15.02.2016

Todes-Serie der NSU-ZeugInnen
Der fünfte Sarg

Fünf Särge von NSU-ZeugInnen - Grafik: Samy
Stuttgart (LiZ). In der Serie der Todesfälle von NSU-Zeugen wurde jetzt der fünfte Fall bekannt. Sascha W., der Verlobte der Ende März 2015 unter seltsamen Umständen ums Leben gekommenen Zeugin Melisa Marijanovic, soll sich umgebracht haben. War er ein Mitwisser?

Mit einer Woche Verspätung erfährt die Öffentlichkeit erst jetzt vom angeblichen Suizid des 31-jährigen Sascha W. aus Kraichtal in Baden-Württemberg. Er war mit Melisa Marijanovic verlobt. Diese und Florian Heilig waren bis zu seinem Tod - angeblich ein Suizid im selbst angezündeten Auto - am 16. September 2013 ein Paar. Am 28. März 2015 starb Melisa Marijanovic einen vermutlich sehr schmerzhaften Tod. Sascha W. hatte sie am Abend dieses Tages mit einem Krampfanfall in ihrer Wohnung vorgefunden. Laut der Obduktion durch die Rechtsmedizin starb die 20-Jährige an einer Lungenembolie. Die offiziell verbreitete - aber unbewiesene - Vermutung lautet, diese Lungenembolie sei durch Blutgerinsel verursacht worden und diese wiederum rührten von einer leichten Prellung am Knie her, die sich Melisa Marijanovic am 24. März 2015 bei einem Motocross-Training mit dem Motorrad zugezogen hatte (Siehe unseren Artikel v. 30.03.15).

Melisa Marijanovic war am 2. März 2015 in nicht-öffentlicher Sitzung vor dem NSU-Ausschuß in Stuttgart befragt worden. Dabei hat sie laut Ausschuß-Bericht erklärt, Florian Heilig habe ihr gegenüber nicht die Abkürzung "NSU" benutzt und auch nicht behauptet, zu wissen, wer die Polizistin Kiesewetter erschossen hat. Zugleich hatte sie ausgesagt, sie werde bedroht. Daher ist nicht auszuschließen, daß es sich bei ihrer Aussage, nichts zu wissen, um eine Schutzbehauptung handelte. Und wenn sie Mitwisserin war, kann auch ihr Verlobter Sascha W. als weiterer möglicher Mitwisser aus dem Weg geräumt worden sein.

Zwischenzeitlich war der Tod eines weiteren NSU-Zeugen bekannt geworden: Bereits im Januar 2009 wurde die verbrannte Leiche von Arthur Christ neben seinem Auto auf einem Wald-Parkplatz nördlich von Heilbronn gefunden. Er war 18 Jahre alt. Ob Mord oder Suizid konnte bis heute angeblich nicht aufgeklärt werden. Auch sein Name steht mit dem NSU in Verbindung: Er steht auf einer Liste mit rund 20 Namen, die Teil der Ermittlungs-Akten der Sonderkommission 'Parkplatz' zum Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter am 25. April 2007 in Heilbronn ist. In welchem Zusammenhang die auf der Liste verzeichneten Personen zum NSU standen, ist bis heute unbekannt. Arthur Christ jedoch soll Ähnlichkeit mit einem der Phantombilder haben, die nach ZeugInnen-Beschreibungen zum Mordfall Kiesewetter angefertigt, aber 2007 nicht veröffentlicht worden waren.

Der V-Mann Thomas Richter alias "Corelli" hätte Ende März 2014 zu den Hintergründen der NSU-Terror-Bande befragt werden sollen. Nach Polizeiangaben wurde er tot in seiner Wohnung aufgefunden. Auch in diesem Fall wurde eine Todesursache angegeben, die recht unwahrscheinlich ist: eine nicht erkannte Diabetes. Von ihm hatte das Bundesamt für "Verfassungsschutz" bereits im Jahr 2005 eine DVD erhalten, auf der sich die - angeblich bis zum November 2011 den Behörden nicht bekannte - Abkürzung "NSU" befand. Thomas Richter war auch Mitglied der Neo-Nazi-Gruppe 'European White Knights of the Ku Klux Klan', eines Ablegers des rassistischen Geheimbundes aus den USA. Bekannt ist, daß jene Gruppe eine ihrer traditionellen Zeremonien mit brennendem Holzkreuz in der Burgruine von Schwäbisch Hall vollzog. Zu dieser Gruppe gehörten zeitweilig auch Kollegen und ein Zugführer der am 25. April 2007 ermordeten Polizistin Michele Kiesewetter.

Auch bei Florian Heilig besteht eine Verbindung zum NSU. Florian Heilig hatte nachweislich bereits im Juni 2011 gegenüber Arbeitskollegen erklärt, Neonazis hätten die Polizistin Michèle Kiesewetter ermordet - Monate bevor die mutmaßlichen Terroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos in Eisenach tot aufgefunden worden waren und die Existenz der Neonazi-Terror-Bande NSU publik wurde. Florian Heilig wurde nur 21 Jahre alt. Am 16. September 2013, dem Tag, an dem er verbrannte, hätte er ein zweites Mal vom LKA zu seinen Behauptungen über die Hintergründe des Mordes an Michèle Kiesewetter vernommen werden sollen (Siehe unseren Artikel v. 12.10.13).

Nach offiziellen Angaben wurde Sascha W. bereits vor einer Woche, am Montag, 8. Februar, tot aufgefunden. Weil keine natürliche Todesursache festgestellt wurde, ordnete die Staatsanwaltschaft Karlsruhe eine Obduktion an. Nach Auskunft von Behördensprecher Tobias Wagner gäbe es "bislang keine Anhaltspunkte für Fremdverschulden" und deshalb müsse von einem Suizid ausgegangen werden. Außerdem gebe es eine Abschieds-Nachricht von Herrn W., die elektronisch verschickt wurde. Da keine EmpfängerInnen genannt wurden, ist dies nicht verifizierbar. Von den Behörden wurden auch keine Angaben drüber gemacht, wer die Leiche aufgefunden hat.

Damit ist die Serie toter ZeugInnen im Zusammenhang mit den offiziell dem NSU zugeschriebenen Morden bei fünf Menschen angelangt: Arthur Christ, Januar 2009 - Florian Heilig, September 2013 - Thomas Richter, vermutlich März 2014 - Melisa Marijanovic, März 2015 - Sascha W., Februar 2016.

 

LINKSZEITUNG

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Toter NSU-Zeuge ermordet?
      Fahrlehrer sah zweiten Mann (13.04.15)

      NSU-Zeugin tot
      Jetzt sind es drei (30.03.15)

      NSU-DVD von 2005 aufgetaucht
      Geheimdienste angeblich ahnungslos (1.10.14)

      Thüringer NSU-Ausschuß
      Neo-Nazi-Verbindungen im Fall Kiesewetter (10.03.14)

      Fahndung nach Neo-Nazi-Terror-Bande
      im Juni 2003 abgeblockt
      "Kriegen Sie da nichts raus!" (10.12.13)

      NSU-Zeuge im Auto verbrannt
      Wurde Florian Heilig ermordet? (12.10.13)

      Gehörten V-Leute zu NSU?
      Geheime Liste mit 129 Personen (24.03.13)

      Brisante NSU-Listen mit Kontakt-Daten
      15 Jahre lang verschwunden (1.03.13)

      Experte Hajo Funke:
      NSU bestand aus mehr als 3 Personen (25.01.13)

      NSU und Behörden
      Schlamperei oder Beihilfe zum Terror? (4.08.12)

      Polizei und Ku-Klux-Klan
      Kollegen von Kiesewetter waren Mitglied (31.07.12)

      4. November 2011: Wer versuchte
      Beate Z. anzurufen?
      Telefon-Nummer aus dem
      Sächsische Staatsministerium des Innern (30.05.12)

      Neue Hinweise auf staatliche Beihilfe
      für Neonazi-Terrorbande (12.02.12)

      Standen staatliche Organe
      hinter der Neonazi-Terrorbande NSU? (30.01.12)

      Neonazi-Terrorbande
      Beate Z. wurde 2007 polizeilich vernommen (29.01.12)

      Neonazi-Terrorbande
      "Verfassungsschutz" war detailliert informiert (31.12.11)

      Weitere Hinweise auf Terror-Beihilfe:
      Kontakt im Jahr 1999 (22.12.11)

      Weitere Hinweise auf Terror-Beihilfe
      durch Staatsorgane (20.12.11)

      Wie kam die Neonazi-Terrorbande
      zu gefälschten Pässen? (18.12.11)

      Neonazi-Terrorbande
      Die Spur führ nach Ludwigshafen (17.12.11)

      Bericht eines US-Geheimdienstes:
      Deutsche Agenten in Mord an Polizistin verwickelt
      (30.11.11)

      Neonazi-Zelle für versuchten
      Terror-Anschlag 1997 verantwortlich?
      Viele Hinweise auf Geheimdienst-Verwicklung (20.11.11)

      Festnahme der Neonazi-Zelle 1999 gestoppt
      Befehl von "oben" (18.11.11)

      V-Mann "Kleiner Adolf"
      war in Kassel bei Mord zugegen (15.11.11)

      Neonazi-Terroristen
      Pässe vom Geheimdienst? (13.11.11)