23.12.2010

Argentinien: Ex-Diktator Videla
entgeht Strafe nicht

Diktator Videla und zwei Spießgesellen Córdoba (LiZ). Ein argentinisches Bundes-Gericht hat den früheren Diktator Jorge Videla mit mehr als 25-jähriger Verspätung zu lebenslanger Haftstrafe verurteilt. Während der blutigen Militärdiktatur wurden in den Jahren von 1976 bis 1983 rund 30.000 Menschen ermordet oder verschwanden spurlos. Ein Schandfleck für Deutschland bleibt der Tod von Elisabeth Käsemann, der vom damaligen deutschen Außenminister Hans-Dietrich Genscher die Hilfe verweigert wurde.

Der mittlerweile 85-jährige Jorge Videla war Anführer des Militär-Putsches im Jahr 1976 und stand bis 1981 an der Spitze der Junta, die über Argentinien bis 1983 herrschte. Vor Gericht zeigte er nicht die geringste Reue, obwohl auch die Entführung und Ermordung von Babys durch die Junta aufgedeckt wurde. Videla rechtfertigte seine Verbrechen als "Krieg gegen den Kommunismus". Richter Jaime Díaz Gavier verurteilte Videla, der zwischenzeitlich durch eine Amnestie geschützt war, wegen der nachgewiesenen Ermordung von 31 politischen Gefangenen. Sie waren zwischen April und Oktober 1976 im argentinischen Córdoba festgenommen und ohne Verfahren erschossen worden. Das Urteil beendet den Prozeß gegen Videla und 28 mitangeklagte Polizisten und Militärs. Neben Videla wurde auch Ex-General Luciano Menéndez zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Gericht verurteilte in Córdoba insgesamt 16 Angeklagte zu lebenslanger Haft. Sieben weitere müssen zwischen sechs und 14 Jahren hinter Gitter. Sieben Angeklagte wurden freigesprochen.

Die argentinische Militärdiktatur gilt als eine der blutigsten in Lateinamerika. Selbst unter der Diktatur Augusto Pinochets in Chile (1973 bis 1990) wurden nicht so viele Menschen ermordet. Das argentinische Gericht konnte Videla nachweisen, daß die Ermordungen mit seinem Wissen geschahen und auf seinem Befehl beruhten, der eine Vernichtung aller Linken und Linksliberalen zum Ziel hatte.

Videla war bereits 1985 zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden. Fünf Jahre später aber rettete ihn ein Amnestiegesetz des damaligen Präsidenten Carlos Menem. Diese Amnestie wurde 2007 vom argentinischen Verfassungsgericht aufgehoben, die Prozesse gegen die Junta und die Folterer wurden neu aufgerollt. Wegen der Entführung von Babys politischer Gefangener stand Videla bis 2008 zehn Jahre lang unter Hausarrest. Seither war er in Untersuchungs-Haft.

Das Urteil gegen Videla beschloß die letzten von insgesamt 15 Verfahren gegen Schergen der Diktatur in diesem Jahr. Rund 100 Verantwortliche wurden wegen Menschenrechtsverbrechen verurteilt. Viele Angehörige von Opfern aus Argentinien und etlichen anderen Ländern sind erleichtert: Nun endlich werde der "Staatsterrorismus" der damaligen Jahre als Unrecht anerkannt.

Unter den Opfern der Videla-Diktatur waren auch etwa 100 Deutsche, was von den hiesigen Mainstream-Medien bis heute gerne unterschlagen wird. Wenig bekannt ist daher bis heute die Verstrickung des damaligen deutschen Außenministers Hans-Dietrich Genscher in die Ermordung der Tübinger Pfarrerstochter Elisabeth Käsemann. Die Studentin wurde am 8. oder 9. März 1977 in Argentinien verhaftet und im Auftrag der Militär-Junta am 24. Mai 1977 ermordet.

Zahlreiche südamerikanische Militärs, aus Chile, Brasilien, Argentinien und anderen Staaten, hatten die vom US-Geheimdienst geleiteten "School of Americas" in Panama durchlaufen in der sie anti-kommunistisch indoktriniert und in der Anwendung von Mord- und Foltertechniken geschult wurden. Im Rahmen der aus den USA gesteuerten "Operation Condor" arbeiteten viele Militär-Diktaturen zusammen. Allein in Argentinien wurden rund 700 Folterzentren und Konzentrationslager nachgewiesen, manche erst in jüngster Vergangenheit. Während der Herrschafts-Zeit der argentinischen Junta wurde ein großer Teil der Intelligenz des Landes ausgerottet. Nur wenige konnten rechtzeitig fliehen.

Als es in Argentinien ab 1976 zu den ersten bewiesenen Entführungen deutscher StaatsbürgerInnen kam, betrieb das Auswärtige Amt unter Genscher eine Strategie der Schein-Aktivität, vermied jedoch jede konkrete Intervention für die Verschwundenen. Offenbar waren diese Deutschen der damaligen "rot-gelben" Regierung unter Bundeskanzler Helmut Schmidt gleichgültig. So wurden fast zur selben Zeit wie die deutsche Studentin Elisabeth Käsemann eine französische und eine US-Bürgerin von den Militärs in Argentinien verhaftet. Beide kamen aber kamen nach Interventionen ihrer Botschaften wieder frei. Der Mord an der Deutschen wurde per Dekret von Genscher so lange geheimgehalten, bis die deutsche Fußball-Nationalmannschaft ihr Freundschaftsspiel am 5. Juni 1977 in Buenos Aires absolviert hatte. Drei Tage später wurde Deutschland der Leichnam Käsemanns übergeben. Die junge Frau war auf einer fingierten Flucht erschossen worden, vier Schüsse von hinten, ein Genickschuß mit Geschoßfund. Der "rot-gelben" Bundesregierung war das keinerlei Protest wert.

Der damals 24-jährige Student Klaus Zieschank war 1976 für ein Praktikum nach Argentinien gereist und verschwand wie Elisabeth Käsemann und rund 100 weitere Deutsche. Der damalige deutsche Botschafter in Argentinien, Jörg Kastl, sagte gegenüber dem Dokumentarfilmer Frieder Wagner, sein damaliger Dienstherr, Außenminister Genscher, habe ihm im Sommer 1976 ausdrücklich befohlen, vom Tode Klaus Zieschanks weder der Presse noch dessen Mutter zu berichten. Diese war zum gleichen Zeitpunkt auf dem Bonner Marktplatz in den Hungerstreik getreten, um gegen die "Untätigkeit der Regierung" im Fall ihres Sohnes zu protestieren.

Die 'Frankfurter Allgemeine Zeitung' lobte die argentinische Militär-Diktatur in jener Zeit als "Konkursverwalter" und die Schmidt-Regierung fädelte zur gleichen Zeit Wirtschafts-Verträge in Milliardenhöhe ein. Deutschland stieg zum Waffenlieferanten Nummer Eins der argentinischen Militär-Junta auf. Bis 1979 verdoppelten sich die deutschen Exporte nach Argentinien, bis 1980 verdoppelten sich die deutschen Investitionen. Siemens Argentina, vor dem Putsch wegen Korruption verstaatlicht, wurde vom neuen Wirtschaftsminister der Militärs, José Alfredo Martínez De Hoz - zuvor Siemens-Anwalt - sogar noch entschädigt.

Unterschlagen wird bis heute auch gerne, daß Diktatoren wie Videla in Argentinien und Pinochet in Chile große Teile Südamerikas für lange Zeit im Dienste der US-amerikanischen Konzerne und damit auch im Sinne der verschiedenen US-Regierungen beherrschten. 1973 gelangte Pinochet in Chile erst im zweiten Anlauf mit Hilfe eines vom US-amerikanischen Geheimdienst gesteuerten Militär-Putsches im Rahmen der "Operation Condor" gegen die durch Wahlen legitimierte Regierung Allende an die Macht. Chile wurde unter Pinochet und den Chicago-Boys, einer Gruppe US-amerikanischer Ökonomen, als Versuchs-Labor für die später weltweit exerzierte neoliberale Wirtschaftspolitk mißbraucht. Durchgesetzt wurde diese Wirtschaftspolitik in den USA ab 1981 unter Reagan ("Reaganomics"), ab 1987 unter Thatcher (Premierministerin von 1979 bis 1990) in Großbritannien und - nicht zuletzt - unter der "rot-grünen" Regierung Schröder in Deutschland mit der "Steuerreform" des Jahres 2000 und der Einführung der "Hartz-Gesetze".

 

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Anmerkungen

Siehe auch unseren Artikel:

      11. September vor 35 Jahren
      Ein blutiger Putsch mit Beteiligung der CIA (11.09.08)

      Chile: Gefängnis für Pinochets
      Geheimdienst-Chef Contreras (8.09.08)

      Der Prager Frühling
      Auch 40 Jahre... (21.08.08)

      Argentinien: Die Wirkung
      von über zehn Jahren Gen-Landwirtschaft (10.12.05)

      Pinochet immun
      Oberstes Gericht gegen irdische Gerechtigkeit (25.03.05)

      Ex-Chef der "Colonia Dignidad"
      in Argentinien festgenommen (10.03.05)

      Wird Pinochet nun doch der Prozeß gemacht?
      Für Chiles Ex-Diktator wird es eng (5.01.05)

      Argentinien: Andenwald verschwindet
      Dramatische Umweltsituation in Patagonien (9.05.03)

      Blutiges Geld
      Argentinischer Gewerkschaftschef... (7.04.03)