21.03.2010

"Profit für Jahre - Müll für Jahrmillionen!"

Demo mit 5000 TeilnehmerInnen
am AKW Neckarwestheim

Demo am AKW Neckarwestheim, 21.03.10 Neckarwestheim (LiZ). Mehr als 5000 Menschen demonstrierten heute (Sonntag) vor dem AKW Neckarwestheim in der Nähe des schwäbischen Heilbronn für einen sofortigen Atom-Ausstieg. Die VeranstalterInnen werteten die höchste Beteiligung der vergangenen 20 Jahre an einer Demo gegen das AKW Neckarwestheim als "kraftvolles Signal für ganz Deutschland" und wiesen auf die Demo zum Tschernobyl-Jahrestag vor dem AKW Biblis hin. Dort soll am 24. April die nächste große Demo für einen sofortigen Atom-Ausstieg stattfinden.

Laut der immer noch von den Mainstream-Medien transportierten Propaganda zum angeblichen Atom-Ausstieg, der von "Rot-Grün" im Jahr 2000 beschlossen worden sei, betragen die "Laufzeiten" deutscher AKW 32 Jahre. Das AKW Biblis A, das im August 1974 in Betrieb ging, hätte demnach bereits im Jahr 2006 abgeschaltet werden müssen. Block I des AKW Neckarwestheim, der im Juni 1976 die Stromproduktion aufnahm, demnach im Jahr 2008. Tatsächlich war noch bis vor drei Jahren auf der Internet-Seite der Bundes-"Umwelt"-Ministeriums eine Liste zu finden, in der für jedes der 17 deutschen AKW ein exaktes Abschalt-Datum eingetragen war. So stand dort hinter Neckarwestheim I das Datum 1. Dezember 2008. Mittlerweile ist von diesem Termin offiziell keine Rede mehr.

Anfang dieses Jahres veröffentlichte die 'Stuttgarter Zeitung' einen Artikel, in dem zu lesen war, Block I des AKW Neckarwestheim müsse entsprechend dem deutschen "Atom-Ausstieg" in hundert Tagen - also bis Mitte April 2010 - stillgelegt werden. (Siehe unseren Artikel v. 11.01.10) Doch auch davon ist mittlerweile keine Rede mehr. Der Betreiber des AKW, der Strom-Konzern EnBW, drosselte die Stromproduktion, um den Reaktor so bis in den Herbst am Netz halten zu können. Der Meiler wird nach Angaben des Unternehmens mit 250 statt mit 840 Megawatt gefahren. Im Oktober soll die jetzige "schwarz-gelbe" Bundesregierung einen neuen "Atom-Ausstieg" verkünden, damit auch danach kein AKW abgeschaltet werden muß. Bereits im Jahr 2001 schrieb der Atomkraft-Kritiker und Bestseller-Autor ("Friedlich in die Katastrophe") Holger Strohm: "Dabei waren Atomkraftwerke anfangs nur für 25 Jahre Betrieb ausgelegt. Seit über einem Jahrzehnt ist kein neues Atomkraftwerk mehr ans Netz gegangen. Das heißt, die Atomkraftwerke laufen länger als ursprünglich geplant, und das wird uns als Ausstieg verkauft. Wir werden arglistig getäuscht!"

Ein Zusammenschluß von mehr als 30 Verbänden, Parteien und Stiftungen, hatte nun mit dem gemeinsamen Appell "Endlich abschalten" zur Demo in Neckarwestheim aufgerufen. Darunter auch "S"PD und Pseudo-Grüne, die an ihren Betrug mit dem "rot grünen Atom-Ausstieg" nicht gerne erinnert werden wollen. Sie mußten allerdings erfahren, daß die Anti-AKW-bewegung heute keine RednerInnen dieser Parteien auf ihren Demos akzeptiert.

Die Neckarwestheimer Rock-Band 'Glyzerin' empfing den Protestzug um die Mittagszeit mit lautstarker Musik. Die Moderation der Kundgebung übernahm Brigitte Dahlbender von der Umweltschutz-Organisation BUND. Gleich zu Beginn hob sie hervor: "Das ist die größte Anti-AKW-Demo in Neckarwestheim seit 20 Jahren." Dahlbender begrüßte MitstreiterInnen aus Hessen und Bayern, aus Österreich, der Schweiz und auch vom Widerstand gegen das elsässische AKW Fessenheim.

Auffällig war die hohe Beteiligung junger Menschen an der Demo vor dem AKW Neckarwestheim. Doch auch eine 71-Jährige, Ingeborg Haury aus Lauffen am Neckar, hatte sich unter die DemonstrantInnen gemischt. Sie hatte den "letzten Rest meiner Aussteuer" zerschnitten und das Damasttuch als Transparent eingesetzt: "Profit für Jahre - Müll für Jahrmillionen!"

Die VeranstalterInnen hatten vorsichtig mit rund 2000 DemonstrantInnen gerechnet. BUND-Bundesvorsitzender Hubert Weiger wertete die Teilnahme von über 5000 Menschen als "kraftvolles Signal für ganz Deutschland". In seiner Rede meinte er, ein "Rollback in der Atomausstiegspolitik" könne jetzt niemand mehr wagen. Auch redete er davon, es gelte nun, einen "Ausstieg aus dem Ausstieg" zu verhindern. Angesichts der Bilanz der vergangenen zehn Jahre ist schwer nachzuvollziehen, welche Art von "Rollback" Weiger meinen könnte. Einigkeit herrschte bei allen TeilnehmerInnen allerdings bei der Forderung, einen Atom-Ausstieg in Deutschland nun endlich Realität werden zu lassen. So hieß auch die Parole auf dem Kopf-Transparent der Demo: "Endlich abschalten!"

Für den Bund der Bürgerinitiativen Mittlerer Neckar und das Aktionsbündnis Energiewende Heilbronn sprach der Arzt Franz Wagner. Unumwunden bezeichnete er das AKW als eine "Todesmaschine". Er warf den "geldgeilen Bonzen" bei EnBW und in der Regierung vor, mit Hilfe "technikvernarrter Ingenieure" gehe es ihnen allein darum, Milliardenprofite zu machen. Für die Demo am 24. April in Biblis warb Ingo Hoppe, Sprecher der dortigen Bürgerinitiative: "Ich hoffe Euch dort alle wiederzusehen."

Der Kabarettist Peter Grohmann sorgte mit einem satirisch formulierten Amts-Eid, den er die versammelten Demo-TeilnehmerInnen Satz für Satz nachsprechen ließ für Lacher: "Ich gelobe, ohne Rücksicht auf Verluste an der Macht zu bleiben, tapfer und treu am deutschen Volke zu verdienen und ihm alles zu vermiesen." Die PolitikerInnen - kameragerecht in der ersten Reihe postiert - sprachen diese Eides-Formel allerdings nicht mit.

 

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Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel zum Thema Atomenergie:

      Atomenergie ist sicher?
      Autobahnpolizei stoppt Horror-Transport (11.03.10)

      Bischof für schnellen Atomausstieg
      "Nie vollständig im Griff" (3.03.10)

      "Störung" im AKW Fessenheim
      im Dezember gravierender als bislang bekannt (23.02.10)

      Studie der Citibank:
      Atomenergie ist unwirtschaftlich (12.02.10)

      Atom-Minister Röttgen sendet Signale
      Kommt nun der "schwarz-gelbe" Atom-Ausstieg?
      (6.02.10)

      Atommüll-Transporte
      Glaskokillen nicht stabil (5.02.10)

      Obama verspricht
      Bau neuer Atomkraftwerke in den USA (30.01.10)

      Unfall in der UAA Gronau
      Arbeiter radioaktiv verstrahlt (23.01.10)

      Einsturzgefahr im "Versuchs-Endlager" Asse II
      Atommüll wird rückgeholt (15.01.10)

      Aus für AKW Neckarwestheim I
      in hundert Tagen? (11.01.10)

      Endlager-Standort Gorleben
      Bei der Auswahl spielte Geologie kaum eine Rolle
      (10.01.10)

      Aus für AKW Ignalina
      Zahl der Reaktoren weltweit sinkt auf 435 (2.01.10)

      "Störung" im AKW Fessenheim
      Reaktor konnte nicht hochgefahren werden (27.12.09)

      Schweizer AKW Mühleberg
      bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag?
      Unbefristete Betriebsgenehmigung
      ohne BürgerInnenbeteiligung (22.12.09)