15.11.2011

V-Mann "Kleiner Adolf"
war in Kassel bei Mord zugegen

V-Mann am Tatort Frankfurt (LiZ). Beim Mord an dem 21-jährigen Halit Y. am 6. April 2006 in einem Internet-Café in Kassel war offenbar ein Mitarbeiter des Hessischen "Verfassungsschutzes" zugegen, der selbst enge Beziehungen zur Neonazi-Szene hatte. In seinem hessischen Heimatdorf trug der Mann den Spitznamen "Kleiner Adolf".

Bei den Ermittlungen im Jahr 2006 war die Polizei erst durch die Auswertung einer PC-Festplatte des Internet-Cafés und einen Gen-Test auf den hessischen V-Mann gestoßen, der sich - anders als sechs weitere Zeugen - nicht freiwillig gemeldet hatte. Erst nach eingehenden Verhören habe der "Verfassungsschutz"-Mitarbeiter gestanden, am Tatort gewesen zu sein. Dennoch wurde eine Anklage gegen ihn "mangels Beweisen" niedergeschlagen. Bekannt wurde nun, daß bei den Ermittlungen des hessischen Landeskriminalamtes vor vier Jahren zutage gekommen war, daß der Beamte in seinem Heimatdorf den Spitznamen "Kleiner Adolf" trug und daß in seiner Wohnung sowohl handschriftliche Notizen zu Hitlers "Mein Kampf" als auch ein polizeiliches Fachbuch über Serienmorde gefunden wurden.

Nach Zeugenaussagen soll der V-Mann am Tatort eine Tüte bei sich getragen zu haben. Er steht im Verdacht, Patronenhülsen am Tatort eingesammelt zu haben, was darauf hindeutet, daß die Herkunft der Tatwaffen verschleiert werden sollte. Auffallend ist zudem, daß die Mordserie, bei der immer dieselbe Waffe benutzt wurde, mit jenem Mord vom 6. April 2006 endete. Die Kasseler Staatsanwaltschaft leitete in den Jahren 2006 und 2007 die Ermittlungen gegen den Beamten, der vom hessischen Landesamt für "Verfassungsschutz" angeblich unverzüglich nach seiner Festnahme entlassen worden war. Es wurden auch Nachforschungen zu einem möglichen Zusammenhang zu den anderen "Döner-Morden" geführt, was jedoch wegen angeblich "hundertprozentiger Alibis" des Beamten für mehrere der fraglichen Tage zu dessen Gunsten verlief. Trotz etlicher Indizien, die sich bei einer Durchsuchung der Wohnung des V-Mannes ergaben, wurde das Verfahren am Ende "mangels Beweisen" eingestellt.

Bislang scheint der hessische "Verfassungsschutz" zu der Rolle seines Beamten in der Neonazi-Mordserie, der zwischen 2000 und April 2006 acht türkischstämmige Kleinunternehmer und ein Grieche und 2007 in Heilbronn eine Polizistin zum Opfer gefallen waren, Stillschweigen zu bewahren. "Wir nehmen dazu keine Stellung", sagte ein Sprecher des hessischen "Verfassungsschutzes" auf Anfrage. Die Staatsanwaltschaft Kassel habe zwar gegen den Mann ermittelt, ergänzte er dennoch. Sie habe das Verfahren im Januar 2007 aber eingestellt, weil sie dem V-Mann keinen Zusammenhang mit dem Mord habe nachweisen können.

Nach der im Anschluß an die Ermittlungen der Jahre 2006 und 2007 verbreiteten Version habe der beamtete V-Mann eine Minute vor dem tödlichen Schuß aus einer Waffe mit Schalldämpfer den Tatort verlassen. Dies könne nach der heutigen Beweislage nicht aufrechterhalten werden, berichtete die 'Frankfurter Allgemeine Zeitung' unter Berufung auf Sicherheitskreise in Wiesbaden.

Die Ermittlungsbehörden gehen mittlerweile davon aus, daß die bisher bekannten Täter der Neonazi-Mordserie weitere Mittäter hatten. Darauf deutet nicht zuletzt der Fund "legal illegaler" Pässe, die auf Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos ausgestellt und die dem Vernehmen nach im Auftrag eines Geheimdienstes gefälscht worden waren.

Mittlerweile wurde bekannt, daß der thüringer "Verfassungsschutz", der nach dem Zusammenbruch der DDR vom hessischen "Verfassungsschutz" aufgebaut worden war, mehr als bislang eingeräumt über die Terror-Gruppe "Nationalsozialistischen Untergrund" gewußt hat. 1998 hatte die Polizei in Jena eine Bombenwerkstatt ausgehoben, sie fanden in einer von Beate Z., der Mittäterin der Neonazi-Terroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, angemieteten Garage vier Rohrbomben mit 1,4 Kilogramm des Sprengstoffs TNT. Aber die zwei Männer und die Frau, die den Behörden wegen ihrer Verbindungen zum rechtsextremen "Thüringer Heimatschutz" bekannt waren, konnten abtauchten. Hierbei müssen sie geheimdienstliche Hilfe erhalten haben.

Der von 1994 bis Herbst 2000 amtierende Präsident des thüringer "Verfassungsschutzes", Helmut Roewer, zahlte laut offizieller Darstellung Honorare an Kontakt-Personen in neonazistischen Organisationen, die er aus einer inoffiziellen Kasse entnahm. Ob Roewer tatsächlich wegen zu großer Nähe zu Neonazis suspendiert wurde oder vielleicht im Gegenteil, weil er zu viel über illegale geheimdienstliche Verbindungen erfahren hatte, muß derzeit offenbleiben.

Tatsache ist, daß Roewer den Chef der Neonazi-Organisation "Thüringer Heimatschutz", Tino Brandt, zugleich V-Mann des thüringer "Verfassungsschutzes", im Mai 2000 abgeschaltet hatte. Dem "Thüringer Heimatschutz" gehörten Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Z., als auch der nun in Hannover verhaftete Holger G. an. Roewer hatte sich auch über ein "Leck" in seiner Behörde beklagt. Offenbar erhielt die Neonazi-Szene unautorisiert Informationen aus seiner Behörde.

Tino Brandt war 1999 zum Vize-Chef der thüringer NPD und deren Pressesprecher aufgestiegen. Er hatte Aufmärsche in Erfurt, Gera und Weimar organisiert. Tino Brandt (Deckname "Otto") wurde von Roewers Stellvertreter - nach Rücksprache mit dem damaligen Erfurter Innenstaatssekretär Georg Brüggen, später Staatskanzleichef in Sachsen - wieder aktiviert. Roewers Nachfolger Thomas Sippel traf sich noch mindestens sieben mal konspirativ mit Tino Brandt. Nachdem Roewer im Herbst 2000 in den einstweiligen Ruhestand versetzt worden war, betätigte er sich als Schriftsteller. Nach eigenen Angaben lebt er heute "in Weimar und Italien."

In Jahr 2001 äußerte ein Zielfahnder des Landeskriminalamts einen für den thüringer "Verfassungsschutz" brisanten Verdacht: Beate Z. sei eine Quelle des Geheimdienstes gewesen. Der "Verfassungsschutz" in Erfurt erklärte damals, "dienstliche Erklärungen" der Mitarbeiter sprächen gegen diese Vermutung.

Merkwürdig ist, daß in der Berichterstattung der Mainstream-Medien das wichtigste Detail in dem Fall in aller Regel ausgelassen wird: Die Tatsache, daß die gefälschten Pässe der beiden Neonazi-Terroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos von solch auffallend guter Qualität sind, daß sie nur von einem Geheimdienst stammen können (siehe hierzu unseren Artikel v. 13.11.11).

 

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Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Neonazi-Terroristen
      Pässe vom Geheimdienst? (13.11.11)

      Trojaner-Skandal weitet sich aus
      "Big Brother" kann noch mehr (19.10.11)

      0zapftis - CCC analysiert "Bundes-Trojaner"
      Verfassungsignoranz und Dilettantismus (8.10.11)

      Stasi-Akten offenbaren Nazi-Hintergrund
      des Dutschke-Attentats von 1968 (6.12.09)

      Mielke geistert weiter durch deutsche Telefone
      Zahl der Abhör-Aktionen steigt dynamisch (23.09.09)

      Postzensur in der BRD
      Wieviel das Grundgesetz in den 1950er-Jahren wert war
      (27.06.09)

      60 Jahre Unrechts-Staat BRD
      (23.05.09)

      Ohnesorg-Mörder erneut angeklagt
      Kurras war anscheinend Stasi-Spitzel (22.05.09)

      Ohne V-Leute würde NPD zusammenbrechen
      Baden-Württembergs Innenminister Rech plaudert
      (8.03.09)

      Staatsspitzel als Messerstecher?
      Merkwürdigkeiten im Fall Mannichl (12.01.09)

      War RAF vom Verfassungsschutz gesteuert?
      Buback-Sohn legt Finger in offene Wunde (24.12.08)

      Big Brother hört mit
      Zahl der Abhör-Aktionen nimmt weiter zu (20.05.2008)

      Datenschutz - mehr Löcher als Käse
      BKA speichert IP-Adressen (27.11.07)

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      (25.04.07)

      Der "Sturm auf die Stasi-Zentrale" - eine Farce
      Ende 1989 war wochenlang Zeit... (15.01.05)

      Der 'spiegel' enthüllt:
      Totalüberwachung der Konten (21.11.04)

      Mabuse und Mielke im Jenseits blaß vor Neid
      Neues "rot-grünes" Telekommunikationsgesetz
      (26.01.04)

      "Rot-Grün" im Überwachungswahn (8.05.03)

      Echelon und die deutsche Wirtschaft (5.03.01)

      Stasi-Mielkes Auferstehung (23.02.01)

      Echelon: Existenz des Abhörsystems
      erstmals von einer Regierung bestätigt (21.01.01)