27.01.2012

Max-Planck-Institut:
Vorratsdatenspeicherung völlig ineffektiv

Ich will deine Daten Freiburg (LiZ). Eine Gutachten des renommierten Freiburger Max- Planck-Instituts (MPI) kommt zum Ergebnis, daß die umstrittene Vorratsdatenspeicherung völlig ineffektiv ist. Weder in der Zeit zwischen Anfang und März 2010, als sie in Deutschland angewendet wurde noch in vergleichbaren Fällen im europäischen Ausland kann ein Nutzen bei polizeilichen Ermittlungen festgestellt werden.

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich hat dagegen umgehend in einer Stellungnahme zu dem heute veröffentlichten Gutachten sein Festhalten an dem aus datenschutzrechtlicher Sicht bedenklichen Projekt bekräftigt. Es geht bei der Vorratsdatenspeicherung - einer verdachtsunabhängigen Speicherung der Daten von NutzerInnen des Internets und anderer Telekommunikation über einen Zeitraum von sechs Monaten - um einen tiefen Eingriff in die bürgerlichen Grundrechte, der nur mit einem effektiven Zugewinn an polizeilichen Ermittlungsergebnissen zu rechtfertigen wäre. Und eben dieser behauptete Zugewinn ist gleich Null - so das Fazit des neuen Gutachtens des Freiburger Max-Planck-Instituts (MPI) für internationales und ausländisches Strafrecht. Es war von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die sich bislang gegen die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung sperrt, in Auftrag gegeben worden. Die Ministerin will Telefon-Daten nur bei konkretem Verdacht einfrieren - "quick freeze" - und IP-Adressen von Internet-Verbindungen nur wenige Tage statt sechs Monate auf Vorrat speichern.

In einer ersten Reaktion argumentierte Friedrich, dem MPI-Gutachten ermangele es an einer zureichenden Datenbasis. Damit lassen Friedrich und seine Ministeriellen erkennen, daß sie das Gutachten bestenfalls flüchtig angelesen haben. Denn die MPI-WissenschaftlerInnen haben eben unter Hinweis auf die in Deutschland offensichtlich schmale Datenbasis die Aussagekraft bisheriger behördlicher Aussagen zur Effektivität der Vorratsdatenspeicherung als reines Wunschdenken entlarvt, sich stattdessen in ihrem Gutachten auf Daten anderer europäische Staaten gestützt und dazu vor allem die Expertise von anerkannten Fachleuten eingeholt.

Lediglich auf dem Feld des Computerbetruges lassen die MPI-WissenschaftlerInnen gelten, daß hier eine Aufklärung ohne Vorratsdatenspeicherung schwierig sei. Eindeutig jedoch fällt das Gutachten im Falle der lange in Deutschland heftig umstrittenen Art und Weise wie Kinderpornographie im Internet zu bekämpfen sei aus: Vorratsdatenspeicherung kann nachweislich nichts dazu beitragen, den Ursprung der Kinderpornographie aufzudecken um diesen so an den Wurzeln bekämpfen zu können.

Die MPI-WissenschaftlerInnen haben neben den Übersichten über die Erhebung der "Verkehrsdaten" insbesondere die Expertise von Seiten der Polizei eingeholt und die Aufklärungsquoten für den Zeitraum 1987 bis 2010 untersucht. Auffällig war, daß sich die Aufklärungsquote weder ab Anfang 2008 meßbar verbessert noch nach dem vorläufigen Stop durch das Bundesverfassungsgericht im März 2010 meßbar verschlechtert hat. "Es gibt keine belastbaren Hinweise darauf, daß die Schutzmöglichkeiten durch den Wegfall der Vorratsdatenspeicherung reduziert worden wären," erläutert ein Wissenschaftler des MPI. "Auch in der Schweiz, wo es schon seit rund zehn Jahren eine Speicherpflicht für Telekom-Verkehrsdaten gibt, sind keine sichtbaren Unterschiede in der Sicherheitslage zu erkennen."

Im Gegensatz zur statistischen Auswertung der Daten, sprachen sich jedoch viele der für das Gutachten befragten PolizistInnen aus ihrer subjektiven Sicht für die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung aus. Sie argumentierten dabei mit Einzelfällen aus ihrer Praxis. Daß das Gefühl der PraktikerInnen nicht unbedingt mit einer empirischen und neutralen Untersuchung auf breiter Datenbasis übereinstimmen muß, zeigt sich hier einmal mehr. Das MPI hatte schon des öfteren für die Bundesregierung die Wirksamkeit bestimmter Ermittlungsmethoden untersucht.

Auf EU-Ebene wird derzeit versucht, die in Deutschland ausgesetzte Regelung zur Vorratsdatenspeicherung EU-weit durchzusetzen. Fast alle Mitgliedsregierungen als auch die EU-Kommission sprechen sich hierfür aus. Sie berufen sich dabei auf vorangegangene Gutachten, die jedoch gerade über keine ausreichende Datenbasis verfügen. So blieb in etlichen solcher Studien etwa offen, ob es sich bei den für die polizeilichen Ermittlungen verwendeten Daten lediglich um solche handelte, die ohnehin vorhanden sind - wie jene zu Abrechnungszwecken oder solche, die nach Aufforderung durch die Polizei gespeichert wurden - oder tatsächlich um verdachtsunabhängige und willkürlich auf Vorrat gespeicherte Daten. Die bislang vorliegenden Gutachten seien daher wenig aussagekräftig, so die MPI-WissenschaftlerInnen.

Entscheidend dürfte am Ende das entsprechendes Vorratsdaten-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes sein. Darin ist eindeutig festgehalten, daß nicht die KritikerInnen die Ineffektivität nachweisen müssen, sondern daß die staatlichen Organe den Nutzen der Vorratsdatenspeicherung aufzuzeigen haben.

 

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