13.03.2015

Lichtblick für Julian Assange
Schwedische Justiz jetzt nachgiebig

Julian Assange
London (LiZ). Julian Assange, Gründer von Wikileaks, sitzt seit August 2012 in der ecuadorianischen Botschaft in London fest, weil er dort Asyl gesucht hatte. Die schwedische Justiz bestand bislang auf der Auslieferung Assanges. Nun jedoch zeigt sie sich plötzlich bereit, diesen vor Ort zu verhören.

Jahrelang hatten Assanges AnwältInnen den schwedischen Behörden angeboten, daß dieser sich in der ecuadorianischen Botschaft in London einem Verhör durch schwedische BeamtInnen stelle. Erst jetzt geht die schwedische Staatsanwältin Marianne Ny darauf ein und fragt offiziell an, ob sich Assange dieser Art der Befragung stelle und auch zu einem DNA-Test bereit sei.

Die schwedische Justiz fordert seit dem Jahr 2010 die Auslieferung Assanges, um ihn zu zwei Vorwürfen sexueller Übergriffe zu verhören. Zwei Frauen hatte ihn im Jahr 2010 bei der schwedischen Polizei wegen Vergewaltigung und Belästigung angezeigt. Später wurde eine der beiden Anzeigen ganz zurückgezogen, die andere auf sexuellen Übergriff abgeändert. Assange bezeichnet die Anschuldigungen gegen ihn als unwahr und als politisch motiviert. Am 20. August 2010 beantragte die schwedische Staatsanwaltschaft Haftbefehl gegen Assange, zog den Antrag aber nur wenige Stunden später zurück. Am 1. September 2010 eröffnete Staatsanwältin Marianne Ny erneut das Verfahren gegen Assange. Sie verzichtete zunächst auf einen Haftbefehl und gestattete es dem Australier, Schweden zu verlassen. Um Assange danach wiederum zu einem Verhör nach Schweden zu beordern, veranlaßte Ny kurze Zeit später die Ausstellung eines Internationalen Haftbefehls gegen Assange (Siehe hierzu im Einzelnen unseren Artikel v. 18.11.10).

Assange weigerte sich, unter den gegebenen Umständen zu einer Befragung nach Schweden zurückzukehren. Denn er muß befürchten, daß er von den schwedischen Behörden an die USA ausgeliefert wird. Dort ist mit einer Anklage wegen Spionage und einer langjährigen Haftstrafe zu rechnen - mehr noch: sein Leben wäre in Gefahr (Siehe unseren Artikel v. 18.02.14).

Die schwedischen Behörden änderten nun offenbar ihr Vorgehen, da die Assange zur Last gelegten Vergehen im August 2015 verjähren. Wikileaks-Sprecher Kristinn Hrafnsson kommentierte: "Es ist unverschämt, daß die Staatsanwaltschaft viereinhalb Jahre benötigt, um zu dieser Entscheidung zu kommen." Er warf den AnklägerInnen Furcht vor einer Niederlage vor dem höchsten schwedischen Gericht vor. "Es wäre sehr wahrscheinlich, daß der Haftbefehl in ein paar Wochen fallen gelassen würde."

Da sich die britische Justiz dem schwedischen Auslieferungs-Gesuch verpflichtet erachtet, wird die ecuadorianische Botschaft in London von der Polizei rund um die Uhr überwacht. Im Falle des chilenischen Ex-Diktators Augusto Pinochet war Großbritanien exakt umgekehrt vorgegangen, hatte einen Internationalen Haftbefehl ignoriert und den Verbrecher nach Chile entkommen lassen. Die Bewachung der Botschaft Ecuadors, das als einer der wenigen Staaten dieser Welt Julian Assange Asyl gewährte, hat bislang über zehn Millionen Pfund gekostet.

Weiterhin ist eine Klage von Julian Assange vor dem obersten schwedischen Berufungsgericht anhängig. Vor wenigen Tagen erst hatte das Gericht die leitende Staatsanwältin Ny aufgefordert, ihre Sicht des Verfahrens zu darzulegen. Insbesondere geht es darum, ob bei dem Verfahren, das im Stadium Voruntersuchung feststeckt, das Prinzip der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist. Assanges AnwältInnen hatten vor Gericht geltend gemacht, daß eine unzumutbare Situation entstanden sei und die Menschenrechte Assanges verletzt würden.

Wikileaks ist nach wie vor in der Öffentlichkeit präsent. Sarah Harrison, die engste Vertraute von Julian Assange und Fluchthelferin von Edward Snowden, war gestern in der Schweiz beim 'Europäischen Trendtag' des Gottlieb Duttweiler Instituts (GDI). Die 33-jährige investigative Journalistin hatte 2013 den Whistleblower Snowden auf seiner Flucht und bei seinem Zwischen-Stop in Hongkong begleitet. Sie verschaffte ihm ein Visum für Rußland - zunächst mit dem Plan, nach Ecuador weiterzufliegen, das Snowden Asyl zugesagt hatte. Doch US-Präsident Barack Obama wußte den Weiterflug zu verhindern. 39 Tage lang stand Harrison dem Verfolgten auf dem Moskauer Flughafen, wo die beiden gestrandet waren, zur Seite.

Snowden hatte im Juni 2013 enthüllt, daß US-Geheimdienste die Telefone und das Internet flächendeckend ausspionieren. Harrison vertritt die Position, daß es dabei nicht um die propagierte Sicherheit geht, sondern darum, politische Kontrolle auszuüben. Harrison erklärte in der Schweiz: "Es sind unsere Daten, unsere Informationen, es ist unsere Geschichte. Wir müssen darum kämpfen, daß all das uns gehört."

Ebenso kritisiert Harrison die Bestrebungen europäischer Regierungen, die den Anschlag auf 'Charlie Hebdo' als Vorwand zu benutzen, um mehr Überwachung und um die Vorratsdatenspeicherung durchzusetzen (Siehe unseren Artikel v. 12.01.15). Harrison weist darauf hin, daß die angeblichen beiden Attentäter nach offiziellen Angaben den französischen Behörden bekannt waren und überwacht wurden - und, daß das Attentat trotzdem nicht habe verhindert werden können. Die Forderung nach mehr Überwachung sei also unlogisch. Dennoch ist sie der Ansicht, daß der Anschlag auf 'Charlie Hebdo' - ähnlich wie der Terror-Angriff vom 11. September 2001 - den Geheimdiensten nutzen wird, um ihr Tun zu rechtfertigen und weiter Bürgerrechte einzuschränken.

Die geplanten Überwachungs-Maßnahmen würden nach Ansicht von Harrison zur Folge haben, daß die Freiheit nicht geschützt, sondern weiter reduziert wird. Offensichtlich gehe es also gar nicht um die beschworene Meinungsfreiheit und Pressefreiheit, sondern um das Gegenteil: "Das bedeutet auch, daß Journalistinnen und Journalisten ihre Quellen nicht mehr schützen können. Also nichts mit Pressefreiheit!"

Auch Harrison sieht sich in ihrer Bewegungsfreiheit - ähnlich wie Assange eingeschränkt. In ihr Heimatland Großbritannien kehrt sie vorerst nicht zurück. Zu groß sei das Risiko, an der Grenze festgehalten zu werden. Dann hätte sie damit zu rechnen, Informationen preisgeben zu müssen, oder - wie Assange und Snowden - auf einer Todesliste geführt zu werden.

 

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Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Wikileaks klagt Google an:
      eMails an US-Behörden weitergeleitet (26.01.15)

      Snowden-Fundus:
      NSA bespitzelt Wikileaks
      Julian Assange auf Todesliste (18.02.14)

      CCC-Kongress in Hamburg
      Kampf gegen Geheimdienste (28.12.13)

      Kontinuität der Folter
      Wikileaks veröffentlicht US-Dokumente (26.10.12)

      Ecuador will Wikileaks-Gründer Asyl geben
      Botschaft in London von Polizei umstellt (16.08.12)

      Urteil gegen Assange
      Auslieferung an Schweden rückt näher (14.06.12)

      Wikileaks blamiert Stratfor
      Kommerz-Geheimdienst gehackt (27.02.12)

      Twitter zwischen den Fronten
      im Info-War USA gegen Wikileaks (9.01.11)

      Londoner Gericht setzt
      Wikileaks-Gründer Assange auf freien Fuß (16.12.10)

      Online-Bezahlservice Paypal
      schneidet Wikileaks von Spenden ab (4.12.10)

      Amazon gegen Wikileaks
      Druck durch US-Regierung? (3.12.10)

      Wikileaks-Enthüllung
      Hillary Clintons illegale Aktionen (29.11.10)

      Wikileaks-Gründer Assange
      erneut mit Vergewaltigungsvorwurf verfolgt (18.11.10)

      Verbrechen Krieg
      Wikileaks veröffentlicht Dokumente zum Irak-Krieg (24.10.10)

      Wikileaks deckt Hintergründe
      des Afghanistan-Kriegs auf (28.07.10)

      Irak-Krieg: Video zeigt Kriegsverbrechen
      US-Hubschrauberbesatzung schießt auf Unbewaffnete (6.04.10)

      wikileaks.de gesperrt
      Beginn der Internet-Zensur in Deutschland? (11.04.09)

      Hausdurchsuchung bei Inhaber der Domain wikileaks.de
      Aktionismus gegen Kinderpornographie
      als Vorwand für politische Zensur (25.03.09)