3.01.2012

Esoterik
Der Mythos vom Klang der Stradivari

Geige Washington (LiZ). Mythen haben eines gemeinsam: Sie werden lange tradiert und niemand wagt es, sie in Frage zu stellen. Ökonomisch bedeutsam ist dies auch heute noch im Falle einer Stradivari: Geigen mit diesem Namen gehen für Millionen von US-Dollar über den Ladentisch, denn sie galten als die besten der Welt. Doch nun brachen ForscherInnen das Tabu.

Die angeblich besten, in jedem Falle aber teuersten Geigen der Welt stammen aus der Werkstatt des Italieners Antonio Stradivari , der 1737 in Cremona starb. Neben den Instrumenten des ebenfalls in Cremona tätigen Geigenbaumeisters Guarneri del Gesù (1698 - 1744) sind sie für einen brillanten Klang sprichwörtlich geworden. Der spezielle Lack, das Holz und der angeblich unvergleichliche Klang ließen die Preise für die Instrumente in Millionenhöhen steigen.

Doch nun ging ein Team von ForscherInnen ans Werk, um diesen Mythos auf die Probe zu stellen. Sie prüften zwei Stradivaris, eine Geige von del Gesù und drei neuere Modelle in einem Blindtest. Laut dem Bericht in dem renommierten Wissenschaftsmagazin 'Proceedings of the National Academy of Sciences' sollten 21 MusikerInnen unter den sechs ausgewählten Geigen die beste küren. Die drei über 200 Jahre alten Instrumente brachten es auf einen Gesamtwert von rund zehn Millionen US-Dollar, die neuen auf etwa 100 Mal weniger.

Im ersten Durchgang sollten die 21 ViolinistInnen - im Alter zwischen 20 und 65 Jahren und mit 15 bis 61 Jahren Erfahrung - einen Test in einem abgedunkelten Raum durchführen. Sie erhielten je eine alte und eine neue Geige und sollten urteilen, welches die bessere ist. Dieser erste Test wurde mit jedem möglichen Geigenpaar und zusätzlich einem doppelten durchgespielt. Resultat: Es wurden mehr neue Geigen favorisiert als alte. Eine auf das Jahr 1700 datierte Stradivari fiel gar völlig durch.

Die ViolinistInnen konnten offenbar keine entscheidenden klanglichen Unterschiede heraushören. Elf Versuchspersonen entschieden sich auch beim zweiten Mal für das gleiche Instrument, zehn jedoch wählten die andere. Laut Test-Resümee ist dies ein Zeichen dafür, daß sich entweder die Geigen qualitativ nur wenig unterscheiden, die Wahl zufällig getroffen wurde, oder die Testbedingungen nicht optimal waren.

Bei einem zweiten Test konnten die ViolinistInnen für zwanzig Minuten alle sechs Instrumente testen. Dabei konnten sie frei wählen, wie lange sie welche Violine spielten. Am Schluß mußten sie ihren Favoriten wählen und in vier Kategorien - Modulationsfähigkeit der Klangfarbe, Ansprache, Spielbarkeit und Tragfähigkeit – das Top- und Flop-Instrument bestimmen. Auch hier erzielten die teuren Alt-Geigen keine überragenden Ergebnisse. Jedes der Instrumente wurde mindestens einmal als bestes ausgewählt.

Bei der Frage, ob die von ihnen gewählte Geige eine Stradivari sei, mußten die meisten ViolinistInnen passen. Sieben von ihnen gaben dies zu, sieben weiter mußten raten und lagen falsch. Nur drei wußten die Antwort oder rieten richtig. Vier der ViolinistInnen wollten gar nicht erst antworten.

Mit diesen Forschungsergebnissen scheint die Welt um eine Illusion ärmer zu sein. Doch schon der deutsche Philosoph Arthur Schopenhauer wußte: "Einen Menschen vom Irrtum zu befreien, heiß geben, nicht wegnehmen. Wissen, daß etwas falsch ist, ist eine Wahrheit. Irrtum schadet immer: Früher oder später wird er demjenigen, der ihn hegt, Nachteile bringen." Ob der Mythos der Stradivari allerdings so schnell aus der Welt verschwindet, darf bezweifelt werden. Und auch auf den stattlichen Preis der Stradivari-Geigen wird der Test noch lange wenig Wirkung zeigen. Der Glaube setzt wissenschaftlichem Denken einen unglaublich zähen Widerstand entgegen.

 

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