23.01.2010

Unfall in der UAA Gronau

Arbeiter radioaktiv verstrahlt

Verrostende Fässer mit Atommüll von Urenco in Rußland Gronau (LiZ). Am Donnerstag, 21. Januar, wurde bei einem Unfall in der Urananreicherungsanlage (UAA) im münsterländischen Gronau ein Arbeiter radioaktiv verstrahlt. Die Öffentlichkeit wurde erst am Freitag informiert. Präzise Angaben über den Unfall-Hergang wurden bislang nicht freigegeben. Zugleich wird in absurder Weise verharmlost: Von dem kontaminierten Arbeiter gehe "keine Strahlung aus", heißt es unter Berufung auf einen Strahlenmediziner in den Mainstream-Medien. Diese Aussage, die offenbar lediglich zur Beruhigung der Öffentlichkeit dient, ist ebenso adäquat wie etwa die Aussage, der Arbeiter werde nun nicht die Cholera bekommen. Beide Aussagen sind nicht falsch, haben aber in einem Fall, bei dem ein Mensch unter Umständen strahlende Stoffe in die Lunge aufgenommen hat, keinerlei Relevanz. Alpha-Strahler wie etwa Plutonium-Atome, die sich in der Lunge befinden, sind von außen nicht meßbar - lösen aber mit hoher Wahrscheinlich Krebs aus.

Die Aufsichtsbehörde im Wirtschaftsministerium von Nordrhein-Westfalen erklärte, ein als "leer und gewaschen" deklarierter Behälter sei nicht vollständig leer gewesen. Dadurch sei es zu einer Freisetzung von radioaktivem Uranhexafluorid gekommen. Laut Greenpeace muß dieses Bruchstück einer Information über den Unfall-Hergang mißtrauisch machen. Es sei bekannt, daß die verwendeten Behälter nie vollständig entleert werden können. "Daher sind immer besondere Vorsichtsmaßnahmen erforderlich", erklärt Heinz Smital, Atomphysiker bei Greenpeace. Die Information lasse auf erhebliche Probleme in der Sicherheitskultur schließen. Selbst Bruchteile eines Gramms Uranhexafluorid (UF 6) in der Atemluft können tödlich sein. Ein einzelner Uranbehälter enthält 12,5 Tonnen UF 6.

Tödliche Risiken gehen in der Atomenergie nicht nur von Reaktoren aus, sondern von der gesamten Produktionskette. Schon im Umkreis von Uranminen kommt es zu großflächiger radioaktiver Kontamination. Ungeschützte Transporte mit Brennstäben und anderem gefährlichem Nuklearmaterial rollen beinahe täglich durch Deutschland. Deutsche Atomkraftwerke sind nicht ausreichend gegen Flugzeugabstürze geschützt, mit denen eine Reaktor- Katastrophe ausgelöst werden kann.

Nach wie vor existiert weltweit kein Endlager für hochradioaktiven Atommüll. Ungeachtet dessen verhindert "Schwarz-Rot-Grün-Gelb" in Deutschland im Dienste von E.on, RWE, Vattenfall und EnBW seit Jahren den Atom-Ausstieg.

Die UAA Gronau wird vom deutsch-britisch-niederländisches Konsortium Urenco betrieben. Eine Urananreicherungsanlage versorgt die Atomindustrie mit hochangereichertem Uran. Dieses wird zu Brennstäben verarbeitet, die im Reaktorkern von Atomkraftwerken mit Hilfe von Kernspaltung zur Erzeugung von Wärme eingesetzt werden. Die deutschen AKW-Betreiber E.on und RWE halten an Urenco jeweils 16,5 Prozent der Anteile. Nach eigenen Angaben versorgt Urenco rund 25 Prozent des weltweiten Bedarfs an Brennstäben. Wenig bekannt ist bis heute, daß im Jahr 2003 unter "Rot-Grün" ein Ausbau der UAA Gronau mit einer Verdreifachung der Produktionskapazität genehmigt wurde. Die Urananreicherung ist in den vergangenen Jahren ins Blickfeld der Öffentlichkeit geraten, nachdem das iranische Regime das "Recht" auf Urananreicherung beansprucht. Die Beispiele Pakistan und Nordkorea zeigen jedoch, daß jeder weitere Staat, der die Technologie der Urananreicherung mit hintereinandergeschalteten Gaszentrifugen beherrscht, diese auch nutzte, um in den Besitz der Atombombe zu gelangen.

Abgereichertes Uranhexafluorid wird seit Jahren aus Gronau nach Rußland transportiert. Bislang wurden rund 30.000 Tonnen mit der Bahn und auf Schiffen an die russische Firma Tenex geliefert. Dort wird es zum Teil erneut angereichert, so daß es in Deutschland wieder zu Brennelementen verarbeitet werden kann. Allerdings verbleiben 80 bis 90 Prozent der ursprünglich gelieferten Menge in Rußland. Es lagern also rund 25.000 Tonnen Atommüll aus Deutschland bei Tenex - nach einem Bericht des ZDF1 größtenteils in korrodierenden Fässern und Behältern unter freiem Himmel. Uranhexafluorid reagiert mit Feuchtigkeit zu gefährlicher Flußsäure. Diese ist weitaus aggressiver als Salzsäure und frißt sich sogar Glas hindurch.

Anti-AKW- und Umwelt-Initiativen fordern nach dem Unfall vom Donnerstag erneut die sofortige Stilllegung der UAA Gronau. Der Vorfall erinnere an die Verseuchungen in den Hanauer Atomfabriken, die letztlich alle stillgelegt werden mußten. Das Aktionsbündnis Münsterland gegen Atomanlagen erinnert daran, daß der 1988 stillgelegte Versuchsreaktor des Forschungszentrums Jülich nach wie vor das bevölkerungsreichste Bundesland der BRD bedroht. Durch einen Störfall, der sich schon 1978 ereignete, aber zwanzig Jahre verschwiegen wurde, ist der Untergrund unter dem Reaktor radioaktiv verseucht. Dessen Betreiber, die Arbeitsgemeinschaft Versuchsreaktor (AVR), will den 2.100 Tonnen schweren Reaktorkern nun in einer weltweit einmaligen Aktion um 200 Meter auf einem Luftkissenschlitten versetzen lassen. Daraufhin soll der Untergrund dekontaminiert werden. Der Rückbau der stillgelegten Anlage gestaltet sich insgesamt als äußerst schwierig.

Offenbar plant die AVR, hinter der als einziger Gesellschafter das Bundesfinanzministerium steht, auch ein oberirdisches Endlager: Schon heute rechnen die WissenschaftlerInnen des Forschungszentrums Jülich mit einer "Abklingzeit von mehr als 60 Jahren" für den Reaktorkern. So steht es auf deren Homepage. Weiter heißt es dort, daß die Einlagerung in das Endlager Konrad (sofern zu diesem Zeitpunkt noch in Betrieb), ebenfalls nicht in überschaubarer Zeit in Frage komme. Der Reaktorkern ist mit radioaktiven Isotopen wie Cäsium-137 und Strontium-90 verstrahlt. "Für den Reaktorkern gibt es derzeit keine Zerkleinerungstechnik", so der Sprecher des Forschungszentrums, Peter Schäfer

Die teilweise abgebrannten Brennelemente aus Jülich sollen noch in diesem Jahr ins Zwischenlager Ahaus transportiert werden. Proteste sind bereits angekündigt. Felix Ruwe von der Bürgerinitiative 'Kein Atommüll in Ahaus' wertet diese Transporte als "rein politisch motiviert". Die Verlagerung des Atommülls gefährde die Menschen entlang der Transportstrecke quer durch Rheinland, Ruhrgebiet und Münsterland. Für den heutigen Samstag sind gegen die CASTOR-Transporte Proteste mit einem "Autobahnaktionstag" angekündigt.

 

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Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel zum Thema:

      Einsturzgefahr im "Versuchs-Endlager" Asse II
      Atommüll wird rückgeholt (15.01.10)

      Endlagerstandort Gorleben
      Bei der Auswahl spielte Geologie kaum eine Rolle
      (10.01.10)

      Aus für AKW Ignalina
      Zahl der Reaktoren weltweit sinkt auf 435 (2.01.10)

      "Störung" im AKW Fessenheim
      Reaktor konnte nicht hochgefahren werden (27.12.09)

      Schweizer AKW Mühleberg
      bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag?
      Unbefristete Betriebsgenehmigung
      ohne BürgerInnenbeteiligung (22.12.09)