenkminute ein.

In ihrem Redebeitrag hebt Kerstin Rudeck auf die Horrormeldungen der vergangenen Jahre über das sogenannte Versuchsendlager Asse II ab: "Aus Asse zu lernen, heißt Gorleben stoppen!" Und unter Hinweis auf die Auswahl des Gorlebener Salzstocks als Endlager für hochradioaktiven Müll, den von der Politik auf GutachterInnen und WissenschaftlerInnen ausgeübten Druck und die von Grenpeace veröffentlichten Dokumente erklärt Rudeck: "Wir wurden all die Jahre belogen und betrogen." Sie fordert: "Alle Atomanlagen abschalten - und zwar sofort!" Der Applaus macht deutlich, daß die Mehrzahl der Versammelten sich nicht erneut auf einen "rot-grünen" Atom-Ausstieg am Sankt-Nimmerleinstag einlassen würde. "Abschalten, abschalten," schallt minutenlang über den Acker. Rudeck bittet die Menschen: "Bleibt auch die kommenden Tage im Wendland."

Kumi Naidoo, Direktor von Greenpeace International, solidarisiert sich in seiner Rede mit dem wendländischen Widerstand gegen das Endlager-Projekt. Besonders großen Beifall erhält er, als er die Nachricht übermittelt, daß zwei Greenpeace-AktivistInnen in Süddeutschland den CASTOR-Zug gestoppt haben. Seine in englischer Sprache gehaltene Rede würzt er gelegentlich mit deutschen Sätzen, "Atommüll ist unmoralisch, unklug und gefährlich" und er schließt mit den Worten: "Ich bin ein Wendländer."

Vom Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) wurde Annelie Buntenbach nach Dannenberg entsandt, um dessen Grüße auszurichten. In ihrer Rede hebt sie immer wieder darauf ab, daß nun ein "Signal nach Berlin" gehe (als ob dort die Entscheidungen getroffen würden). Ihr am Mainstream orientiertes Politikverständnis wird auch deutlich, als sie von "Laufzeitverlängerungen" spricht. Sie beschwört die Solidarität zwischen Gewerkschaften und Anti-Atom-Bewegung, obwohl gerade gleichzeitig eine Demo des DGB in Hannover stattfindet, bei der rund 15.000 Menschen teilnehmen. Daß auch Buntenbach die Sichtweise teilt, der "Atom-Ausstieg" des Jahres 2000 habe Deutschland befriedet, wird offensichtlich, als sie "Schwarz-Gelb" dafür kritisiert, "mit den Laufzeitverlängerungen Spaltung und Unfrieden" zu provozieren.

Gegen 14 Uhr wird der Reden-Marathon von Rainer von Vielen und seiner Band unterbrochen. Die MusikerInnen aus dem Allgäu bringen die Menschen mit ihrer Indie-Musik zum Tanzen. Rainer kann allein mit seiner Stimme tönen wie ein australisches Didgeridoo, zudem produziert er intelligente politische Texte.

Leider ist damit schon nach wenigen Minuten wieder Schluß. Doch die Nachricht, daß im Süden der Pfalz, beim Örtchen Berg über 1000 Menschen auf den Schienen sind, um den CASTOR zu blockieren, löst Jubel aus: "Leute sind im Gleisbett einbetoniert. Der CASTOR bewegt sich im Rückwärtsgang."

Zwei junge Männer von der 'Bäuerlichen Notgemeinschaft', Claas und Keit Chochlowitz, betreten die Bühne und sprechen abwechselnd einige Sätze, die umgehend mit Beifall quittiert werden. 600 Trecker stehen am Rande der Auftaktkundgebung - und es gebe "wohlgemerkt!" nur 600 landwirtschaftliche Betriebe im Landkreis. Und: "150 Trecker haben sich gerade eben in Splietau auf der Straße ineinander verkeilt."

Mittlerweile sind auch die ZählerInnen zu einem Ergebnis gekommen: 50.000 Menschen stehen auf dem Acker. Die Straßen sind bis nach Lüneburg und bis nach Ülzen mit Autos verstopft. Allein mit über 400 Bussen kamen rund 20.000 Menschen ins Wendland.

Für die BlockiererInnen von 'X-1000mal quer' spricht Luise Neumann-Cosel. Ihr Beitrag richtet sich - ob rhetorisch oder ernsthaft - immer wieder an die "Regierenden in Berlin". Sie endet mit dem Ausruf: "Hört auf mit diesem Wahnsinn!" Ob sich die ErfüllungsgehilfInnen der Atom-Industrie wie etwa Angela Merkel davon beeindrucken lassen, darf bezweifelt werden.

Gegen 14:40 Uhr treten Bela B., der Sänger des 'Ärtze' und Rocko Schamoni zusammen auf. Bela B. erklärt: "Es gibt in diesem Land nur noch eine Minderheit, die Atomstrom will. Ich will mit hier dabei sein, weil ein Zeichen gegen die Atompolitik gesetzt wird." Die beiden singen - "atomstromfrei!" - zu ihren akustischen Gitarren zwei Songs. In den Texten lassen sie keinen Zweifel an ihrer Ablehnung der CASTOR-Transporte.

Unmittelbar darauf treten LeFly aus St. Pauli auf. Die beiden HipHoper mit ihrer Band bringen mit ironisch gebrochenem Animationsgehabe und den tanzbaren Rhythmen die Menschenmenge zum Kochen. Um 15:23 Uhr unterbricht die gruselige Nachricht den Auftritt, wonach der CASTOR ohne jede Rücksicht durch Straßbourg transportiert wurde und nun auf der deutschen Seite in Kehl steht.

Martin Lemke, Republikanischer AnwältInnen Verein (RAV) gibt einige wichtige Informationen durch, so etwa die Telefonnummer des Ermittlungsausschusses, der angerufen werden kann, wenn bei Blockade- oder Schotter-Aktionen rechtlicher Beistand nötig wird. Etliche Mitglieder des RAV seien in den kommenden Tagen im Wendland unterwegs, um etwaige widerrechtliche Übergriffe der Polizei - wie in den vergangenen Jahren nicht selten - zu dokumentieren und anschließend gerichtlich verfolgen zu können.

Michael Wilk, Arzt aus Hessen und Sprecher des AK Umwelt Wiesbaden geht in seinem Redebeitrag auf die in den Mainstream-Medien in den vergangenen Tagen verbreiteten Prognosen zunehmend gewalttätiger CASTOR-Proteste ein: Nicht der CASTOR-Protest untergrabe die demokratische Ordnung, sondern der Betrieb von Atomanlagen. Wilk wiederholt seine Äußerung von April dieses Jahres bei der Groß-Demo in Biblis, für die er in Teilen der Medien heftig kritisiert wurde: "Der Betrieb von Atomkraftwerken ist Körperverletzung." Kriminell seien nicht die Menschen, die sich diesem Irrsinn in den Weg stellen, sondern diejenigen, die AKW betreiben und die politisch den ungestörten Betrieb abzusichern versuchen. Klare Worte richtet Wilk auch an die TeilnehmerInnen der Demo, die sich mit Fahnen und Transparenten als AnhängerInnen der pseudo-grünen Partei zu erkennen geben: Er heißt sie ausdrücklich willkommen, wenn sie in die Reihen der Anti-AKW-Bewegung zurückkehren. Sie sollten doch aber bitte ihre FunktionärInnen bremsen. "Diese glauben offenbar, sie könnten sich jetzt wieder als Speerspitze der Anti-AKW-Bewegung präsentieren. Leute, haltet den Ball flach!" Wilk sagt klar: "Der Atom-Ausstieg aus rot-grüner Zeit war ein fauler Kompromiss." Dieser habe nur der Atom-Industrie genutzt.

Zum Schluß tritt Iries Révoltés auf. Sie sind vielen von ihrem Auftritt in Heiligendamm bekannt. Immer mehr junge Menschen kommen im Raum vor der Bühne in Bewegung...

 

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Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Aufruf von KünstlerInnen
      zum CASTOR-Protest ab 6. November (29.10.10)

      Klage erfolgreich
      Vorläufiger Stop des Gorleben-Ausbaus (22.10.10)

      Gorleben-Widerstand
      Protest gegen Polizei-Willkür (4.10.10)

      Gorleben-CASTOR vermutlich ab 5. November
      Auftakt-Demo terminiert (16.09.10)

      Akten über Explosion im Jahr 1969
      Erdgas unter Gorleben (13.09.10)

      Merkels Atom-Gipfel
      Schwarz-gelbe Bestandsgarantie bis 2013 (6.09.10)

      Weiterer Erfolg des Gorleben-Widerstands:
      Verwaltungsgericht Lüneburg stoppt Datensammlung
      (4.09.10)

      CASTOR-GegnerInnen siegen
      vor Bundesverfassungsgericht (26.08.10)

      CASTOR im November
      Erste Vorbereitungen (20.07.10)

      Unsinniger CASTOR-Transport
      von Hamburg nach Südfrankreich (15.06.10)

      CASTOR nach Gorleben genehmigt
      Widerstand angekündigt (3.05.10)

      Der Endlager-Schwindel
      Greenpeace veröffentlicht Akten zu Gorleben (13.04.10)

      Protest gegen Atommüll-Transport nach Rußland
      Greenpeace-Aktion in der Nordsee (10.04.10)

      In Asse II wird probegebohrt
      Weitere Zeitverzögerung vor der Rückholung (27.03.10)

      Atomenergie ist sicher?
      Autobahnpolizei stoppt Horror-Transport (11.03.10)

      Atommüll-Transporte
      Glaskokillen nicht stabil (5.02.10)

      Einsturzgefahr im "Versuchs-Endlager" Asse II
      Atommüll wird rückgeholt (15.01.10)

      Endlager-Standort Gorleben
      Bei der Auswahl spielte Geologie kaum eine Rolle
      (10.01.10)

      Atom-Ausstieg selber machen!

      Der deutsche "Atom-Ausstieg"
      Folge 2 der Info-Serie Atomenergie

      Das ungelöste Problem der Endlagerung
      Info-Serie Atomenergie - Folge 12

      Info-Serie Energiewende
      Folge 1