Menschenkette am falschen Platz
Dresden (LiZ).
Gegen den Aufmarsch von Neonazis in Dresden demonstrierten auf der einen Seite der Elbe rund 10.000 Menschen, die sich rund um die Innenstadt zu einer Kette formierten, und auf der anderen Seite der Elbe rund 14.000 Menschen, die den überwiegend im Neustädter Bahnhof ankommenden Neonazis mit gewalt- freien Staßenblockaden das Durchkommen verwehrten. Verhindert haben den Nazi-Aufmarsch ganz offensichtlich nur die BlockiererInnen.
Daß sich so viele Menschen an den Blockaden beteiligten, ist sicherlich indirekt auch der Dresdener Staatsanwaltschaft zu verdanken, die Ende Januar mit überzogenen Hausdurchsuchungen und Beschlagnahme-Aktionen von Plakaten für bundesweite Aufmerksamkeit gesorgt hatte. Hierdurch hatte sie die übliche Taktik, wonach den GegendemonstratInnen der "Aufruf zu Straftaten" (Aufruf zur Blockade), "Gewaltbereitschaft" und "Extremismus" vorgeworfen wird, ad absurdum geführt. Als offensichtlich überzogen nahm eine kritische Öffentlichkeit auch Ankündigungen von Mainstream-Medien wahr, die wie etwa der Berliner 'Tagesspiegel' bereits vor etlichen Tagen von einer "Invasion der Extremisten" in Dresden schrieben. Mit solchen Schlagzeilen sollten nicht nur demokratisch engagierte BürgerInnen von einer Fahrt nach Dresden abgeschreckt werden, sondern zugleich sollte damit die altbekannte perfide Gleichung zwischen Links- und RechtsextremistInnen eingehämmert werden.
Zugleich wurde mit der Menschenkette, zu der die Dresdener Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) aufgerufen hatte, und die neben ihr von Prominenz wie dem sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) und der Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Linkspartei) geziert wurde, eine neue Dimension von Spaltungsversuch gestartet. Viele Medien-VertreterInnen hatten sich nicht zufällig bereits im Vorfeld auf die Sprachregelung eingestellt, wonach auf der einen Elbseite friedlich demonstriert werde, während sich auf der anderen Elbseite die ExtremistInnen gewaltsame Straßenkämpfe liefern sollten. Doch dieses Konzept ging nicht auf: In über 120 Bussen kamen die GegendemonstrantInnen aus dem gesamten Bundesgebiet angereist. Allein aus Berlin kamen 36 Busse.
Nicht vergessen soll hierbei, daß sich eine kleine Zahl von DemonstrantInnen sowohl an der Menschenkette als auch an den gewaltfreien Blockaden rund um den Neustädter Bahnhof beteiligte. Alle friedlichen DemonstrantInnen, die BefürworterInnen des Afghanistan-Kriegs ausgenommen, haben in Dresden auf beiden Elbseiten ein Zeichen gegen die Vereinnahmung des Gedenktages durch Neonazis gesetzt. Die Neonazis wollen die Bombardierung Dresdens am 13. Februar 1945 (und an den Folgetagen) durch die Alliierten mit dem Holocaust gleichsetzen und so die von Nazi-Deutschland betriebene systematische und industriell organisierte Ausrottung der Juden relativieren. Zugleich konnten die zahlreichen GegendemonstrantInnen in Dresden sich mit ihrem friedlichen Protest von den "Antideutschen" abgrenzen, für die Parolen wie etwa "Bomber-Harris - Do it again!" typisch sind.
Bereits am Samstag morgen waren etliche Busse mit GegendemonstrantInnen in Dresden angekommen. Viele waren verwundert, daß die meisten Busse - entgegen der Ankündigungen der Polizei - ohne Kontrollen bis in die Dresdener Neustadt fahren konnten. Denn die Neonazis hatten angekündigt, am Bahnhof Neustadt ihren Aufmarsch durch Dresden zu beginnen. Auch der befürchtete und sattsam aus früheren Jahren bekannte stundenlange Zwangsstopp wegen Polizeikontrollen auf der Autobahn wurde von den wenigsten vermißt. Statt dessen konnte die Busfahrt genutzt werden, um sich auf den Blockade-Einsatz an den untereinander abgesprochenen Straßenteilstücken vorzubereiten.
Wer bereits am Vormittag in der Dresdener Neustadt ankam, versuchte so schnell wie möglich zum eigenen Blockadepunkt zu gelangen. Der Weg dort hin war für manche ein bis zwei Kilometer vom Bushalteplatz entfernt. Durch die Einteilung der BlockiereInnen in Kleingruppen, die genau wußten, auf welchen Wegen sie zu ihrem Blockadepunkt gelangen konnten, war die Polizei völlig überfordert, die Blockaden zu verhindern. Ein Polizei-Einsatzleiter aus Bayern merkt nüchtern an: "Wenn das hier friedlich bleibt, können wir die nicht mehr alle räumen. Dann kommen die Rechtsextremen nicht weg." An einer Stelle versuchte ein Polizei-Trupp GegendemonstrantInnen in Richtung schwarzer Block zu drängen. Als die Menschen lautstark erklärten, daß sie nicht dorthin wollen, erwiderte ein Polizist: "An einem solchen Tag weiß man, was in Dresden los ist und bleibt zu hause!" Noch gegen zehn Uhr versuchte die Polizei in Kampfmontur und in Ketten formiert, die GegendemonstrantInnen mit dem Schlagstock aufzuhalten. Doch immer mehr Kleingruppen gelang es, durch Lücken in der Polizei-Phalanx zu ihren Blockadepunkten zu gelangen. Und schon zehn Minuten später mußte die Polizei ihr Konzept aufgeben und weitere tausende von GegendemonstrantInnen durchlassen.
Kurz nach zehn Uhr hatte die erste von fünf Blockade-Gruppen um den Neustädter Bahnhof eine ausreichende Zahl von Menschen erreicht. Bis zu sieben Stunden lang harrten die BlockiererInnen in Eiseskälte auf der Straße sitzend aus. Erst um 17 Uhr erklärte die Polizei die Versammlung der rund 7000 Neonazis am Neustädter Bahnhof für beendet. Als dies über Lautsprecher bekannt gegeben wurde, brach Jubel aus. Alle tanzten, sangen und lagen sich vor Freude in den Armen. "Es ist ein großer Erfolg für alle, die sich aktiv den Neonazis in den Weg gestellt haben", sagte Lena Roth, Sprecherin des Bündnisses 'Dresden-Nazifrei'.
Daß Oberbürgermeisterin Orosz und Ministerpräsident Tillich die Niederlage der Neonazis als Erfolg der Menschenkette mit 10.000 Teilnehmern in der Altstadt zuschrieben, ärgerte viele der linken DemonstrantInnen: "Es ist doch absurd: die Menschenkette war auf der anderen Seite der Elbe. Die haben nicht einen einzigen Nazis zu Gesicht bekommen", sagte ein Blockierer. "Hätten wir hier nicht stundenlang in der Kälte gesessen, wären die Nazis ganz normal losgelaufen", fügte ein älterer Herr aus Potsdam hinzu. Traurig ist allerdings, daß von den EinwohnerInnen Dresdens sich allenfalls 3 Prozent am Protest gegen die Neonazis beteiligten. Dresden hat mehr als eine halbe Million EinwohnerInnen.
Die gewaltfreien BlockiererInnen hatten mit monatelanger Vorbereitung und stundenlangem Sitzen bei Minusgraden ein Ziel erreicht, das viele bislang nicht für möglich hielten. Der alljährlich größte Aufmarsch von Neonazis in Europa konnte so gestoppt werden. Dem Versuch der Neonazis, den Gedenktag der Bombardierung Dresdens für ihre Zwecke zu instrumentalisieren, wurde so ein Riegel vorgeschoben. Zugleich wurde damit klar, daß es eine Möglichkeit gibt, das Grundrecht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit zu respektieren und zugleich dem Anspruch der Neonazis, eine Meinung zu vertreten, eine deutliche und unmißverständliche Antwort zu geben.
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Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
Neonazis dürfen in Dresden marschieren
Gericht entscheidet für Versammlungsfreiheit (11.02.10)
Neonazi-Aufmarsch am 13. Februar in Dresden
Bündnis hält an Blockadeaufruf fest (27.01.10)