25.12.2015

AKW Doel 3 abgeschaltet
nach nur 4 Tagen in Betrieb

Risse im Stahl
Brüssel (LiZ). Nur vier Tage nach dem Wiederhochfahren mußte der hochgefährliche Reaktor 3 des belgischen AKW Doel vom Netz genommen worden. Angeblich sei dies nötig geworden, weil ein Leck an der Heißwasserleitung eines Generators gefunden wurde. Der Reaktor war zuvor 21 Monate lang außer Betrieb und hätte in dieser Zeit gründlich untersucht werden können.

Doel 3 war hauptsächlich deshalb 21 Monate lang abgeschaltet, weil im Reaktordruckbehälter Tausende von Rissen entdeckt worden waren (Siehe unseren Artikel v. 21.12.15). Letztlich jedoch hat die belgische Atomaufsicht FANC den Profit-Interessen nachgegeben und das Wiederhochfahren genehmigt. Wie üblich sagte eine Sprecherin des Betreibers Electrabel, die Sicherheit des AKW und der Umwelt sei zu keinem Zeitpunkt gefährdet gewesen. Bereits nach wenigen Tagen soll Doel 3 wieder ans Netz gehen.

Kurz vor dem Zwischenfall am Reaktor Doel 3 hatte der Betreiber Electrabel am gestrigen Donnerstag (Heiligabend) den Reaktor Doel 2 wieder in Betrieb genommen. Die FANC hatte zuvor eine Verlängerung der Laufzeit des Reaktors bis 2025 genehmigt. Bis zum Juli dieses Jahres hatte ein Versprechen der belgischen Regierung "gegolten", die Reaktoren 1 und 2 des AKW Doel nach 40 Jahren Betriebszeit - also noch im Laufe dieses Jahres - stillzulegen. Doch am Donnerstag, 18.06.15, hatten die belgische Regierung und das Parlament mehrheitlich eine Laufzeitverlängerung auf 50 Jahre - also bis 2025 - beschlossen. Selbstverständlich ist ein solcher "Ausstieg aus dem Ausstieg" - also die Rücknahme eines unverbindlichen Versprechens - auch in Deutschland möglich.

Nach den bis heute vorliegenden Informationen ist weltweit eine große Zahl von Reaktordruckbehältern von zunehmender Versprödung betroffen. Im Februar sagte Heinz Smital, Kernphysiker und Atomexperte von Greenpeace: "Wie so oft bei Atomkraftwerken wurde die Tragweite des Problems offensichtlich verkannt. Es ist dringend notwendig, die Risse im Metall ernster zu nehmen als bisher und weltweit umfangreiche Untersuchungen durchzuführen."

Schon 2010 hatte der österreichische Werkstoffphysiker Professor Wolfgang Kromp vor der unterschätzten Versprödung des Stahls der Reaktordruckbehälter gewarnt. Diese Behälter, in denen sich die Brennstäbe mit Uran befinden, müssen hohen Drücken und Temperaturen und - im Falle der Schnellabschaltung - Temperaturschocks standhalten können.

Besonders kritisch beurteilt Kromp eine Schweißnaht, die rund um den Druckbehälter verläuft und bei hohem Druck einer hohen Materialspannung ausgesetzt ist. Kromp vergleicht die Wirkung einer solchen wiederholten Belastung mit dem Biegen eines Drahtes, der nach einer gewissen Zahl von Wiederholungen bricht.

Vor dem Bruch einer solchen Schweißnaht entstehen kleinste Risse an besonders beanspruchten Stellen. Diese Risse können sich innerhalb kurzer Zeit gefährlich ausweiten. Das Kühlwasser entweicht unter hohem Druck, die Temperatur im Inneren des Behälters steigt und die Brennstäbe können durchschmelzen, was zum Super-GAU führt.

Um die Stabilität der Reaktordruckbehälter-Wandung zu bestätigen, beschränkten sich Gutachten bislang auf indirekte Verfahren. Es wurden Materialproben derselben Legierung, aus der der Reaktordruckbehälter besteht, eingehängt, um ihre Materialeigenschaften von Zeit zu Zeit zu untersuchen. Laut Theorie würden diese demselben Neutronen-Beschuß ausgesetzt wie die Behälterinnenwand, sodaß deren Versprödung am Zustand der Materialproben abgelesen werden könne. Doch diese Proben stehen nicht unter der Materialspannung, unter der die gebogene Außenwand eines Zylinders steht. Mehr noch: Mit diesen Proben kann der Zustand von Schweißnähten laut Professor Kromp nicht einmal annähernd simuliert werden (Siehe unseren Artikel v. 30.07.10).

Nach den alarmierenden Ergebnissen der Untersuchungen in den beiden belgischen Atomkraftwerken sprach FANC-Leiter Jan Bens von einem möglichen "globalen Problem für die gesamte Nuklear-Industrie". Bens empfahl daher in einem Interview mit dem nationalen belgischen TV eine akkurate Untersuchung aller 435 Atom-Reaktoren weltweit. "Wir haben unsere internationalen Kollegen bereits informiert und beraten." Auch an den Untersuchungen in Belgien beteiligte WissenschaftlerInnen warnten vor einem unvorhersehbaren Versprödungs-Bruch in einem der weltweit 435 Atom-Reaktoren. Die Materialermüdung sei bislang offenbar unterschätzt worden. "Ich würde mich tatsächlich wundern, wenn das nirgendwo anders auch aufgetreten wäre," sagte Walter Bogaerts von der Universität Leuven.

 

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Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      AKW Doel 3 wieder hochgefahren
      Versprödung bedeutet Russisches Roulette (21.12.15)

      Reaktor-Stahl des AKW Beznau
      löchrig wie Emmentaler (8.10.15)

      Automatische Schnellabschaltung
      des belgischen AKW Tihange
      Versprödung bedeutet Russisches Roulette (19.09.15)

      AKW Beznau am Ende?
      14 Jahre vor "Atom-Ausstieg" (16.07.15)

      AKW-Projekt Flamanville auf der Kippe
      Materialmängel am Reaktordruckbehälter (8.04.15)

      Belgien: Materialermüdung in AKW
      Reaktordruckbehälter weltweit betroffen? (17.02.15)

      Reiche Schweiz - Uralte Atomkraftwerke
      Gefahrzeitverlängerung auf 60 Jahre (9.12.14)

      Werden die belgischen Atomkraftwerke
      Doel und Tihange wieder hochgefahren? (15.02.13)

      8000 Risse im AKW Doel
      Stilllegung dennoch ungewiß (17.08.12)

      Riß im Reaktordruckbehälter
      des belgischen AKW Doel (9.08.12)

      Marode Druckbehälter deutscher AKW
      Blockade von Untersuchungen (30.07.10)

      AKW in den USA
      zeigen deutliche Material-Probleme
      Laufzeiten von 40 Jahren utopisch
      Zunehmende Gefährdung (11.10.09)