11.09.2013

11. September
vor 40 Jahren

Ein blutiger Putsch mit Beteiligung der CIA

Victor Jara
Der Regierungspalast in Santiago de Chile, die Moneda wird bombardiert. Unter Anleitung und mit massiver Unterstützung des US-amerikanischen CIA putscht das Militär gegen die Regierung der Unidad Popular. Die aus der Sozialistischen und der Kommunistischen Partei gebildete "Volksfront"-Regierung von Dr. Salvador Allende wird blutig gestürzt. Eine Militär-Junta unter General Augusto Pinochet übernimmt die Macht und bereits in den ersten Tagen werden Tausende von Menschen in Lagern wie dem dazu umfunktionierten Chile-Stadion gefangen gehalten und ermordet.

Der sozialistische Präsident Allende kommt im Regierungspalast ums Leben. Bis heute gibt es weder Beweise für die Behauptung, er habe sich das Leben genommen, noch für die, er sei von den Angreifern ermordet worden. Damit ist das erste (und wohl bisher einzige) freie sozialistische Gesellschaftsmodell, das bei Parlaments-Wahlen an die Macht kam, in Blut ertränkt worden.

Welche Ziele verfolgte die friedliche Revolution in Chile, die sie für USA und UdSSR so gefährlich machte? Heute ist kaum mehr bekannt, welches die Ideen von Salvador Allende waren. Das einzigartige politische und gesellschaftliche Experiment Allendes stellte eine Gegenthese zu Fidel Castros Ideen dar, der einige Jahre zuvor in Kuba die Macht an sich gerissen hatte und jegliche Opposition rigoros unterdrückte.

Die kurzfristigen Ziele der Regierung Allende waren:

  • eine Agrar-Reform, die das Land der Großgrundbesitzer an die besitzlosen Landarbeiter und Kleinbauern verteilte

  • die Unabhängigkeit der chilenischen Wirtschaft von den Industrienationen, insbesondere den USA. Große Unternehmen, vor allem die Kupferminen und andere ausländische Firmen, aber auch inländische Firmen, von denen die Stabilität des Landes abhing, wurden verstaatlicht. Zum Teil wurden die Firmen vom Staat aufgekauft, zum Teil per Gesetz beschlagnahmt. Viele Betriebe wurden enteignet und die Leitung an die Arbeiter übergeben. Das Problem, eine gesamte Volkswirtschaft demokratisch zu steuern, wurde nicht angegangen.

  • die Wirtschaft solle entsprechend keynesianischer Theorie durch Nachfragebelebung gestärkt werden. Die Produktion solle gesteigert werden, da angenommen wurde, infolge monopolistischer Strukturen seien große Kapazitäten ungenutzt geblieben. Tatsächlich hatten auf den Latifundien der Großgrundbesitzer riesige fruchtbare Gebiete brach gelegen oder waren nur für Exportprodukte genutzt worden, während Landarbeiter und Kleinbauern hungern mußten. Zugleich hatte Chile vor Regierungsantrit der Unidad Popular für den Verbrauch in den Städten in großem Maß Lebensmittel aus dem Ausland importieren müssen.

  • die Löhne wurde erhöht und die Regierung erhoffte sich auch davon eine Steigerung der Nachfrage als auch eine Verbesserung des Lebensstandards des armen Teils der Bevölkerung. Zugleich wurden die Mieten eingefroren, Familienbeiträge erhöht und alle Kinder bekamen täglich einen halben Liter Milch gratis.

  • die Inflation sollte niedrig gehalten werden, indem die Preise für die wichtigsten Güter des täglichen Lebens festgesetzt und streng kontrolliert wurden. Die Regierung Allendes setzte bei der Bekämpfung der Inflation neue Schwerpunkte. Wechselkursen und umlaufender Geldmenge wurde wenig Beachtung geschenkt, während die Steigerung der Produktivität im Mittelpunkt stand.

Wer war Salvador Allende?

Am 26. Juni 1908 wurde Salvador Allende Gossens in Valparaiso, einer mittelgroßen Küstenstadt Chiles geboren. Sein Vater, Salvador Allende Castro, war Rechtsanwalt, seine Mutter hieß Laura Gossens Uribe (Die Reihenfolge der Nachnamen - erst der des Vaters, dann der der Mutter - entspricht spanischer Tradition). 1910 zieht die Familie in den Norden Chiles. Salvador verbringt seine Kindheit in Tacna, Iquique und Valdivia. 1921 kehrt die Familie nach Valparaiso zurück. In diesen Jahren nimmt Allende erstmals bewußt die soziale Ungleichheit in Chile wahr. Er freundet sich mit einem anarchistischen Schuhmacher an, der ihm Bücher leiht. 1922 wird die Kommunistischen Partei Chiles (PC), angeführt von Luis Emilio Recabarren, gegründet. (Salvador Allende ist zu diesem Zeitpunkt 14 Jahre alt.)

Salvador Allende beginnt 1925 das Studium der Medizin an der Universidad de Chile in Santiago. Während des Studiums (bis 1931) beteiligt er sich an Protesten gegen die Diktatur von Oberst Carlos Ibanez del Campo. Er wird zum stellvertretenden Präsidenten der Föderation chilenischer Studenten (FECH) gewählt, 1929 tritt er der Freimaurerloge und der Gruppe "Avance" bei. Ein Aufstand von Zivilisten und Militärs, 1932, angeführt von Marmaduque Grove, ruft die Sozialistische Republik aus. Nach der Niederschlagung der Bewegung wird Allende inhaftiert.

1933 wird die Sozialistische Partei Chiles (PS) gegründet, und Allende wird Parteisekretär der Region Valparaiso und arbeitet gleichzeitig als Assistenz-Arzt an einem Krankenhaus. 1935 wird er wegen Opposition gegen die Regierung von Arturo Alessandri in ein Dorf im Norden verbannt. Wie in Spanien und Frankreich wird auch in Chile 1936 eine Volksfront von Kommunisten und Sozialisten gegründet. 1937 wird Allende zum Abgeordneten der PS gewählt; seine lange parlamentarische Laufbahn beginnt.

Mit der Unterstützung der Volksfront erreicht 1938 Pedro Aguirre Cerda von der Radikalen Partei die Präsidentschaft. Allende wird Gesundheitsminister. 1940 heiratet er Hortensia Bussi.

1943 wird er zum Generalsekretär der PS gewählt und zwei Jahre später, 1945, zum Senator. Er bringt eine Reihe von Gesetzesänderungen im Gesundheits- und Sozialversicherungswesen ein. Er beteiligt sich an einer antifaschistischen Bewegung, die den Bruch mit der Rom-Tokio-Berlin Achse fordert.

1951-1952
Teile der Sozialisten unterstützen die Kandidatur von General Ibañez. Die PS spaltet sich und eine Fraktion angeführt von Allende schließt sich mit der PC in der Volksfront (Frente del Pueblo) zusammen und stellt ihn als Präsidentschaftskandidaten auf. Allende bekommt nur 52.000 Stimmen. In diesem Jahr wird er erneut zum Senator gewählt.

1953
PS und PC gründen gemeinsam die CUT.

1954
Allende besucht zum ersten Mal die UdSSR und das China Mao Tsetungs, das sich ebenfalls als sozialistisch bezeichnet. Er ist stellvertretender Senatspräsident.

1957-58
Wiedervereinigung der Sozialistischen Partei und Gründung der FRAP (Frente de Accion Popular - Volksfront), in der sich PS, PC und andere linke Gruppierungen zusammengeschlossen haben. Als Präsidentschaftskandidat der FRAP erhält er 28 Prozent der Stimmen und muß sich nur knapp dem konservativen Jorge Alessandri geschlagen geben.

1959
Kurz nach dem Sieg der Revolution besucht er Kuba, wo er Fidel Castro und Ernesto Che Guevara kennenlernt.

1964
Er wird nochmals als Präsidentschaftkandidat aufgestellt und vereint 39 Prozent der Stimmen auf sich. Aus Angst vor einem Sieg der Linken unterstützt die Rechte die Kandidatur von Eduardo Frei Montalba, der mit 56 Prozent der Stimmen gewählt wird.

1966
Wahl zum Senatspräsidenten.

1967
Allende ist aktiv an der Gründung der OLAS (lateinamerikanische Solidaritätsorganisation) beteiligt. In Bolivien wird Ernesto Che Guevara erschossen. Auf dem Parteitag in Chillan radikalisiert die PS ihr politisches Programm.

1968
Allende stellt die Überlebenden aus der Guerilla von Ernesto Che Guevara unter seinen persönlichen Schutz. Die Rechte fordert seinen Rücktritt als Senatspräsident und die Aufhebung seiner Immunität. Er verurteilt den Einmarsch der UdSSR-Armee in Prag. (Die UdSSR unterdrückte mit Waffengewalt die Entwicklung eines freien Sozialismus in der Tschechoslowakei - Siehe hierzu unseren Artikel v. 21.08.08)

1969
Die Unidad Popular wird als Zusammenschluß von Sozialisten, Kommunisten, Radikalen und Sozialdemokraten gegründet. Allende wird erneut zum Senator gewählt.

1970
Am 4. September erzielt Salvator Allende als Kandidat der UP die relative Mehrheit (36,3 Prozent) bei den Präsidentschaftswahlen.

Nachdem er ein Statut über Verfassungsgarantien, vorgeschlagen von den Christdemokraten, unterzeichnet hat, wird er am 26.10. als gewählter Präsident durch den Kongreß bestätigt. In der Zeit zwischen Wahl und der Ratifizierung wurden mehrere Versuche unternommen, die Machtübernahme der Linken zu verhindern. Ein Mordanschlag wird auf Allende verübt, und während des durch die CIA angestifteten Versuchs, General René Schneider zu entführen, wird dieser erschossen.

Am 4. November wird Allende zum Präsidenten der Republik erklärt, und das Regierungsprogramm der UP wird in Angriff genommen. Diplomatische Beziehungen zu Kuba und anderen "sozialistischen" Ländern werden aufgenommen. Im Dezember unterzeichnen UP und CUT ein Abkommen, das "die Beteiligung der Arbeiter" in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens festschreibt. Im wirtschaftlichen Bereich wird ein Umverteilungsplan ausgearbeitet.

1971
Aufgrund des großen Drucks der Bauern, besonders in Temuco und Cautin wird die Agrarreform ab Januar, Februar schneller vorangetrieben. Allende verlegt das Agrarministerium in dieses Gebiet. Als Teil der "vierzig Maßnahmen" wird mit der Verstaatlichung der Banken und Unternehmen sowie der Verteilung eines halben Liters Milchs pro Tag und Kind begonnen.

März
Die ersten Konflikte mit der Judikative treten auf. Die Unterstützung der Christdemokraten für die Veränderungsmaßnahmen kann nicht erzielt werden.

April
Bei den Kommunalwahlen erzielt die UP fast 51 Prozent der Stimmen.

Am 21. Mai hält Allende seine erste Rede vor dem Kongreß: "Der chilenische Weg zum Sozialismus".

Am 8. Juni wird der christdemokratische Ex-Minister Edmundo Pérez Zújovic von einer Gruppe von Linksextremisten getötet. Obwohl die Regierung eine schnelle Untersuchung einleitet und die Verantwortlichen festnimmt, unterbricht die Tat die Annäherungen zwischen UP und DC.

Am 15. Juli stimmt der Kongreß einstimmig der Verstaatlichung der Kupferminen zu.

Oktober
Allende bringt einen Gestzesentwurf über "Wirtschaftskreise und Beteiligung der Arbeiter" ein, der die Schaffung dreier verschiedener Besitzerkreise vorsieht: den sozialen, den gemischten und den privaten. Das Parlament stimmt dem Entwurf nicht zu und bringt den "Hamilton-Fuentealba-Entwuf" ein, der später verabschiedet wird. Die Diskussion über den sozialen Besitzkreis wird das unversöhnliche Auseinanderlaufen zwischen UP und DC bestimmen.

November
Fidel Castro trifft zum offiziellen Staatsbesuch in Chile ein und bleibt 3 Monate.

Am 1. Dezember findet die Demonstration der "leeren Töpfe" der Opposition statt und endet mit gewalttätigen Auseinandersetzungen. Später wird gegen den Innenminister José Tohá eine Anklage wegen Verfassungsbruch erhoben. Diese ist die erste einer Reihe von Machteinschränkungen der Exekutive durch das Parlament.

1972

Februar
Erste Anzeichen der Wirtschaftskrise. Allende trifft sich mit den Vorsitzenden der UP und Technikern der Regierung, um über Veränderungen der Wirtschaftspolitik nachzudenken.

März
Ein nordamerikanischer Journalist bezichtigt ITT und die CIA der Konspiration gegen die Amtsübernahme Allendes 1970.

Juni
Angesichts der wachsenden Krise und der Arbeitskonflikte trifft sich die UP. Der radikalere Flügel der Regierung ist für die strikte Umsetzung des Programms, Allende und die KP sind für eine Kompromiß-Linie, die einen Dialog mit der DC möglich machen soll.

Juli
Die MIR schlägt in Concepción die Gründung einer "Volksversammlung" vor, der sich MAPU und PS anschließen. Die PC spricht sich dagegen aus. Allende verurteilt die Spaltungstendenzen innerhalb der UP.

August
In diesem und dem darauffolgenden Monat ereignen sich Streiks der Einzelhändler, der Transportunternehmer und Aktionen der rechten Gruppe Patria y Libertad, die mit parlamentarischen Klagen einhergehen. Allende gibt bekannt, daß er, wenn nötig, die chilenische Revolution mit Gewalt verteidigen würde.

September
Die UP deckt den Plan "September" auf, der das ganze Land in den Bürgerkrieg treiben soll, und ruft zur Gründung von Komitees gegen Faschismus und die Verschwörung auf. Der von Rechten bezahlte Streik der Lastwagenfahrer beginnt.

Oktober
Attentate und Sabotageakte der Patria y Libertad. Die Regierung ruft den Notstand aus. Die sogenannten Industriegürtel und Kommunalen Koordinationskommitees werden gegründet, um die Auswirkungen des Streiks zu lindern und die Regierung zu unterstützen. Viele Fabriken werden besetzt und in den sozialen Besitzkreis integriert. Eine Schiffsladung Kupfer wird durch die Gesellschaft Kennekott im französischen Le Havre beschlagnahmt. Aus Solidarität mit Chile, weigern sich die französischen Hafenarbeiter die Ladung zu löschen, ein französisches Gericht hebt die Beschlagnahmung auf.

November
Durch den Einzug des Militärs ins Kabinett wird die Krise behoben. General Prats wird Innenminister. Die höchsten Vertreter der CUT sind ebenfalls im Kabinett.

Dezember
Allende begibt sich auf Reisen (Peru, Mexico, Algerien, UdSSR, Kuba und Venezuela). Er klagt vor der UNO die Agressionen der internationalen Monopole gegen Chile an.

1973

Januar
Neue Kupferbeschlagnahmungen durch die Kennekott in Hamburg.

Am 4. März erzielt die UP 43,4 Prozent der Stimmen bei den Parlamentswahlen und beendet somit die Möglichkeit der Amtsenthebung durch die Opposition. Trotzdem gelingt es Allende nicht, die Parteien auf eine Linie zu bringen.

Mai
In seiner dritten Rede vor dem Kongreß warnt Allende vor den Gefahren, die die Demokratie und den Frieden bedrohen. Er bittet die Spannungen zu beheben, die das Land erschüttern.

Juni
Am 29. Juni erhebt sich ein Panzerregiment unter dem Kommando des Oberst Souper, Generalprobe für den Putsch am 11. September.
Die CUT sowie die Industriegürtel stehen zur Regierung.
Die Streitkräfte wenden in Siedlungen, Fabriken und Volksorganisationen das Gesetz über die Waffenkontrolle an, das im Oktober 1972 mit den Stimmen der Opposition verabschiedet worden ist. Die Blockade durch das Parlament ist total und macht die Regierung arbeitsunfähig. In den USA überreicht Senator Church den Bericht über die destabilisierenden Aktivitäten von ITT und CIA.

Juli
Mit der Vermittlung Kardinal Silva Henriquez versucht Allende den Dialog mit der DC, was jedoch scheitert.
Terroristische Aktionen der Patria y Libertad nehmen zu. Am 27. wird Arturo Araya, loyaler Marine-Adjudant des Präsidenten, ermordet.

August
Die Lastwagenfahrer nehmen ihren Streik wieder auf.
Am 22. August erklärt die Abgeordnetenkammer den Rechtsstaat für gebrochen und die Regierung für illegitim.
Am 23. tritt General Prats als Oberbefehlshaber der Streitkräfte zurück, Augusto Pinochet nimmt seinen Platz ein.
Allende ernennt am 28. ein neues Kabinett "der nationalen Rettung", was von den Sozialisten kritisiert wird.

September
Die Organisation der Arbeitgeber ruft zur landesweiten Offensive gegen die Regierung auf.
Am 4. September, dem dritten Jahrestag der UP finden Demonstrationen im ganzen Land statt. In Santiago bekunden Hunderttausende ihre Unterstützung Allendes.
Am 9. deckt Altamirano die Putschpläne auf. Allende beordert am 10. alle Minister zu einem außerordentlichen Treffen. Aufgrund der nicht mehr zu lösenden Krise will er zu einem Plebiszit aufrufen, und teilt dies den Militärs mit. Auf deren Bitte verschiebt er die öffentliche Bekanntmachung auf den 12. In der Nacht wird er über Truppenbewegungen informiert, die von den hohen Militärs abgestritten werden. Die letzten Treffen mit Vorsitzenden, Beratern und Freunden finden in der Nacht vom 10. auf den 11. in seinem Haus in Tomas Moro statt.
Um 7:40 Uhr des 11. Septembers begibt sich Allende in den Regierungspalast. Zur Mittagszeit beginnt die Bombadierung der Moneda. Allende bleibt mit seinen Wachen und vertrautesten Mitstreitern und kämpft. In den Arbeiterbezirken warten viele vergeblich auf ein Zeichen zur bewaffneten Verteidigung. Zwar sind Waffenlager vorhanden, doch gibt es keinen Plan zum Widerstand.
Als die ersten Truppen die Moneda stürmen, ergibt sich Allende nicht. Er wird von den Angreifern ermordet oder nimmt sich - nach Darstellung der Rechten - das Leben.

Die Militärjunta übernimmt das Kommando über das Land sowie die parlamentarische und die verfassungsgebende Macht. Vereinzelte Versuche eines bewaffneten Widerstands werden niedergeschlagen. Während der ersten Tage des Militärregimes werden Tausende von Menschen in Gefangenenlager wie das zentrale Chile-Stadion eingesperrt. Mitglieder der linken Parteien stehen im Mittelpunkt der Repression. Rund 2.500 Personen verschwinden spurlos. Nicht selten werden die Leichen Ermordeter aus Flugzeugen über dem Meer abgeworfen. Hinzu kommen die von der Junta zugegebenen zahlreichen Toten aufgrund der Anwendung des internen Kriegszustandes. Im September werden in Buenos Aires General Prats und seine Ehefrau auf Anordnung der DINA unter dem Kommando von Oberst Contreras ermordet.
Im Dezember ernennt sich Pinochet selbst zum Präsidenten der Nation. Rund 150.000 Chilenen fliehen vor der Verfolgung ins Ausland.

Unter den bereits am ersten Tag nach dem Putsch im Chile-Stadion eingesperrten rund 5000 ChilenInnen befand sich auch der damals 41-jährigen Musiker und Theaterregisseur Víctor Jara. Der damalige CDU-Generalsekretär Bruno Heck, erklärte nach einer "solidarischen" Reise nach Chile: "Soweit wir Einblick bekommen haben, bemüht sich die Militärregierung in optimalem Umfang um die Gefangenen. Die Verhafteten, die wir ... sprachen, haben sich nicht beklagt." Über die Lage der im Stadion von Santiago gefangenen und gefolterten ChilenInnen sagte Heck der 'Süddeutschen Zeitung' am 18.10.73: "Das Leben im Stadion ist bei sonnigem Wetter recht angenehm." Laut den 2011 und 2012 angestellten Ermittlungen der chilenischen Justiz wurde Jara am fünften Tag nach dem Putsch, dem 16. September 1973, mit "mindestens 44 Kugeln" erschossen. Die Täter hatten ihm zuvor die Hände gebrochen, um ihm die Fähigkeit zu nehmen, Gitarre zu spielen. Das Stadion, das von der Junta als Gefangenenlager genutzt wurde, trägt heute Jaras Namen.

Die Rolle der USA

Ende der 1990er Jahre veröffentlichte Unterlagen der US-Regierung belegen, daß Agenten des US-Geheimdienstes CIA zwischen 1962 und 1975 in Chile aktiv waren. Bis 1970 versuchte die CIA zunächst, die Wahl Allendes zum Präsidenten zu verhindern. Laut den Dokumenten wies US-Präsident Richard Nixon CIA-Direktor Richard Helms an, alles in seiner Macht Stehende gegen Allende zu unternehmen. Als Allende dennoch Präsident wurde, suchte die CIA seine Regierung insbesondere durch finanzielle Unterstützung seiner Gegner zu destabilisieren. Mitschriften von Gesprächen zwischen Nixon und Regierungsmitgliedern, darunter sein damaliger Sicherheitsberater und späterer US-Außenminister (ab 4.09.1973) Henry Kissinger, belegen ein hohes Interesse an einem Sturz Allendes. 1971 zeigte sich Nixon gegenüber seinem Finanzminister John Connally empört, als Chile US-Unternehmen Entschädigungen nach der Verstaatlichung der Kupferindustrie verweigerte: "Ich habe beschlossen, daß wir Allende von der Bühne holen. (...) Er ist ein Feind (...) Alles ist in Chile erlaubt." Und Kissinger sagte damals: "Ich kann nicht einsehen, weshalb wir einfach daneben stehen sollten, wenn ein Land wegen der Verantwortungslosigkeit seines eigenen Volkes kommunistisch wird." Später stritt er jede Beteiligung der USA am Putsch des 11. September 1973 ab.

Die Rolle der UdSSR

Einige hundert chilenische Linke konnten in den Tagen des Putsches in ausländische Botschaften flüchten - so die spätere chilenische KP-Vorsitzende Galdys Marín in die niederländische Botschaft. Sie stand auf der Todesliste Pinochets unter den ersten Hundert. Doch weder die Botschaft der D"D"R noch die Botschaft der UdSSR nahmen in diesen Tagen Flüchtlinge auf. Solidarität mit dem ungeliebten demokratisch-sozialistischen Experiment Allendes hatte kein Gewicht gegenüber dem Interesse am chilenischen Kupfer. Erst eine Welle der internationalen Solidarität führte zu einem Kurswechsel des Ostblocks.

Dies wurde vor wenigen Jahren durch die Aussage des damaligen Mitarbeiters in der D"D"R-Botschaft in der chilenischen Hauptstadt Santiago de Chile, Johnny Norden, bestätigt. Norden nahm am 25. September 1973 in der D"D"R - also 14 Tage nach dem Putsch - an der entscheidenden Sitzung des Politbüros teil. In der für Leben oder Tod Vieler entscheidenden ersten Zeit nach dem Putsch bestand in der Führung der D"D"R laut Norden "keine klare Haltung" zum Regime Pinochets. Im Politbüro der SED wurde von einigen Mitgliedern "wirtschaftlichen Aspekten", so Norden, absolute Priorität eingeräumt. Das Interesse bestand darin, weiter Kupfer zu günstigen Preisen wie unter der Allende-Regierung zu beziehen. Gegen die Aufnahme von Emigranten wurden "Bedenken geäußert".

Am 18. September 1973 hatte das Politbüro der SED auf der ersten turnusmäßigen Sitzung nach dem Putsch Pinochets keine Hilfsmaßnahmen beschlossen. Zwar sollte die Solidaritätsbewegung mit dem chilenischen Volk agitatorisch genutzt werden, chilenische Flüchtlinge sollten jedoch weiter am Zugang zur Botschaft der D"D"R in Chile gehindert werden. So ließ der D"D"R-Botschafter Dr. Friedel Trappen in diesen Tagen alle Versuche von Verfolgten, in der D"D"R-Botschaft Asyl zu suchen, abweisen. Statt dessen sondierte er die Vorstellungen der Militärjunta um den Mörder Pinochet über die Perspektive der Beziehungen zur D"D"R. Auch die UdSSR wollte sich in der ersten Zeit nach dem Putsch außenpolitisch nicht festlegen. Erst am 21. September gaben die D"D"R und die UdSSR gleichzeitig die Unterbrechung der diplomatischen Beziehungen zum Militärregime in Chile bekannt. Und die bürokratische Nomenklatura der D"D"R ließ sich Zeit bis zu ihrer turnusmäßigen Sitzung am 25. September, um Beschlüsse zur Unterstützung der chilenischen Linken zu fassen. Erst ab diesem Zeitpunkt ließ die D"D"R-Botschaft Verfolgte der Junta ein.

Weder dem Ehemann noch den beiden Söhnen Galdys Maríns gelang im September 1973 die Flucht aus Chile. Ihr Mann wurde zusammen mit führenden VertreterInnen der KP Chiles von der Junta gefangen genommen und vermutlich ermordet. Seine letzten Spuren führen in die berüchtigte Deutschensiedlung "Colonia Dignidad".

 

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Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Ermordung Víctor Jaras unter Pinochet-Diktatur
      Haftbefehle nach 39 Jahren (28.12.12)

      Chile: Gefängnis für Pinochets
      Geheimdienst-Chef Contreras (8.09.08)

      Der Prager Frühling
      Auch 40 Jahre nach dem 21. August 1968
      kann die Geschichte etwas lehren (21.08.08)

      Pinochet immun
      Oberstes Gericht gegen irdische Gerechtigkeit (25.03.05)

      Ex-Chef der "Colonia Dignidad"
      in Argentinien festgenommen (10.03.05)

      Gladys Marín ist tot
      Chilenische KP-Vorsitzende erhält Staatsbegräbnis
      (7.03.05)

      Wird Pinochet nun doch der Prozeß gemacht?
      Für Chiles Ex-Diktator wird es eng (5.01.05)

      CIA und US-Wissenschaftler
      Artikel der 'Times', Los Angeles (28.01.01)