"Anti-Terror-Datei"
Urteil der Bundesverfassungsgerichts
ebnet Weg zu neuer Gestapo
Karlsruhe (LiZ). Das Bundesverfassungsgericht stellt zwar fest, daß das Gesetz zur Schaffung einer "Anti-Terror-Datei" aus dem Jahr 2007 in vielen Punkten verfassungswidrig ist. Zugleich aber läßt es zu, daß mit diesem Gesetz die Trennung von Polizei und Geheimdiensten weiter durchlöchert und so der Weg zu einer neuen Gestapo geebnet wird.
Das Gesetz zur Schaffung einer "Anti-Terror-Datei" wurde vor sechs Jahren von "Schwarz-Rot" geschaffen, um Daten von Polizei und Geheimdiensten zusammenzuführen. Das zentrale Problem hierbei besteht darin, daß bei Daten, die von Geheimdiensten stammen, in der Regel keine für die Polizei überprüfbaren Quellen vorgelegt werden. Unüberprüfbare Daten öffen der Willkür Tür und Tor und sind daher in einem rechtsstaatlichen Verfahren nicht verwertbar. Der pensionierte Richter Robert Suermann aus Oldenburg hatte die Klage vor dem Bundesverfassungsgericht eingereicht. Er wollte so verhindern, daß die Polizei auf diesem Wege Zugriff auf Daten des "Verfassungsschutzes" bekommt.
Angeblich soll die in den vergangenen sechs Jahren aufgebaute Datei Informationen über rund 18.000 IslamistInnen enthalten, von denen etwa 3400 in Deutschland leben sollen. Dies ist zwar nicht überprüfbar, erweckt jedoch den Anschein, daß "Otto Normalbürger" von einer solchen "Anti-Terror-Datei" nicht betroffen wäre. Aus den Erfahrungen mit der Gestapo der Nazi-Zeit in Deutschland war in den Nachkriegsjahren die Lehre gezogen wurde, daß die "Geschäftsbereiche" von Polizei und Geheimdiensten streng getrennt bleiben müssen. Die Geheimdienste - "Verfassungsschutz", Bundesnachrichtendienst (BND) und Militärischer Abschirmdienst (MAD) - entwickelten jedoch alsbald ein unkontrolliertes Eigenleben und wurden allmählich zu einem bedeutenden Machtfaktor in der BRD, einem Staat im Staat.
In seinen bisherigen Urteilen hat das Bundesverfassungsgericht nie klar Stellung bezogen, inwieweit die von Grundgesetz-KommentatorInnen behauptete Trennungsgebot von Polizei und Geheimdiensten zu den rechtsstaatlichen Grundlagen der BRD gehört. Das in dem vorliegenden Urteil definierte "informationelle Trennungsprinzip" bleibt nun auf halbem Wege stehen. Auf diese Weise legt das Bundesverfassungsgericht lediglich fest, daß es sich um einen "schweren Eingriff" handelt, wenn Informationen zwischen Polizei und Geheimdiensten ausgetauscht werden. Worum es im Kern geht, verriet allerdings indirekt der Vorsitzende des diesen Fall behandelnden Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts, Ferdinand Kirchhof: "Eine Geheimpolizei ist nicht vorgesehen."
Indem nun formal Hürden für den Informations-Austausch errichtet wurden, ermöglicht das Bundesverfassungsgericht eben diesen Austausch und die damit kaum mehr rückgängig zu machende Durchlöcherung der Trennung von Polizei und Geheimdiensten. Wieder einmal muß hierfür das Phantasie-Argument der Terror-Bekämpfung herhalten. Zugleich hat das Bundesverfassungsgericht sein Urteil mit einer anscheinend klaren Abgrenzung gegenüber der US-Politik versüßt. Die Terror-Bekämpfung dürfe "nicht als Krieg oder Ausnahmezustand" verstanden werden. Bekanntlich wurden in den USA unter dem Vorwand des "war on terror" nach dem 11. September 2001 unter den Präsidenten George W. Bush und Barack Obama bürgerliche Freiheitsrechte nach und nach immer weiter eingeschränkt.
Im Unterschied zu der in den USA längst weiter fortgeschrittenen Aushöhlung des Rechtsstaats ist in der BRD zwar ein gemächlicheres Tempo zu beobachten, doch die Marschrichtung ist dieselbe. Und ob diese innenpolitischen Veränderungen unter dem martialischen Propaganda-Begriff eines "Kriegs gegen den Terror" oder unter der scheinbar sachlichen Überschrift "Terror-Bekämpfung" realisiert werden, spielt am Ende keine Rolle.
Wie wenig ernst die RichterInnen des Bundesverfassungsgerichts ihr eigenes Urteil nehmen, zeigt sich in einer offensichtlich undurchführbaren Vorgabe: Das Bundeskriminalamt, in dessen Zuständigkeit die "Anti-Terror-Datei" liegt, soll der Öffentlichkeit regelmäßig über Datenbestand und Nutzung berichten. Klar ist zumindest, was damit nicht gemeint sein kann: Daß etwa offengelegt würde, welche Mutter in der "Anti-Terror-Datei" registriert wurde, weil ihr Kind in einen Kindergarten geht, der Verbindungen zu einem Moscheeverein unterhält. Denn dann wäre es unumgänglich, daß überprüft werden könnte, woher denn die Information über die vermeintliche Kontakt-Kette stammt.
Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich jedenfalls zeigte sich über das Urteil erfreut: "Ich glaube, daß wir insgesamt sehr froh sein können, daß die Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzes bestätigt worden ist." Die Innenexpertin der Linkspartei-Fraktion, Ulla Jelpke, kritisierte, das Bundesverfassungsgericht habe das Problem des verfassungsrechtlichen Trennungsgebots zwischen Diensten und Polizei nicht an der Wurzel gepackt. In einem Rückblick auf eine Reihe von Urteilen des Bundesverfassungsgerichts der vergangenen Jahre erkennt sie ansatzweise die Taktik der Berliner ParteipolitikerInnen: Zwei Schritte vor, einer zurück. Von Mal zu Mal wurden Gesetze mit weitreichenden Einschränkungen der Grundrechte verabschiedet, die dann vom Bundesverfassungsgericht zurückgestutzt wurden. Doch jedes Mal wurde so ein weiterer Schritt in die vorgegebene Marschrichtung ermöglicht.
Jelpke nennt als Beispiele das "Luftsicherheitsgesetz", das "Rot-Grün" im Jahr 2005 verabschiedete und das zunächst vorsah, daß zivile Flugzeuge über Deutschland vom Militär abgeschossen werden dürfen. Das Bundesverfassungsgericht kippte auch die Vorratsdatenspeicherung aller Telefongespräche und Internetnutzungen - allerdings nur in der weitreichenden Fassung, wie sie von "Schwarz-Rot" ins Gesetz geschrieben war.
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
Bundesverfassungsgericht: Vorratsdatenspeicherung
war verfassungswidrig
Schlupfloch für Sammelwut bleibt offen (2.03.10)
Bundesverfassungsgericht präsentiert
größte Mogelpackung aller Zeiten:
Das virtuelle Grundrecht (28.02.08)
Lizenz zum Abschuß von Passagierflugzeugen
Bundesverfassungsgericht entscheidet
über "Luftsicherheitsgesetz" (9.11.05)