18.11.2013

Gefährliche Bergung der Brennelemente beginnt
TEPCO als inkompetent kritisiert

Hilflos in Fukushima
Tokio (LiZ). Aus dem instabilen Lagerbecken in 30 Meter Höhe in Reaktorblock 4 des zerstörten AKW Fukushima Daiichi sollen ab heute Brennelemente geborgen werden. Das Vorhaben ist äußerst schwierig und gefahrvoll - ganz Japan kann im Falle eines Unfalls radioaktiv verseucht werden.

Am heutigen Montag begann der Betreiber-Konzern TEPCO mit der Bergung von 1.533 Brennelementen. Dabei handelt es sich nach offiziellen Angaben um 1331 Brennelemente mit abgebrannten sowie 202 mit neuen Brennstäben. Seit Wochen kursierten Gerüchte, wonach das in rund 30 Meter Höhe befindliche Lagerbecken, dessen Kühlung schon mehrmals äußerst prekär war, akut einsturzgefährdet sei.

Tatsächlich ist dieses Lagerbecken seit dem 11. März 2011 instabil. Zwischenzeitlich wurden zwar laut TEPCO-Mitteilungen notdürftig zusätzliche Verstrebungen angebracht, doch bei einem weiteren schweren Erdbeben ist mit einer Katastrophe zu rechnen. Seit Wochen kursierte ein weltweit lancierter Aufruf, daß sich WissenschaftlerInnen und TechnikerInnen der japanischen Regierung zur Verfügung stellen sollen, um das Brennelemente-Lager rechtzeitig zu räumen. Fälschlich wurde behauptet, bei einer möglichen Freisetzung des gesamten radioaktiven Inventars des Lagerbeckens könne es zu einer weltweiten Katastrophe kommen. Nach über zwei Jahren Vorbereitung glauben sich die TEPCO-TechnikerInnen nun in der Lage, das brisante Inventar zu evakuieren, das bei einer Freisetzung ganz Japan radioaktiv kontaminieren kann.

In dem am 11. März 2011 zufällig gerade abgeschalteten Reaktor 4 des AKW Fukushima Daiichi war es zwar nicht - wie in den Blöcken 1 bis 3 - zu einer Kernschmelze gekommen. Das Reaktor-Gebäude wurde jedoch bei einer Knallgas-Explosion am 15. März 2011, deren Ursachen bis heute noch ungeklärt sind, weitgehend zerstört. Das Dach und Teile der Wände im dritten, vierten und fünften Stock wurden dabei weggesprengt. Auch das Lagerbecken in diesem Reaktor-Gebäude, in dem Wärme abstrahlende Brennelemente nach ihrem Einsatz im Reaktor über Jahre abgekühlt werden müssen, wurde in Mitleidenschaft gezogen. Trümmerteile mußten mit Hilfe von Roboterarmen aus dem Wasser zwischen den Brennelementen herausgeholt werden.

Es wird jedoch befürchtet, daß sich noch kleinere Trümmerteile im Lagerbecken befinden. Diese Trümmerteile könnten sich beim Herausziehen der Brennelemente zwischen letzteren verkeilen. In den vergangenen Monaten war zudem das gesamte Gebäude mehr und mehr in Schieflage geraten. Die 1.533 Brennelemente haben ein Gewicht von rund 400 Tonnen und enthalten ein radioaktives Inventar von rund 14.000 Hiroshima-Bomben.

TEPCO-MitarbeiterInnen haben mittlerweile laut Informationen, die nicht von neutraler Seite überprüft werden können, über Block 4 ein Behelfs-Gebäude errichtet, in dem ein Kran zum Transport der Brennelemente unter Wasser installiert wurde. Die Brennelemente dürfen nicht mit Luft in Kontakt kommen, da dies die Gefahr eines Zirkoniumbrandes birgt. Ein Transportbehälter, der maximal 22 Brennelemente fasst, muß in das Lagerbecken abgesenkt werden, so daß jedes der rund 4,5 Meter langen Brennelemente einzeln und per Hand-Steuerung unter Wasser umgelagert werden kann. Nach dem Befüllen des Transportbehälters soll die Ladung nach und nach per LKW zu einem anderen rund 100 Meter entfernten Lagerbecken gebracht werden, wo sie laut TEPCO weniger durch Erdbeben gefährdet sei.

Drei der 1.533 Brennelemente wurden allerdings bereits vor dem Erdbeben am 11. März 2011 so schwer beschädigt, daß sie sich nicht auf diese Weise umlagern lassen. Aus zwei Bündeln tritt laut offiziellen Informationen radioaktives Gas aus. Für diese Brennelemente weiß TEPCO offenbar bis heute keine Lösung. Und bis heute ist keine Lösung gefunden, wie der massive Zustrom von radioaktiv kontaminiertem Wasser aus dem Untergrund der Reaktor-Ruinen in den Pazifik gestoppt werden könnte.

Bei einem Mißglücken der äußerst gefährlichen Bergung der Brennelemente kann es zu einem Zirkoniumbrand und schlimmstenfalls zu einer Explosion und beim Unterschreiten eines gewissen Mindestabstandes der enthaltenen Uran-Tabletten zu einer weiteren Kernschmelze kommen. Die dabei nicht auszuschließende radioaktive Verseuchung großer Teile Japans könnte den Super-GAU vom 11. März 2011 bei weitem übertreffen.

Für die Bergung der 1.533 Brennelemente ist ein Zeitraum von einem Jahr vorgesehen, so der Chef der japanischen Atomaufsicht, Shunichi Tanaka. KritikerInnen bereitet große Sorge, daß das Unterfangen in die Hände von TEPCO gelegt wurde. Der Konzern hatte sich bereits mehrfach als äußerst unzuverlässig erwiesen, hatte Sicherheitsbescheinigungen gefälscht und in den vergangenen Monaten mehrfach die Öffentlichkeit über Vorgänge auf dem Kraftwerksgelände getäuscht.

Der Rückbau der Reaktor-Ruinen wird wegen der lange anhaltenden hohen radioaktiven Strahlung der Kernschmelzen mindestens 30 bis 40 Jahre Zeit erfordern. Ob in fünf oder zehn Jahren das hierfür erforderliche Geld zur Verfügung stehen wird, ist fraglich.

 

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