24.05.2011

Fukushima:
Der permanente Super-GAU
TEPCO bestätigt Kernschmelze in 3 Reaktoren

AKW Fukushima Daiichi, Cryptome 14, verkleinert Tokio (LiZ). Der japanische AKW-Betreiber TEPCO bestätigte, daß es in den Reaktoren I bis III des Atomkraftwerks Fukushima Daiichi zur Kernschmelze gekommen ist. ExpertInnen hatten dies längst vermutet. Es muß damit gerechnet werden, daß aus den Ruinen noch monatelang Radioaktivität entweicht.

Weiterhin jedoch werden von TEPCO entscheidende Meßwerte zurückgehalten, die Aufschluß darüber geben könnten, ob und wieviel der Kernschmelze bereits den Boden der Reaktor-Druckbehälter durchbrochen hat. Radioaktivitätswerte, die im Grundwasser naher Ortschaften gemessen wurden, lassen jedoch darauf schließen, daß die Kernschmelze längst das Grundwasser unter dem AKW Fukushima Daiichi erreicht hat. Hierüber berichtete die US-amerikanische Tageszeitung 'Washington Post' bereits am 12. Mai. Beim Auftreffen der extrem heißen Kernschmelze auf das Grundwasser kann es darüber hinaus zu verheerenden Explosionen kommen. Dabei können erneut große Mengen an Radioaktivität in die Atmosphäre gelangen.

TEPCO-Sprecher Aya Omura teilte mit, es sei aufgrund der eigenen Untersuchungen wahrscheinlich, daß in den Reaktoren II und III der größte Teil der Brennstäbe bereits 60 bis 100 Stunden nach dem Beben am 11. März geschmolzen und auf den Boden der Reaktordruckbehälter gelaufen sein. Bislang hatte TEPCO lediglich eine Kernschmelze in Reaktor I eingeräumt. Die Temperaturen an den Reaktordruckbehältern deuteten aber darauf hin, daß es durch die Einleitung von Wasser gelungen sei, die Kernschmelzmasse zu kühlen und stabil zu halten, berichtet die Nachrichtenagentur Kyodo unter Berufung auf TEPCO. Wegen der Nachzerfallswärme muß die Kernschmelze - sofern sie sich überhaupt noch im Reaktordruckbehälter befindet - noch für drei bis vier Jahre gekühlt werden. Solange besteht die Gefahr, daß sich die Masse durch den Boden des Reaktordruckbehälters frißt.

Entgegen einer ganzen Reihe heute vorliegender Indizien behautete TEPCO lange Zeit, die Kernschmelze sei nicht auf die Einwirkung des Erdbebens, sondern erst durch den Ausfall der Notkühlung beim Hereinbrechen des Tsunami verursacht worden. Vor einer Woche kam ein internes TEPCO-Gutachten zu Tage, wonach die Katastrophe bei Reaktor I bereits durch das Erdbeben verursacht worden war. Heute folgte nun das Eingeständnis, daß es auch in den Reaktoren II und III zur Kernschmelze gekommen ist.

Aus dem internen TEPCO-Gutachten geht hervor, daß in Reaktor I bereits fünf Stunden nach dem Erdbeben die Kernschmelze begonnen habe. Diese Zeitangabe ist relevant, weil durch sie belegt wird, daß TEPCO die Öffentlichkeit in die Irre führte, als das Unternehmen behauptete, die Reaktoren seien erdbebensicher und nur der unberechenbare Tsunami habe die Kühlung des Reaktors zerstört und damit die Notsysteme ausgeschaltet. Aufgrund dieser Informationen sind zwei Szenarien denkbar: Es ist möglich, daß die Kernschmelze am Boden des Reaktordruckbehölters noch von Wasser umgeben war und so trotz ausgefallener Kühlwasser-Zufuhr nicht übermäßig heiß wurde. Das andere Szenario besagt, daß sich die Kernschmelzmasse weiter erhitzte und den Boden des Behälters durchbrochen hat.

Da mittlerweile die Desinformationspolitik, die TEPCO in den vergangenen zwei Monaten betrieb, offenkundig ist, kommt die japanische Regierung nicht mehr umhin, ein unabhängiges Gremium zur Untersuchung der Reaktor-Katastrophe einzusetzen. Industrieminister Banri Kaieda teilte mit, daß eine zehnköpfige Kommission gebildet werde, der neben Nuklear-ExpertInnen auch JuristInnen angehören würden und die bereits Ende des Monats mit der Arbeit beginnen soll.

Nach Angaben der deutschen Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) ist in Reaktor II in den ersten drei Tagen nach dem Erdbeben durch den Ausfall des gesamten Notkühlsystems das Kühlwasser im Reaktordruckbehälter stark gefallen. TEPCO habe daraufhin versucht, mit einer Feuerlöschpumpe Wasser in den Reaktordruckbehälter einzuspeisen. Die Flüssigkeits-Zufuhr sei jedoch nicht groß genug gewesen, um eine Freilegung der Brennelemente und damit ihr Schmelzen zu verhindern: "Es kam durch die mangelhafte Kühlung der Brennelemente zum Aufheizen der Brennelemente und dadurch zu einem Kernschmelzen der meisten Brennelemente," heißt es im heutigen GRS-Report. Die Kernschmelze habe sich bereits am 15. März gegen 20 Uhr Ortszeit am Boden des Reaktordruckbehälters angesammelt, "das heißt 101 Stunden bzw. vier Tage nach dem Erdbeben." Im Reaktor III ereignete sich die Kernschmelze den GRS-Angaben zufolge am 14. März gegen 3 Uhr nachts.

Weiterhin äußerst problematisch ist die Situation der infolge von Wasserstoff-Explosionen freigelegten Abklingbecken. Außer in den Blöcken I bis III betrifft dies auch das Abklingbecken von Block IV. Die abgebrannten Brennelemente in diesem Ablingbecken waren vermutlich über Tage nicht gekühlt. Ohne permanente Kühlung droht auch hier wegen der über viele Jahre hin anhaltenden Nachzerfallswärme eine Kernschmelze. Ob und wie viele der dortigen Brennelemente geschmolzen sind, hält TEPCO weiterhin geheim. Da sich das Abklingbecken bei der japanischen Konstruktion des Reaktorgebäudes im fünften Stock befindet, muß das beschädigte und einsturzgefährdete Gebäude dringend stabilisiert werden. Bei jedem weiteren Erdbeben besteht die Gefahr, daß das Becken bisrst und erneut große Mengen an Radioaktivität freigesetzt werden.

 

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Anmerkungen

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