11.01.2010

Aus für AKW Neckarwestheim I
in hundert Tagen?

...oder ein Dornröschenschlaf?

AKW Neckarwestheim Heilbronn (LiZ). Anders als immer wieder in den Mainstream-Medien dargestellt, gibt es keine Restlaufzeiten von Atomkraftwerken in Deutsch- land. Tatsächlich wurden im Jahr 2000 lediglich sogenannte Reststrommengen vertraglich vereinbart. Dies wurde als Atom-Ausstieg verkauft. Aus diesen Reststrommengen ließ sich - bei einer durchschnittlichen Stromproduktion des betreffenden AKW - ein vermutliches Abschaltdatum errechnen. Eine entsprechende Liste war auf der Internet-Seite des sogenannten Bundesumweltministeriums zu finden. Dort hieß es beispielsweise, das AKW Biblis A werde am 26. Februar 2007 stillgelegt. Bekanntlich ist dieser Meiler immer noch in Betrieb. Durch Stillstandszeiten ließen sich die sogenannten Restlaufzeiten beliebig dehnen. So war - um zwei weitere Beispiel zu nennen - für das AKW Brunsbüttel auf dieser Liste der 9. Februar 2009 verzeichnet und für das AKW Neckarwestheim I der 1. Dezember 2008 - nicht 2009!

Nun soll laut 'Stuttgarter Zeitung' vom 9. Januar endlich - und um über ein Jahr verspätet - der Countdown für das AKW Neckarwestheim I laufen. Bislang hatte sich der Strom-Konzern EnBW offenbar nur ungerne den Reingewinn von rund einer Million Euro pro Tag, den ein solches abgeschriebenes AKW abwirft, entgehen lassen. Es sind noch rund hundert Tage bis zum errechneten Abschalt-Termin. Möglich ist also immer noch, daß eine Revision, eine kleine unvorhergesehene Panne oder ähnliches dazu führt, daß Block I des AKW Neckarwestheim eine Pause einlegen kann - bis... ja, bis die für "Schwarz-Gelb" heiklen Wahlen in Nordrhein-Westfalen über die Bühne sind. Denn erst danach will die Bundesregierung unter Angela Merkel den von "Rot-Grün" angekündigten Atom-Ausstieg, der niemals ernsthaft vorgesehen war, aufkündigen.

Sollte jedoch EnBW so unvorsichtig sein, die vertraglich vereinbarte Reststrommenge auszuschöpfen - wovon der Journalist der 'Stuttgarter Zeitung', Andreas Müller, offensichtlich ausgeht, würde für Neckarwestheim I laut geltendem Gesetz die Betriebserlaubnis erlöschen.

Eine Alternative hierzu wird allerdings auch in der 'Stuttgarter Zeitung' präsentiert: Denn in dem sogenannten Atom-Ausstiegs-Gesetz aus dem Jahr 2000 ist - je nach Interpretation - ein Schlupfloch vorgesehen. Mit einer ministeriellen Sondergenehmigung könnte mit Hilfe einer Übertragung von Strommengen neuerer Atomkraftwerke des EnBW-Konzerns auf Neckarwestheim I dessen Kontingent ausgeweitet und so die Laufzeit verlängert werden - bis in den Herbst. Dann nämlich will "Schwarz-Gelb" über den vermeintlichen "Ausstieg aus dem Ausstieg" entscheiden.

Diese Alternative mit Hilfe einer Strommengenübertragung birgt jedoch ein gewisses juristisches Risiko: Die Rechtskraft der Übertragung könnte durch Anfechtungen hinausgezögert werden, so daß der Countdown abläuft und es für Neckarwestheim I unwiderruflich zu spät wäre. Doch selbst einige Minuten - genauer: einige Kilowattminuten - vor dem Ablauf des Countdown, könnte eine unvorhergesehene Panne den Reaktor in einen Dornröschenschlaf versetzen, der dann bis in den Herbst andauert.

Es müßte also schon eine unglaubliche Portion Dusseligkeit im Spiel sein, wenn EnBW in den kommenden drei Monaten seinen Goldesel Neckarwestheim I verlieren sollte.

Bei all diesen humoresken juristischen Spitzfindigkeiten darf der reale Zustand von Neckarwestheim I nicht vergessen werden: Selbst nach der wohlwollenden Störfall-Statistik des Bundesamtes für Strahlenschutz liegt Neckarwestheim I zusammen mit dem AKW Brunsbüttel auf den hintersten Plätzen. Seit der Inbetriebnahme im Juni 1976 gab es dort 419 meldepflichtige Ereignisse, was einer Jahresrate von 13 entspricht - nur übertroffen vom AKW Brunsbüttel mit 14 pro Jahr. Und mit insgesamt 39 Reaktorschnellabschaltungen liegt Neckarwestheim I zusammen mit dem ebenfalls in Baden-Württemberg beheimateten Meiler Philippsburg I am unteren Ende auch dieser Statistik.

Der EnBW-Konzern, der stets das "hohe Sicherheitsniveau" von Neckarwestheim betont, sieht das anders. Zwischen der Anzahl meldepflichtiger Ereignisse und der Sicherheit und Zuverlässigkeit gebe es "keinen direkten Zusammenhang". Mehr als die Hälfte der Meldungen stammten aus den ersten zehn Betriebsjahren. Seither sei die Tendenz fallend und die Zahl der Pannen hätte sich "auf einem sehr niedrigen Niveau eingependelt".

 

LINKSZEITUNG