Gorleben (LiZ).
Eine deutsch-amerikanische Forschungsgruppe warnt davor, daß Glaskokillen, die mit hochradioaktivem Müll befüllt sind, unter bestimmten Bedingungen bersten können. Radioaktivität kann dann in die Umwelt gelangen. Die WissenschaftlerInnen erheben im Fachmagazin 'Angewandte Chemie' Zweifel an den bei Transport und Lagerung von hochradioaktivem Material eingesetzten Techniken.
Wie die ForscherInnen herausgefunden haben, kann das für die Herstellung von Transportsystemen von Atommüll-Behältern eingesetzte Borat-Glas bei der Berührung mit Wasser instabil werden. Es besteht ein nicht unbeträchtliches Risiko, daß eine ganze Reihe gefährlicher Substanzen entstehen, die das Glas bröckeln lassen. Nach Aussage der WissenschaftlerInnen handele es sich dabei um chemische Verbindungen, die aus der Natur bislang nicht bekannt sind. Unter Laborbedingungen ließen sich verschiedene Borat-Verbindungen mit Uran, Neptunium und Plutonium nachweisen. Diese sogenannten Aktinoide sind allesamt Bestandteile des Atommülls. Sie können daher für die Stabilität des Glases schwerwiegenden Folgen haben. Wird Atommüll aus geborstenen Atommüll-Behältern freigesetzt, besteht die Gefahr, daß er vom Wasser ausgeschwemmt wird und in die Umwelt gelangt. Besonders große Sorgen macht den ForscherInnen das radioaktive Isotop Neptunium-237, das über eine Halbwertzeit von mehr als zwei Millionen Jahren verfügt.
Glaskokillen sollen zwar in der Regel in Gußeisen- oder Stahl-Behältern eingeschlossen werden. Wie lange jedoch ein solcher Behälter darin enthaltenen geborstenen Glaskokillen mit Atommüll standhält, ist bislang ungeklärt. Je nach Aggressivität der Korrosion kann ein solcher Behälter bereits nach rund tausend Jahren undicht werden, wie das Institut für Sicherheitstechnologie (ISTec) aus Köln im vergangenen Jahr ermittelt hat.
Die heute eingesetzten CASTOR-Behälter werden mit Glaskokillen mit einem Gewicht von jeweils rund 400 Kilogramm beladen. Diese sind aufgrund des darin enthaltenen wärmenetwickelnden Atommülls an der Oberfläche bis zu 180 Grad heiß. Die sogenannten HAW-Kokillen sollen Atommüll für mehrere Millionen Jahre sicher einschließen können. Bis zu 28 dieser Kokillen passen in einen CASTOR-Behälter. Da diese Transport-Behälter zu groß sind, um sie in ein unterirdisches Endlager absenken zu können, sollen die Glaskokillen vor der "Endlagerung" nochmals in kleine POLLUX-Behälter umgeladen werden.
Aus den fälschlich als Wiederaufarbeitungsanlagen bezeichneten Plutoniumfabriken in La Hague (Frankreich) und Sellafield (Großbritannien) wird Atommüll immer wieder - meist Anfang November - in das oberirdische "Zwischenlager" Gorleben transportiert. Dort müssen sie zunächst abkühlen, bevor die Glaskokillen umgeladen werden können.
Das Bundesamt für Strahlenschutz hat kürzlich einen neuen CASTOR-Behälter vom Typ HAW28M genehmigt. Auch vor dieser Genehmigung wurden keine realistischen Falltests vorgenommen. Im Herbst dieses Jahres ist erneut damit zu rechnen, daß 11 CASTOR-Behälter mit hochradioaktivem Müll aus der Plutoniumfabrik La Hague ins "Zwischenlager" Gorleben transportiert werden. Dort stehen bereits 91 solche Behälter. Weltweit gibt es nach wie vor kein Endlager für hochradioaktiven Müll.
Die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow Dannenberg - eine der langjährigen tragenden Säulen des Widerstands im Wendland gegen ein Endlager Gorleben - weist darauf hin, daß mittlerweile die behälterlose Einlagerung von Glaskokillen im Salzstock Gorleben vorgesehen sei, da das Umfüllen in die vorgesehenen POLLUX-Behälter auf unlösbare technische Probleme stieß. Allein schon die Aussicht auf 500 Jahre Sicherheit durch die technische Barriere "Behälter" sei eine zweifelhafte Angelegenheit. Die mit der Erforschung der Einlagerung von hochradioaktivem Müll beauftragte Deutsche Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern (DBE) erprobt nach Informationen der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow Dannenberg derzeit eine behälterlose Einlagerung. Doch aus den Erfahrungen mit Wassereinbrüchen beim "Versuchs-Endlager" Asse II ist hinlänglich bekannt, daß ein unterirdischer Salzstock keine Gewähr für eine trockene Endlagerung bietet.
Mittlerweile wurde auch bekannt, daß die DBE in ihrer Versuchsanlage in Landsbergen/Weser, einem alten Kohlekraftwerk, Versuche mit dem Hantieren von sogenannten BSK-3-Kokillen durchführt. Ursprünglich war vorgesehen, die CASTOR-Behälter nach einer mindestens zehnjährigen Abkühl-Zeit in der Pilot Konditionierungsanlage (PKA) Gorleben zu entladen. Die Glaskokillen mit dem hochradioaktiven Inventar sollten dabei in kleinere POLLUX-Behälter umgepackt werden. Nur diese kleineren Behälter können im Schacht in den unterirdischen Salzstock abgesenkt werden. Die dickwandigen POLLUX-Behälter galten als erste Barriere in einem Mehrbarrieren-Konzept bei der Endlagerung radioaktiver Abfälle. Nun sollen jedoch nach Informationen der Bürgerinitiative lediglich Abschirmungen beim Hantieren mit den BSK-3-Kokillen verwandt werden, um die Strahlenbelastung des Personals zu minimieren - auf Gußeisen- oder Stahl-Behälter würde verzichtet. Die Bürgerinitiative ruft daher dazu auf: "Der geplante CASTOR-Transport nach Gorleben muß gestoppt werden und wird deshalb auch die Gerichte beschäftigen. Hier wird offensichtlich, daß die Endstation ein Zwischenlager ist, wenn die Kokillen gar nicht endlagerfähig sind."
Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) sieht jedoch durch die neuen Forschungsergebnisse "keinen Handlungsbedarf".
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Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel zum Thema:
Einsturzgefahr im "Versuchs-Endlager" Asse II
Atommüll wird rückgeholt (15.01.10)
Endlager-Standort Gorleben
Bei der Auswahl spielte Geologie kaum eine Rolle
(10.01.10)