Verfahren gegen zwei AKW-Betreiber
Bern (LiZ). Zwei der vier Schweizer Atomkraftwerke haben die Sicherheitsnote "ausreichend" erhalten. Und dies vom Eidgenössischen Nuklearsicher- heitsinspektorat (ENSI), das in Anti-AKW-Kreisen eher als notorischer Verharmloser einge- schätzt wird. Gegen die Betreiber des AKW Beznau und des AKW Gösgen sind zudem Verfahren anhängig.
Die beste Note, ein "hoch" bei der Bewertung der Sicherheit in den Schweizer AKW im Jahr 2009, erreichte diesmal keines der vier AKW. Ein "gut" war bislang die Regel. Doch in dem gestern (Mittwoch) veröffentlichten Bericht des ENSI erreichten die AKW Beznau und Gösgen nur die Note "ausreichend". Ein Grund hierfür liegt bei zwei "Störfällen", die mittlerweile sogar die Schweizer Strafbehörden beschäftigen. Im Block 2 des AKW Beznau wurden im August 2009 zwei Mitarbeiter einer Strahlung ausgesetzt, die den Grenzwert von 20 Millisievert überschritt. Die beiden waren unter dem Reaktordruckbehälter noch mit Arbeiten beschäftigt, als Kollegen oben in Abweichung des ursprünglichen Arbeitsplans bereits verstrahlte Rohre herauszogen. Weil zudem auch der Dosimeter falsch eingestellt war, bemerkten sie die hohe Strahlung zu spät.
Dieser "Störfall" konnte vom ENSI offenbar nicht so leicht heruntergespielt werden: Er wurde auf der internationalen Meldeskala INES auf Stufe 2 eingeordnet - so hoch wie bisher noch kein Vorkommnis in einem Schweizer AKW. Zudem hat die Aufsicht ein Straf-Verfahren eingeleitet. Es soll klären, ob in Beznau fahrlässig gehandelt wurde.
Mit einer Anzeige ist auch das AKW Gösgen konfrontiert. Beim Wiederanfahren des Reaktors nach einer Revision brannten am 24. Juni 2008 vier Sicherungen durch. In der Folge fielen "sicherheitsrelevante Elemente" aus. Und obwohl die Verantwortlichen nicht wußten, wo die Ursache dafür lag, setzten sie das Anfahren unbeirrt fort. Erst neun Monate darauf erfuhr das ENSI davon - viel zu spät, wie die InspektorInnen monierten. Dieser Fall liegt mittlerweile zur Abklärung bei der Schweizer Bundesanwaltschaft. Erschwerend kommt im Fall von Gösgen hinzu, daß das ENSI gewisse Sicherheitsberichte als mangelhaft bezeichnete.
Dennoch besteht laut ENSI-Aufsichtsleiter Peter Flury "kein Grund zur Sorge". Die Anforderungen für einen sicheren Betrieb seien stets erfüllt gewesen, sagt er. Den AKW in Leibstadt und Mühleberg erteilte das ENSI überdies eine "gute" Sicherheits-Note. Kritisch sehen dies die Umweltorganisationen. Die Schweizerische Energie-Stiftung bemängelt, daß sich die Gesamtzahl der Vorkommnisse auf 27 verdreifacht hat. "Unsere AKW sind nicht sicher", schließt sie daraus. Und Stefan Füglister, Atomexperte bei Greenpeace Schweiz, kritisiert das Verhalten der AKW-Betreiber als wenig vertrauensfördernd. Gleichzeitig begrüßt er aber, daß die ENSI endlich schärfere Töne anschlägt.
Ende 2008 hatte es noch geheißen, in der Schweiz sei der Neubau von drei Atomkraftwerken geplant. Im Januar 2009 wurde dann gemeldet, daß die Schweizer Strom-Konzerne - mit Blick auf die Atomenergie-Volksabstimmung im Jahr 2012 - lediglich einen einzigen Neubau am Standort Beznau planen, wo sich bereits ein AKW befindet. Offenbar besteht die Hoffnung, daß dort der Widerstand am geringsten sein wird. Im Sommer 2008 jedoch hatte der Schweizer Stromkonzern Atel Pläne für den Bau eines zweiten Reaktors am AKW-Standort Gösgen im Kanton Solothurn eingereicht. Im Herbst folgten die Konkurrenten Axpo und BKW, die - ebenfalls an den bestehenden Standorten - neue Reaktoren errichten wollen.
In der Schweiz wurde daraufhin spekuliert, daß die Strom-Konzerne Atel, Axpo und BKW lediglich aus taktischen Gründen den Neubau von drei Atomkraftwerken in die öffentliche Diskussion gebracht haben. So bestünde die Chance, sich von drei auf eins herunter handeln zu lassen und exakt das zu erreichen, was tatsächlich geplant war.
Die Mächtigen in der Schweiz werden die Umfrage-Ergebnisse zur Atomenergie mit großem Interesse verfolgt. Laut einer Umfrage des BFE vom Jahr 2009 waren in der Schweiz nur noch 52 Prozent gegen Atomenergie. Lediglich auf die Frage, ob sie sich vorstellen könnten, in der Nähe eines AKW zu leben, antworteten 72 Prozent mit Nein. Die Atomenergie-BefürworterInnen stellen deshalb Überlegungen an, daß bei einer Volksabstimmung über zwei Standorte ein hohes Risiko besteht, daß keines der beiden Ersatz-AKW eine Mehrheit findet. Einem einzigen AKW-Neubau im Osten der Schweiz könnten dagegen die im Westen wohnenden Menschen eher zustimmen - und umgekehrt.
Für Pfingst-Montag, dem 24. Mai, ist am AKW Gösgen eine Groß-Demo unter dem Motto "Menschenstrom gegen Atom" angekündigt. Die Schweizer Anti-AKW-Bewegung hofft auf rege Beteiligung auch aus den europäischen Nachbarländern.
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Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
Schweizer AKW Mühleberg
bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag?
Unbefristete Betriebsgenehmigung
ohne BürgerInnenbeteiligung (22.12.09)
August 2009: "Panne" im AKW Beznau
Zwei Angestellte verstrahlt - bis heute verharmlost
(9.11.09)
Desinformation in der 'Badischen Zeitung'
Die Schweizer Endlager-Suche (18.06.09)
Patt bei Atomenergie in der Schweiz
Hauptstadt Bern will auf erneuerbarre Energien umsteigen
(29.05.09)
Schwedische Regierung wünscht neue Atomkraftwerke
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(5.02.09)
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