10.08.2018

Homöopathie in deutschen Apotheken
Warum keine Tiger-Knochen?

Homöopathie - Collage: Samy - Creative-Commons-Lizenz Namensnennung Nicht-Kommerziell 3.0
Berlin (LiZ). Im Jahr 2017 erlitt die Homöopathie-Branche einen spürbaren Umsatz-Rückgang - die Wirkung einer Aufklärungs-Kampagne. Doch anscheinend ist Vieles schon wieder vergessen, denn die Umsatz-Zahlen von Konzernen wie Boiron, Weleda, Heel & Co. stiegen in den zurückliegenden beiden Quartalen 2018 erneut um bis zu 29 Prozent. Und nach wie vor ist es deutschen Apotheken erlaubt, Homöopathika zu verkaufen. Nach denselben Kriterien müßte es auch erlaubt sein, daß deutsche Apotheken für die AnhängerInnen der "traditionellen chinesischen Medizin" (TCM) Tiger-Knochen anbieten dürfen.

2017 war ein trauriges Jahr für die Homöopathie-Branche: Nach Zahlen des Marktforschungsinstituts Insight Health, sank ihr Umsatz von 610 Millionen Euro im Jahr 2016 um 0,3 Prozent auf 608 Millionen Euro. In den ersten beiden Quartalen 2018 hat die Homöopathie-Branche allerdings bereits 393 Millionen Euro umgesetzt, was einen Jahres-Umsatz von rund 800 Millionen Euro für 2018 erwarten läßt.

Es sei höchste Zeit, daß eine "konstruktive Diskussion über den homöopathischen Unsinn in den Apotheken" in Gang kommt, fordert der emeritierte Medizinprofessor Edzard Ernst in einem Gastbeitrag für die 'Süddeutsche Zeitung'. In Großbritannien beschloß das Parlament bereits im Jahr 2010, daß Homöopathika nicht mehr vom nationalen Gesundheitssystem gefördert und nicht mehr wirksam beworben werden dürfen. Im November 2017 beschloß das staatliche Gesundheitssystem NHS, daß Homöopathika nicht mehr auf Rezept abgegeben werden dürfen und deren Kosten fortan nicht mehr von der Allgemeinheit übernommen werden. Im Februar 2017 wurde der Homöopathie in Rußland ein zuvor eingeräumter Sonderstatus entzogen und die russische Akademie der Wissenschaften empfahl staatlichen Kliniken, in Zukunft keine homöopathischen Mittel mehr einzusetzen. In den USA warnt - ebenfalls seit 2017 - die US-Arzneimittelbehörde vor homöopathischen Mitteln und ein offizieller Bericht schlägt vor, den Verkauf in Apotheken zu verbieten. Und in Australien forderte der Verband der Allgemeinmediziner seine Mitglieder dazu auf, keine Homöopathika mehr zu verschreiben.

Edzard Ernst kritisiert, daß Deutschland bei der Verbannung von Homöopathie aus dem Gesundheitssystem hinterher hängt. Seine Kritik schließt die deutschen ApothekerInnen mit ein, denn Präparate, die in der Apotheke verkauft werden dürfen, vermittelten den Eindruck, es handele sich um wissenschaftlich fundierte Arzneimittel. Immerhin verbannte beispielsweise die Weilheimer Apothekerin Iris Hundertmark Homöopathika aus ihrem Sortiment und räumte das gesamte Homöopathie-Regal in ihrer Bahnhof-Apotheke leer. Ihr Damaskus erlebte sie im Notdienst. "Ein Kunde hat mich wegen Arnika-Globuli rausgeklingelt," erzählt sie. Der Mann hatte nach einem Haushalts-Unfall Verbrennungen. Die Apothekerin riet ihm, ins Krankenhaus zu fahren. Das wollte der Mann nicht - er verlangte nach Arnika-Globuli. "Ich habe ihm in einer gefährlichen Situation etwas gegeben, das ihm überhaupt nicht hilft," erklärt Hundertmark. Seit ihrem Verzicht auf die lukrativen homöopathischen Mittel muß sich nun nicht länger mit einem schlechten Gewissen herumplagen. Auch die Mehrheit ihrer KundInnen bewertet den Schritt positiv. "Wenn jedoch jemand mit einem Rezept kommt, bin ich verpflichtet, es zu verkaufen," so Hundertmark. Allerdings hat sie es nicht mehr vorrätig wie in den Jahren zuvor. Sie informiere dann auch, daß das Gewünschte in einer anderen Apotheke vielleicht schneller zu bekommen sei.

Hartnäckig hält sich das Gerücht, die Homöopathie werde lediglich deshalb bekämpft, weil sie den Umsatz der konventionellen Pharma-Konzerne schmälere. Doch diese haben selbst viele unwirksame und schädliche Produkte im Programm, so daß sie eine evidenzbasierte Medikamenten-Überprüfung ebenso fürchten wie die Homöopathie-Branche. Deshalb kommt aus den Reihen der konventionellen Pharma-Konzerne auch kaum Kritik an Homöopathika. Hier gilt die alte Volksweisheit: "Die eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus!" Wie eine evidenzbasierte Untersuchung erst kürzlich nachwies, ist Wirkungslosigkeit oder Gefährlichkeit nicht auf die Homöopathie beschränkt. Die Stiftung Warentest rät von 35 bekannten Medikamenten konventioneller Pharma-Produzenten ab - darunter bekannte Markennamen wie Grippostad C Kapseln' oder "Aspirin Complex Granulat'.

Hersteller von Homöopathika arbeiten genauso wie alle anderen Pharma-Konzerne. Boiron, der weltgrößte Produzent von Homöopathika mit Sitz im französischen Lyon, erzielt bei einem Jahres-Umsatz von rund 800 Millionen Euro Gewinne in vergleichbarer Höhe wie andere Pharma-Konzerne. Seine Ausgaben für Forschung liegen jedoch weitaus niedriger. Verglichen mit der konventionellen Pharma-Industrie fällt das Risiko-Nutzen-Verhältnis für die Produzenten von Homöopathika sehr viel günstiger aus, aber bei den Profiten stehen sie den konventionellen Pharma-Konzernen in nichts nach.

Der deutschen Homöopathie-Konzern Weleda erzielte 2017 einen Umsatz von 401 Millionen Euro. Heel ist ebenfalls einer der weltweit größten Hersteller von Homöopathika mit Sitz in Baden-Baden und erzielt 213 Millionen Euro Umsatz (2015). Seit 1977 gehört der Heel-Konzern zu 100 Prozent zum Firmen-Imperium des BMW-Großaktionärs Stefan Quandt (Vermögen: rund 16 Milliarden US-Dollar). Wala mit Sitz in Bad Boll kommt auf einen Umsatz von rund 127 Millionen Euro (2015).

Wer der Ansicht ist, daß eine evidenzbasierte Überprüfung von Medikamenten auf Wirksamkeit und Nebenwirkungen mit Hilfe von Doppel-Blind-Studien nicht nötig sei und es daher zulässig sei, daß homöopathische Mittel in Apotheken abgegeben werden dürfen, muß sich fragen lassen, warum dann anderer Hokuspokus dort nicht ebenfalls verkauft werden darf. Die irrlichternde Begründung "Wer hilft, hat recht!" beanspruchen schließlich auch die AnhängerInnen der "traditionellen chinesischen Medizin" (TCM) für sich. Wer sich dem Obskurantismus der Homöopathie öffnet, muß in letzter Konsequenz auch Zaubersprüche, die auf Chipkarten "abgespeichert" sind, als Medikamente akzeptieren.

Im Falle der TCM sei an die "Nebenwirkungen" bei der Ausrottung gefährdeter Tierarten erinnert. Siehe unsere Artikel:

Schlechte Chancen für Indiens Tiger

Artenvernichtung | Esoterik tötet Nashörner

Esoterik tötet Pangolin | In Asien schon fast ausgerottet

und
TCM bedroht Löwen | Südafrika erlaubt Export von Löwen-Knochen.

 

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Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

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      Freie Fahrt für freie EsoterikerInnen (6.08.18)

      "Ölziehen" und der
      erfundene Doktor Karach (6.02.18)

      TCM bedroht Löwen
      Südafrika erlaubt Export von Löwen-Knochen (30.06.17)

      Kirchentag blockiert Luther-Kritik
      "...hat Hitler genau ausgeführt." (25.05.17)

      Pseudo-Wissenschaft Homöopathie
      in Rußland zukünftig ohne Sonderstatus (6.02.17)

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