Durch einen Wirrwarr an ungeklärten Umständen und wechselnden Bezeichnungen kann eine rechtswidrige Tat nicht zu einer rechtmäßigen werden. Die Rechtswidrigkeit aller militärischen Handlungen in Afghanistan steht zudem von Anfang an fest. Eine gewalttätige militärische Intervention in ein fremdes Land, von dem keine Aggression ausging, ist als reine Aggression zu verurteilen. Von allen zivilisierten Ländern, die die internationale Rechtsstaatlichkeit wertschätzen. Deutschland verstößt seit langem grob und brutal gegen das UN-Prinzip der Nicht-Einmischung und gegen die Souveränität von Afghanistan. Das verursacht Widerstand und Aufstand.
Vor allem angesichts eines "Bürgerkriegs", wie der deutsche Außenminister die interne Lage in Afghanistan heute bezeichnet, ist es äußerst töricht und unangemessen, sich in einen solchen militärisch einzumischen. Diese Anmaßung aus einer Position militärischer Macht heraus hat eine schlimme Tradition in Deutschland. Schon beim Bürgerkrieg in Spanien 1936 haben Nazi-Brigaden den spanischen Faschisten dabei geholfen, die Republikaner zu besiegen. Das Nazi-Bombardement auf spanische Städte war grausam und vernichtend. Ohne die Hilfe des Dritten Reichs hätte sich das faschistische Regime Franco niemals durchgesetzt.
Heute bekennt sich die Führung Deutschlands zur Rechtsstaatlichkeit, nicht zu einer faschistischen Diktatur. Deshalb muß sie sich an Rechtsordnungen halten, national wie international. Zuerst sind die deutschen Autoritäten an das Grundgesetz gebunden, nach dem ein militärischer Einsatz im Ausland nur als Verteidigung erlaubt ist. Keineswegs als Angreifer, wie sich Deutschland seit dem mörderischen Bombardement gegen das damalige Jugoslawien 1999 schuldig gemacht hat.
Außenminister Guido Westerwelle spricht jetzt von einem "bewaffneten Konflikt" im Rahmen des humanitären Völkerrecht in Bezug auf Afghanistan. Eine solche Bezeichnung setzt aber die rechtlichen Grundlagen, nämlich das Grundgesetz, die UN-Charta und die Genfer Konventionen, nicht außer Kraft. Ganz im Gegenteil.
Nach dem humanitären Völkerrecht, das den Schutz von Zivilisten an erster Stelle berücksichtigt, ist der Waffen-Einsatz lediglich in Ausnahmesituationen gerechtfertigt, und zwar nur als reine Verteidigung. Das humanitäre Völkerrecht steht in vollem Einklang mit dem Grundgesetz. Als Verteidigung muß die militärische Reaktion auch verhältnismäßig sein. Andernfalls ist sie rechtswidrig, ungerechtfertigt.
Das Massaker am Hindukusch am 4. September 2009 sprengte alle Verhältnismäßigkeit mit den Konsequenzen von fast 150 toten Zivilisten. Mit anderen Worten, die Tat, der Angriffsbefehl von Oberst Klein, hat Objekt eines Strafprozesses zu sein, weil diese Tat das Leben anderer Personen schwer bedroht, sogar ausgelöscht und schwere Verletzungen verursacht hat, Personen, die nicht bewaffnet waren und keine Gefahr für den Angreifer darstellten, wie auch durch Beobachtung mit modernster militärischer Aufklärungstechnik vor der Tat feststellbar war. Ob der deutsche Oberst einem Irrtum unterlag und welchem, ist vor einem Strafgericht zu klären. Der Strafrichter ist aufgerufen, ihn zu verurteilen und eventuell eine Strafe mit mildernden Umständen zu erteilen, sollte der Irrtum unvermeidbar gewesen sein.
Ein Oberst muß befähigt sein und ist verpflichtet, die Konsequenzen seines Befehls abzuwägen, vor allem, wenn er es wagt, einen wohl gemeinten militärischen Rat zur Mäßigung abzulehnen. Deshalb ist es plausibel, daß er sich, wenn nicht für vorsätzliche Tötung, mindestens für grob fahrlässige Tötung verantworten muß. Aber gerade die vorsätzliche Tötung, also Mord, ist juristisch genügend begründet, wenn Oberst Georg Klein nach der Tat vom 4. September in einer Erklärung formulierte, er habe Aufständische durch US-Bomben "vernichten" wollen. Hinzu kommt, daß eine Liste von afghanischen Staatsbürgern existiert, deren Namen entweder mit einem c für "capture", gefangen nehmen, oder mit einem k für "kill", also töten, markiert sind. Es wird deshalb auch von einer "c/k-Liste" gesprochen. Daß Oberst Klein erwiesenermaßen NATO-Regeln mißachtete und die Piloten entgegen aller Routine keine die Menschen warnenden Tiefflüge ausführen ließ, belegt einen Vorsatz. Diese Tatvorsatz, der schwerlich zu entkräften sein wird, ebenso wie die bereits festgestellte Mißachtung von NATO-Vorschriften und das Vorhandensein einer Tötungsliste ist kaum zu leugnen. Euphemistische Ausdrücke aus dem Außenministerium sollten nicht dazu führen, die strafrechtliche Verantwortung von Oberst Klein zu vertuschen, denn ein Mann seines Ranges, der über die Befehlsgewalt zum Einsatz von Waffen verfügt, ist verpflichtet, sich an Regeln zu halten und verhältnismäßig zu handeln. Diese Verantwortung kann dem Oberst niemand abnehmen. Weder eine neue Propagandaformel noch irgendwelche Erklärungen aus dem Bundeskanzleramt oder aus einem Ministerium können Mord oder fahrlässige Tötung ungeschehen machen.
Militärische Maßnahmen sind gerade deshalb auszuschließen, weil sie heute ein modernes Instrumentarium der Vernichtung darstellen, das keinerlei Maß kennt. Das Morden unschuldiger Zivilisten darf von verantwortungsvollen Politikern niemals in Kauf genommen werden. Wo sonst ist der Unterschied zu Terroristen? Terror beginnt gerade dort, wo Gewalt ausgeübt wird und dadurch Vernichtung von Menschenleben in Kauf genommen wird. Kein Staat hat das Recht, Menschenleben zu gefährden. Krieg ist Ausübung von Gewalt mit Verachtung von Menschenleben in höchstem Maß. Krieg ist eindeutig bloßer Terror. Nicht weil reiche demokratische Industriestaaten dahinter stecken, verwandelt sich der Krieg, also der Terror, in etwas harmloses hinnehmbares. Das UN-Friedensgebot gilt für alle Staaten, unabhängig davon, ob sie Demokratien oder Despotien sind. Kurz, es geht darum, einer Kultur des Todes eine Kultur des Lebens entgegenzusetzen. Die heutigen militärischen Mittel sind vernichtend und ausrottend für alles Leben. Sie sind deshalb von einer menschlichen das Völkerrecht respektierenden Weltgesellschaft zu ächten. Diese Aufklärung im Regierungsmilieu und in der Öffentlichkeit ist dringend erforderlich, um die perverse Ungeheuerlichkeit zu entlarven, den Einsatz von Gewalt als notwendig und sogar als moralisch zu rechtfertigen. Das Gegenteil ist feststellbar der Fall, wie das Massaker am Kundus beweist. Zur Anwendung von Gewalt gilt die allgemeine gebotene Verhältnismäßigkeit, und zwar für jede Person und für jede zivilisierte Nation. Daher auch die Genfer Konventionen.
Sollte dieses Massaker Teil eines generellen Plans im Verteidigungsministerium oder sogar im Kanzleramt sein, wie oppositionelle Abgeordnete aufgrund von Indizien vermuten, muß eine rechtsbewußte Öffentlichkeit hier nachhaken. Die Vermutung würde erklären, welchen ungewöhnlichen Beistand der Oberst Klein von Anfang an von ganz oben erhält und mit welchen Bemühungen Minister versuchen, ihn vor einem Strafverfahren zu bewahren - und das sogar auch auf Kosten einer Demontage der geltenden Rechtsordnung. Diese begründete Vermutung aufzuklären und das Strafrecht anzuwenden ist innerhalb einer funktionierenden Rechtsordnung ein selbstverständlicher, normaler Vorgang, abgesehen davon, wie die Bundesregierung die militärischen Handlungen benennen will. Von agierenden Institutionen des Rechtsstaates hat der Oberst Klein nichts zu befürchten, wenn er im guten Glauben gehandelt hat, vorausgesetzt, er sagt die Wahrheit und nichts als die Wahrheit.
Die notwendige Aufklärung über Militäraktionen wird zur unvermeidlichen Schlußfolgerung führen, sie endgültig aus der Außenpolitik auszuschließen. Die Instrumente des Krieges können keine Rolle bei der Sicherung des Friedens spielen, weil sie unverhältnismäßig sind. Krieg führt nicht nur unweigerlich zu menschlichen Tragödien, sondern er ist gesetzlich zu verbannen, wie einmal die Folter zu verbannen war.
Gastbeitrag von
Luz María De Stéfano de Lenkait
Juristin und Diplomatin a.D.
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Anmerkungen
Siehe auch unseren Artikel:
Kundus-Massaker: Die Lügen des Oberst Klein
Wie lange kann sich zu Guttenberg noch halten?
(17.01.10)