19.02.2010

Die Gefahr einer iranischen Atombombe

Die IAEA und dubiose Geheimdienst-Dossiers

Mahmud Ahmadinedschad Washington (LiZ). Unter ihrem neuen Chef, dem Japaner Yukiya Amano, klagt die IAEA das iranische Regime an, bereits mit der Herstellung der Atombombe begonnen zu haben. Doch im Gegensatz zu der Zeit bis November 2009, als noch die Vorgänger Amanos, Mohammed al-Baradei und Hans Blix (bis 1997) im Amt waren, stützt sich die aktuelle Expertise der IAEA auf dubiose Geheimdienst- Dossiers. Der Vertreter Irans bei der IAEA, Ali Ashgar Soltaniyeh, nannte die Expertise "langweilig", weil sie lediglich alte Vorwürfe enthalte.

Noch im vergangenen Jahr hatte die IAEA die Aussage des iranischen Regimes bestätigt, keine Pläne zum Bau der Atombombe zu verfolgen. Skepsis war allerdings auch gegenüber dieser Expertise angebracht, da nach historischen Erfahrungen noch jeder Staat, der mit dem Bau von Atomkraftwerken begann, letztlich versuchte, in den Besitz der Atombombe zu gelangen. Das Dementi des iranischen Regimes wäre also erst dann glaubwürdig, wenn der Iran auf die "friedliche" Nutzung der Atomenergie verzichtet. Dieses Argument gewinnt insbesondere vor dem Hintergrund an Gewicht, daß der Iran zum einen über gigantische Vorräte an Erdöl verfügt und derzeit der weltweit viertgrößter Erdölproduzent ist, und zum anderen über das Potential verfügt, innerhalb weniger Jahre seinen gesamten Energiebedarf aus erneuerbaren Energien zu decken. Des weiteren ist die zwiespältige Rolle der IAEA in Rechnung zu stellen, die ihre Aufgabe einerseits im Promoting der "friedlichen" Nutzung der Atomenergie und dem Verharmlosen deren Folgen und andererseits in der Verhinderung der Weiterverbreitung von Atomwaffen sieht.

Das "geistliche Oberhaupt" des Irans, Ayatollah Ali Chamenei, erklärte gestern im iranischen TV, sein Land strebe nicht nach der Atombombe. "Wir glauben keineswegs an die Atombombe, und wir versuchen nicht, sie zu bekommen", sagte er vor ranghohen Militärs. Um die Glaubwürdigkeit einer solchen Aussage zu beurteilen, darf sicherlich an die Aussage der katholischen Kirche erinnert werden, die seinerzeit behauptete, nicht mit dem deutschen Nazi-Regime zusammenzuarbeiten. Auch der iranische Präsident hat in den vergangenen Jahren mehrfach öffentlich beteuert, der Iran habe nicht die Absicht, eine die Atombombe zu bauen.

In der aktuellen Expertise der IAEA, die diese am gestrigen Donnerstag den Mitgliedern ihres Gouverneursrates zugeleitet hat, wird nun darauf abgehoben, daß das iranische Programm zum Einsatz von Atomenergie für die Stromerzeugung lediglich Uran mit einem Anreicherungsgrad von weniger als 4 Prozent benötigt, der Iran jedoch den - verdächtigen - Anspruch auf Uran mit einem Anreicherunggrad von 20 Prozent erhebe. Nun ist jedoch bekannt, daß zum Bau der Atombombe Uran mit einem Anreicherungsgrad von über 80 Prozent benötigt wird. Und das iranische Regime begründet seinen Anspruch auf Uran mit einem Anreicherungsgrad von 20 Prozent mit dem Bedarf eines Forschungsreaktors, der unter anderem dazu diene, Radionukleide für die Medizin zur Verfügung zu stellen. Diese Begründung ist glaubwürdig und auch ein von der IAEA ausgearbeiteter Kompromißvorschlag vom Oktober 2009, beruht auf der Anerkenntnis, daß dem Iran das "Recht" auf Uran mit einem Anreicherungsgrad von 20 Prozent nicht abgesprochen werden könne. Unberücksichtigt bleibt bei solch relativistischen Rechtsbetrachtungen, wonach dem einen Staat nicht verweigert werden dürfe, was anderen zugebilligt wird, allerdings die Tatsache, daß es aus wissenschaftlicher und medizinischer Sicht keinerlei Notwendigkeit für den fraglichen Forschungsreaktor gibt. Die Situation ist (wurde) jedoch mittlerweile soweit eskaliert, daß das iranische Regime sich kaum mehr ohne "Gesichtsverlust" von seinem Anspruch auf den Forschungsreaktor verabschieden könnte.

Nun trifft die aktuelle Expertise der IAEA - wohl kaum zufällig - in eine bereits extrem zugespitzte Situation. Der Atomstreit zwischen der iranischen und der US-amerikanischen Führung sowie deren Verbündeten hat in den vergangenen Wochen einen neuen unerfreulichen Höhepunkt erreicht, nachdem der iranische Präsident Ahmadinedschad am 2. Februar ein Kompromiß-Angebot darlegte, das von der anderen Seite brüsk und ohne nachvollziehbare Argumente zurückgewiesen wurde. So ist es kaum verwunderlich, daß US-Vizepräsident Joe Biden die IAEA-Expertise prompt zum Anlaß nahm, um die in den vergangenen Tagen angekündigte Verschärfung von Sanktionen gegen den Iran als gerechtfertigt zu erklären. "Gemeinsam mit unseren internationalen Partnern arbeiten wir daran sicherzustellen, daß der Iran wirkliche Konsequenzen dafür zu spüren bekommt, daß er sich nicht an die internationalen Abmachungen hält", sagte Biden in Washington.

Unter den gegenwärtigen Umständen erscheint es als zweifelhaft, ob die US-Regierung und ihre Verbündeten überhaupt an einem Kompromiß mit dem Iran interessiert sind. Die US-Regierung gab in den vergangenen Tagen bekannt, die Stationierung von land- und seegestützten "Raketenabwehrsystemen" im persischen Golf auszuweiten, was als Vorbereitung auf einen Krieg gegen den Iran gewertet werden kann. Zudem wurden neue Patriot-Raketenstützpunkte in den vier Golf-Staaten Kuwait, Katar, Vereinigte Arabische Emirate und Bahrain errichtet. US-Präsident Barack Obama kündigte an, von nun an permanent Schiffe im persischen Golf zu stationieren, die mit Raketen ausgerüstet sind. Eine Deeskalation des Konflikts würde voraussetzen, daß die über Atomwaffen verfügenden Staaten, USA, Rußland, Großbritannien, Frankreich, China, Israel (bestätigt durch Aussagen der US-Regierung), Indien, Pakistan, Nordkorea (nach eigener Darstellung) und Deutschland ("atomare Teilhabe"), ernsthaft darangingen, die weltweiten Arsenale von weltweit insgesamt über 30.000 Atomsprengköpfen abzubauen.

Zur Zeit ist es recht schwierig, die neue IAEA-Expertise zu beurteilen, da sie nicht öffentlich vorliegt und lediglich Teile davon durchgesickert sind (wurden). Laut diesen nicht-autorisierten Ausschnitten der Expertise lägen nun "reichhaltige Beweise" vor, wonach das iranische Regime "früher und zum gegenwärtigen Zeitpunkt geheime Aktivitäten" unternommen habe, um einen Atomsprengkopf zu entwickeln. Die Anschuldigung, die einmal als Tatsachenbehauptung, einmal lediglich als Befürchtung wiedergegeben wird, steht bekanntlich im Gegensatz zu einem US-Geheimdienst-Bericht von 2007, der die Aufgabe der iranischen Pläne zur militärischen Nutzung von Atomenenergie bestätigte.

Nach Darstellung der 'New York Times' enthält die IAEA-Expertise die Anschuldigung, der Iran arbeite mit den IAEA-InspekteurInnen nicht in dem Maße zusammen, wie dies internationale Verpflichtungen verlangen würden. Des weiteren sei in der Expertise enthalten, daß der Iran - wie von diesem selbst angekündigt - die Urananreicherung fortsetze. Neu ist allerdings die Behauptung, daß der Iran mehrere Waffen- und Detonationstests durchgeführt und sich intensiv mit dem Bau von Atomsprengköpfen befaßt habe. Diese Behauptung basiert jedoch offensichtlich ausschließlich auf dubiosen Geheimdienst-Dossiers, welche angeblich "diverse Mitgliedstaaten" der IAEA zukommen ließen. Ob für diese Behauptung auch Fakten angegeben werden, ist beim derzeitigen Stand der Veröffentlichungen nicht zu beurteilen. Offenbar beruht die entsprechende Behauptung nicht auf eigenen Ermittlungen. Neu ist allerdings, daß die IAEA in der aktuellen Expertise auf Geheimdienst-Dossiers zurückgreift, während dies unter den IAEA-Chefs al-Baradei und Blix noch abgelehnt worden war. Die IAEA hat bei solchen Informationen keine Möglichkeit, diese auf Korrektheit oder Vollständigkeit zu überprüfen, sondern kann lediglich deren technische Plausibilität bewerten. So wird in der 'New York Times' wie folgt aus der IAEA-Expertise zitiert: "Die der IAEA zur Verfügung stehende Information ist umfassend (...) weitgehend schlüssig und glaubwürdig soweit sie sich bezieht auf technische Details, den zeitlichen Rahmen, indem die Aktivitäten stattfanden, und die Personen und Organisationen, die darin verwickelt sind. (...) Insgesamt erwachsen hieraus Bedenken über die mögliche Existenz vergangener oder gegenwärtiger geheimer Aktivitäten im Iran, um einen Atomprengkopf zu entwickeln." (The information available to the agency is extensive (...) broadly consistent and credible in terms of the technical detail, the time frame in which the activities were conducted and the people and organisations involved. (...) Altogether this raises concerns about the possible existence in Iran of past or current undisclosed activities related to the development of a nuclear payload for a missile.) Diese in der 'New York Times' wiedergegebenen Zitate erwecken den Eindruck, daß es sich bei der IAEA-Expertise um eine Auftragsarbeit im Dienste der US-Regierung handelt.

 

LINKSZEITUNG

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel zum Thema

      Verbrecherische Menschenversuche
      bei französischen Atombomben-Tests (17.02.10)

      Westen reagiert auf Verhandlungsangebot des Iran
      mit verschärften Drohungen (9.02.10)

      Ahmadinedschad kompromißbereit
      Lösung im Streit um Uran-Anreicherung? (3.02.10)