Titisee-Neustadt (LiZ). Der Gemeinderat der kleinen Schwarzwaldstadt Titisee-Neustadt hat beschlossen, das örtliche Stromnetz wieder in die eigene Hand zu nehmen. Der Konzessions-Vertrag mit 'Energiedienst' - zu 75 Prozent ein Tochter-Unternehmen des Strom-Konzerns EnBW - läuft zum Ende des Jahres ab. Die Entscheidung ist ein für ganz Baden-Württemberg bedeutsames Signal, da in vielen Städten und Kommunen die - mehr oder weniger direkt mit EnBW - abgeschlossenen Konzessionverträge ablaufen. Dies bietet die Chance für einen Atom-Ausstieg "von unten".
Den besonderen Symbolgehalt der in Titisee-Neustadt getroffenen Entscheidung unterstreicht ein Vertrag, der mit dem Ökostrom-Anbieter EWS abgeschlossen wurde. Der ebenfalls im Schwarzwald im Städtchen Schönau beheimatete Ökostrom-Anbieter entstand in den 1990er Jahren aus einer Bürgerinitiative. Am Anfang der Entwicklung stand in Schönau die Übernahme des örlichen Stromnetzes. Nach einer Entscheidung des dortigen Gemeinderates im März 1996, das örtliche Stromnetz zu kaufen, kam es zu einem jahrelangen erbitterten Kampf mit dem baden-württembergischen Strom-Monopolisten.
Die Neugründung der Stadtwerke Titisee-Neustadt soll nun laut dem abgeschlossenen Vertrag zusammen mit der Schönauer EWS erfolgen. Dabei ist - erstmals in Deutschland - eine BürgerInnen-Beteiligung vorgesehen. Die Verteilung der Anteile in der neuen Gesellschaft sieht 60 Prozent für Titisee-Neustadt vor und 40 Prozent für die Elektrizitätswerke Schönau, die davon 10 Prozent für direkte BürgerInnen-Beteiligung vorhalten.
Angesichts der vielen in nächster Zeit auslaufenden Konzessions-Vertäge in Baden-Württemberg stößt das in Titisee-Neustadt realisierte Modell im "Ländle" auf große Resonanz. Es bietet die Chance, daß Kommunen und BürgerInnen gemeinsam Verantwortung für eine nachhaltige Stromversorgung übernehmen. Bundesweit gibt es rund 20.000 Konzessions-Verträge zwischen Kommunen und Energieversorgern. In aller Regel sind dies die "Großen Vier": E.on, RWE, Vattenfall und EnBW. Und fast alle diese Verträge enthalten entsprechende Klauseln zur Übereignung der Stromnetze. Mit Hilfe dieser Netze konnten die "Großen Vier" trotz der unter dem Paradigma des Neoliberalismus 1998 beschlossenen Öffnung des Strommarktes für Wettbewerb ihre Marktmacht behaupten und Ökostrom-Anbieter auf Distanz halten.
Diese Marktmacht ist eines der entscheidenden Mittel, mit dem die "Großen Vier" das Wachstum der erneuerbaren Energien in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten bremsen konnten. Doch Tausende dieser Verträge laufen derzeit aus. Die Kommunen drängen vermehrt als Strom-Produzentinnen auf den Markt. Und sie werden mit Sicherheitheit keine Atomkraftwerke bauen und zu Anbietern von Atomstrom werden.
Für viele GemeinderätInnen und BürgermeisterInnen ist nicht so sehr das Verantwortungsbewußtsein für Klima oder ein Bewußtsein für die Gefahren der Atomenergie entscheidend. Daß inzwischen immer mehr Städte und Gemeinden umsteuern, liegt vornehmlich darin begründet, daß das Geschäft mit Strom wieder als attraktive Investition wahrgenommen wird. Es spricht sich herum, daß es sich bei Stromnetzen um eine Infrastruktur handelt, mit der sich beachtliche Gewinne erzielen läßt. Die Umsatzrendite liegt oft bei sechs bis sieben Prozent.
Mit der im Vertrag zwischen Titisee-Neustadt und dem Ökostrom-Anbietrer EWS vereinbarten BürgerInnen-Beteiligung wird die öffentliche Aufmerksamkeit vermehrt auf die entscheidende Weichenstellung gelenkt: Bleibt es in Deutschland beim Oligopol der "Großen Vier" - und damit auch Dank ihres beherrschenden Einflusses auf die vier großen Parteien bei einer Bestandsgarantie für Atomkraftwerke in Deutschland - oder können im Zuge einer Dezentralisierung der Energieversorgung der Atom-Ausstieg und die nötige Energie-Wende durchgesetzt werden?
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
Erneuerbare Energien
Auszeichnung für Planegg (27.01.11)
Konkurrenz für die Großen Vier
Kommunen drängen auf den Strom-Markt (14.04.10)
Energie-Kommune Wildpoldsried im Allgäu
Dreimal soviel Ökostrom wie Eigenverbrauch (8.04.10)
Der Kampf um das Strom-Netz hat begonnen
EnBW lockt Bürgermeister mit Gänsebraten (23.10.09)
Zukunftsweisender Gerichtsentscheid
gegen Strom-Konzerne
BGH erzwingt Dezentralisierung
und stärkt Erneuerbare Energien (29.09.09)