Zürich (LiZ). Der frühere Flick-Manager Eberhard von Brauchitsch und seine Frau Helga haben offenbar in Zürich Selbstmord begangen. Von Brauchitsch war eine der Schlüsselfiguren des Flick-Skandals. Laut Familienangehörigen soll der schlechte Gesundheitszustand der beiden ursächlich für den Suizid gewesen sein.
Eberhard von Brauchitsch und seine Frau Helga waren 83 Jahre alt. Zuletzt hatten sie laut Boulevard-Presse "sehr zurückgezogen" gelebt. Nach anderen Angaben hat das Paar abwechselnd in Monaco, Österreich und in der Schweiz gelebt. In der 'Süddeutschen Zeitung' erschien heute eine Todesanzeige.
Von Brauchitsch zählte zu den einflußreichsten Industriellen der Bundesrepublik. Er galt zudem als eine der Schlüsselfiguren des Parteispenden-Skandals, der Bundeskanzler Helmut Kohl fast das Amt gekostet hätte.
Die Union hatte sich in der Ära des Bundeskanzlers Helmut Kohl mit komplizierten mafiösen Spendenwaschanlagen "finanzielle Quellen" erschlossen, die der Öffentlichkeit verborgen bleiben sollten. Eine zentrale Rolle spielte dabei Anfang der 1980er Jahre der Flick-Konzern, dessen damaliger Manager Eberhard von Brauchitsch die Zahlungen an die Brauchbaren in allen etablierten Parteien als "Bonner Landschaftspflege" bezeichnete. Da insbesondere Zahlungen an die Union ins öffentliche Bewußtsein drangen, verstärkte der Parteispenden-Skandal letztlich den Mythos, CDU und CSU seien einzig oder vorrangig die "Parteien des Kapitals".
Die Flick-Affaire wurde wieder in Erinnerung gerufen, als Kohls früherer Innenminister Manfred Kanther im Jahr 2004 der Prozeß gemacht wurde. Kanther hatte - zusammen mit Casimir Prinz zu Sayn-Wittgenstein und Horst Weyrauch - 1983 über 20 Millionen Euro "unbekannter Herkunft" auf Schweizer Nummern-Konten verschoben. Außer diesen drei hessischen Spießgesellen will niemand - insbesondere nicht der von 1999 bis 2010 amtierende hessische Ministerpräsident Roland Koch - von diesem Schatz gewußt haben, obwohl das Geld aus der Schweiz reichlich in die hessischen CDU-Kassen und vor allem an geeignete CDU-Hoffnungsträger floß. Im April 2005 wurde Manfred Kanther erstinstanzlich vom Landgericht Wiesbaden zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten auf Bewährung verurteilt, weil er sich der Untreue gemäß Paragraph 266 des Strafgesetzbuches schuldig gemacht habe. Nach etlichem juristischem Hin und Her, wurde das Verfahren vor dem Landgericht Wiesbaden im September 2007 erneut eröffnet und Kanther wegen Untreue zu einer Geldstrafe in Höhe von 300 Tagessätzen verurteilt. Manfred Kanther darf daher als "vorbestraft" bezeichnet werden.
Bevor der Flick-Skandal Anfang der 1980er Jahre aufgedeckt wurde, flossen die verdeckten Spenden an die Union über die "Staatsbügerliche Vereinigung", die als Spendenwaschlanlage zwischengeschaltet war. Auf dem Höhepunkt der Partei-Spenden-Affaire zogen die Grünen - eine solche Partei gab es damals nicht nur dem Namen nach - 1983 mit einem heftig umstrittenen Plakat in den Wahlkampf, auf dem Helmut Kohl, Otto Graf Lamdsdorff & Co. als Punks karikiert waren - Motto: "legal - illegal - scheißegal". Die Grünen erreichten 5,6 Prozent und damit erstmals Sitze im Bundestag.
Ab 1983 flossen die Gelder aus der Schweiz beispielsweise über Testamentsvollstrecker in die Kassen der hessischen CDU. Perfider Weise wurden diese Finanzmittel häufig als Erbschaften jüdischer Mitbürger deklariert.
Als Generalbevollmächtigter des Flick-Konzerns verteilte Eberhard von Brauchitsch nachweislich rund 26 Millionen Mark an Parteien, Stiftungen und einzelne PolitikerInnen. Er bezeichnete dies als "politische Landschaftspflege." Zu den EmpfängerInnen des Geldes gehörten auch der frühere Wirtschaftsminister Hans Friderichs ("F"DP) und sein Nachfolger Otto Graf Lambsdorff ("F"DP). Lambsdorff mußte in der Folge zurücktreten. Die beiden Ex-Minister wurden 1987 wegen Steuerhinterziehung beziehungsweise Beihilfe zu Bewährungs- und Geldstrafen verurteilt. Brauchitsch wurde später wegen Steuerhinterziehung zu einer Bewährungsstrafe und einer Geldbuße verurteilt. Vom Anklagepunkt der Bestechung wurde er freigesprochen.
Nachgewiesen werden konnten viele der Schwarzgeld-Zahlungen des Flick-Konzerns an deutsche PolitikerInnen, weil dessen Buchhalters Rudolf Diehl alles akribisch notierte, was sonst üblicherweise nicht schriftlich festgehalten wird. So war etwa "FKF wg. FJS" leicht als "Friedrich Karl Flick wegen Franz Josef Strauß" zu entschlüsseln. Oft ließen sich zudem die mit Datum und Betrag in Mark versehenen Kürzel bestimmten Treffen und einer dabei von ZeugInnen bestätigten Übergabe verschlossener Briefumschläge zuordnen.
Dem Flick-Konzern ging es in dieser Zeit nicht allein darum, die aus seiner Sicht brauchbaren PolitikerInnen in den etablierten Parteien gegenüber kritischen oder gesetzestreuen einen Vorsprung zu verschaffen, sondern zudem um die Vermeidung von Steuerzahlungen in Höhe von nahezu einer Milliarde Mark. Im Jahr 1975 hatte der Konzern Aktien des Automobil-Konzerns Daimler-Benz AG im Wert von 1,9 Milliarden Mark an die Deutsche Bank verkaufte. Flugs wurde beim zuständigen Bundeswirtschaftsministerium eine Steuerbefreiung für dieses Geschäft nach Paragraph 6b des Einkommensteuergesetzes für volkswirtschaftlich förderungswürdige Reinvestitionen beantragt. Die zu zahlenden Steuern hätten knapp 986 Millionen Mark betragen. Sowohl Minister Hans Friderichs ("F"DP) als auch sein Nachfolger Otto Graf Lambsdorff ("F"DP) erteilten diese Genehmigungen.
1981 stieß der Steuerfahnder Klaus Förster nach hartnäckigen Ermittlungen, die seinen Vorgesetzten äußerst unangenehm waren, auf die Notizen des Buchhalters Diehl. Dort fand er - leicht zu entschlüsselnde - Hinweise auf Schwarzgeld-Zahlungen an PolitikerInnen aller zu diesem Zeitpunkt im Bundestag vertretenen Parteien. (Die Grünen zogen 1983 erstmals in den Bundestag ein und benötigten von diesem Zeitpunkt gerechnet 7 Jahre, bis sie sich nur noch im Parteiprogramm von den anderen Parteien unterschieden.) Aus Diehls Aufzeichnungen ging hervor, daß etwa dem "C"SU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß dreimal 250.000 Mark, dem "C"DU-Vorsitzenden Helmut Kohl 50.000 Mark, Hans Friderichs mehrmals der Betrag von 70.000 Mark, Otto Graf Lambsdorff mehrmals der Betrag von 30.000 Mark und Walter Scheel ("F"DP) einmal 100.000 Mark zugesteckt wurden. Da Fridrichs und Lambsdorff mit der Entscheidung über die beantragte Steuerbefreiung befaßt waren, lag der Verdacht der Bestechung beziehungsweise Bestechlichkeit nahe. Steuerfahnder Förster mußte sein berufliches Engagement mit einem deutlichen Knick seiner Karriere bezahlen.
Am 29. November 1983 kündigte die Staatsanwaltschaft an, Anklage gegen die Manager Eberhard von Brauchitsch und Manfred Nemitz wegen fortgesetzter Bestechung, sowie wegen Bestechlichkeit gegen Friderichs, Lambsdorff und den früheren Wirtschaftsminister des Landes Nordrhein-Westfalen Horst Ludwig Riemer zu erheben. Der Bundestag hob am 2. Dezember auf Ersuchen der ermittelnden Bonner Staatsanwaltschaft die Immunität des amtierenden Bundeswirtschaftsministers Lambsdorff auf, der dann, als die Anklage zugelassen wurde, am 27. Juni 1984 zurücktrat. Eine Beeinflussung politischer Entscheidungen durch die Geldzahlungen ließ sich aber angeblich nicht nachweisen.
Der Prozeß vor dem Bonner Landgericht zog sich rund anderthalb Jahre hin. Nach Aussage des Richters Hans Henning Buchholz fielen "nahezu alle Zeugen (...) durch ihr schlechtes Erinnerungsvermögen auf". Letztlich wurden am 16. Februar 1987 Eberhard von Brauchitsch sowie die Politiker und vormaligen Bundeswirtschaftsminister Friderichs und Otto Graf Lambsdorff lediglich wegen Steuerhinterziehung beziehungsweise Beihilfe zur Steuerhinterziehung verurteilt. Von Brauchitsch erhielt eine Bewährungs-, Lambsdorff und Friderichs Geldstrafen.
Die Flick-Affaire brachte zu Tage, daß in den 1970er Jahren alle zu diesem Zeitpunkt im Bundestag vertretenen Parteien - "C"DU, "C"SU, "S"PD und "F"DP - Spenden des Flick-Konzerns erhalten hatten - teilweise über als gemeinnützig eingestufte parteinahe Organisationen wie die Staatsbürgerlichen Vereinigung. Durch einen Bundestags-Untersuchungsausschuß wurde publik, daß zwischen 1969 und 1980 mehr als 25 Millionen Mark aus Flicks schwarzen Kassen an PolitikerInnen dieser Parteien geflossen waren. Dabei gingen in diesem Zeitraum 15 Millionen Mark an die Union, 6,5 Millionen an die "F"DP und 4,3 an die "S"PD. Es war nicht mehr zu bestreiten, daß sich all diese Parteien eindeutig über die geltenden Bestimmungen des Parteiengesetzes hinweggesetzt hatten. Dennoch konnte Bundeskanzler Kohl die Flick-Affaire "aussitzen".
Der Ex-Manager von Brauchitsch nahm ab Ende der 1980er Jahre zahlreiche weitere Positionen in der deutschen Wirtschaft ein. Nach seiner Zeit beim Flick-Konzern arbeitete er unter anderem als Unternehmensberater. Nach der Wiedervereinigung wurde er Aufsichtsratsvorsitzender des ostdeutschen Chemie-Konzerns Buna.
Es wäre naiv anzunehmen, Konzerne würden ihr Geld verschenken und wüßten nicht, sich damit diese "hohen Herren" zu Diensten zu machen. Notfalls wirkt ein Abdrehen des Stroms an Zuwendungen bei gelegentlichen Unbotmäßigkeiten viel effektiver als eine Bestechung mit penibler Zuordnung von Leistung und Gegenleistung wie zu Zeiten des Flick-Buchhalters Rudolf Diehl und des Flick-Managers Eberhard von Brauchitsch ("FKF wg FJS"). Zudem wird von Medien und Parteihierarchien eine unsichtbare Selektion ausgeübt: Die "Anpassungsfähigen" werden mit Aufmerksamkeit belohnt, die "Unbelehrbaren" mit Häme überzogen, diffamiert oder schlicht ignoriert. So ist gewährleistet, daß in aller Regel die schwächsten und anfälligsten Menschen von der Basis der Parteien in den Hierarchien aufsteigen. Daher ist eine Bestechung im engeren Sinne, wie sie im Verlauf der Flick-Affaire aufgedeckt wurde, allenfalls punktuell zur Durchsetzung spezifischer Konzern-Interessen, jedoch nicht zur Beeinflussung der generellen Ausrichtung der Parteien-Politik in der BRD nötig. Die Zustimmung zu Krieg, Atomenergie und Gentechnik gehört zum - teils offenen, teils geleugneten - Grundkonsens aller Parteien-PolitikerInnen, die hierzulande Karriere machen. Die legale Korruption, die darin besteht, sich als Teil einer Herrschafts-"Elite" fühlen zu dürfen, was sich in materiellen (wie etwa Dienstlimousinen) und immateriellen (wie etwa die Einladung zu "Höhepunkten des gesellschaftlichen Lebens") Statussymbolen ausdrückt, genügt in der Regel zur Einbindung in die Interessen eines Mensch und Natur verachtenden Herrschaftssystems.
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Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
Hessens Ministerpräsident
Roland Koch tritt zurück (25.05.10)
60 Jahre Unrechts-Staat BRD
(23.05.09)
Flick-Collection und Flick-Connection
Ein Skandal, den nur wenige bemerken (6.09.04)