Legale Waffenexporte an kriegführende Staaten
und menschenrechtsverletzende Regimes
Der brisante Rüstungsexport- skandal um den Waffenlobbyisten Schreiber ist
atypisch: Rund 98 Prozent aller Waffentransfers erfolgen legal. Mit der
aktuellen Veröffentlichung der Zahlen zu den deutschen Rüstungsexporten
2008 wird deutlich, wie dramatisch sich die Entwicklung verschärft hat.
Europameister Deutschland steigerte seine Waffenlieferungen auf ein
neues Rekordniveau. Ganz legal erfolgten Einzelausfuhr- genehmigungen im
Wert von 5,78 Milliarden Euro - gut zwei Milliarden mehr als im bisherigen
Rekordjahr 2007. Moralische Grenzen existieren nicht: Kriegs- schiffe,
Militärhubschrauber, Panzer und Gewehre beziehungsweise deren Teile wurden an
kriegsführende NATO- und NATO-assoziierte Staaten sowie an
menschen- rechtsverletzende Regime geliefert.
Neue Waffensysteme wie das XM25 sollen die Kriegsführung "revolutionieren"
und auch zukünftig den Rüstungsexportmarkt anheizen. Die Voraussetzungen
dafür sind geschaffen, der Koalitionsvertrag unter der neuen
christlich-liberalen Bundesregierung läßt das Schlimmste befürchten.
Dabei hätte Deutschland aus den Opferzahlen der Vergangenheit lernen
müssen. Allein die Direktexporte und Lizenzvergaben der Gewehre und
Maschinenpistolen von Heckler&Koch haben bis heute mehr als 1,5
Millionen Menschen das Leben gekostet, eine weitaus größere Zahl von
Opfern zeitlebens verstümmelt. Mit Waffenexporten leistet Deutschland
Beihilfe zum Massenmorden in aller Welt.
Um dieser Entwicklung entgegenzutreten, startet die Friedensbewegung am 1.
September 2010 die neue Anti-Rüstungsexportkampagne Aktion "Aufschrei -
Rüstungsexporte ächten, den Opfern eine Stimme geben!" Interessierte sind
zur Mitarbeit aufgerufen.
Selten zuvor hat ein Rüstungsexport die Republik derart bewegt wie der
Fall des Karlheinz Schreiber. Der Waffenlobbyist muß sich derzeit wegen
des Vorwurfs der Steuerhinterziehung und des Betrugs vor dem Landgericht
Augsburg verantworten. Im Jahr 1991 sollen beim Verkauf von 36
'Fuchs'-Spürpanzern von Thyssen an Saudi-Arabien 200 Millionen Mark
Schmiergelder geflossen sein. Auch für die EADS-Tochter Airbus
vermittelte Schreiber Aufträge.
Der frühere Rüstungsstaatssekretär Ludwig-Holger Pfahls soll von
Schreiber Zuwendungen in Millionenhöhe erhalten haben. In der Folge legte
Altkanzler Helmut Kohl den CDU-Ehrenvorsitz nieder, die Namen der Spender
will er bis heute nicht nennen. Notgedrungen offenbarte CDU-Schatzmeister
Walther Leisler Kiep die verwegene Geschichte des Geldkoffers mit einer
Million Mark, die Schreiber an der deutsch-schweizerischen Grenze
übergeben haben soll. Wolfgang Schäuble, damals CDU-Partei- und
Fraktionsvorsitzender, mußte von seinem Amt zurücktreten - was die
heutige Bundesregierung nicht daran gehindert hat, ihn jetzt zum
Finanzminister zu befördern. Laut Schreiber sollen neben der CSU und der
CDU auch SPD- und FDP-Politiker in seine Geschäfte involviert gewesen
sein.
Entscheidende Fragen sind bislang offen: Wie kann es sein, daß namhafte
Vertreter der CDU/CSU - so genannter christlicher Parteien - in Korruption
bei illegalen Waffentransfers verstrickt sind? Warum nennt
Ex-Bundeskanzler Kohl bis heute nicht die Namen der Spender? Mit welchem
Rechtsverständnis und mit welcher Zielsetzung akzeptiert die amtierende
Bundeskanzlerin Merkel diese unglaubliche Vertuschungspolitik ihres
Parteifreundes Kohl? Möchte sie den amtierenden Finanzminister Schäuble
decken? Kann es sein, daß der höchst brisante Vorwurf der Bestechung vom
Landgericht Augburg mittlerweile als verjährt eingestuft wird? Bleibt die
Wahrheit bei den zu befürchtenden Deals des Gerichts und der
Staatsanwaltschaft mit Schreiber auf der Strecke? Die Antworten bergen
politischen Sprengstoff.
Dabei darf der Fall Schreiber nicht darüber hinwegtäuschen, daß rund 98
Prozent aller Waffentransfers legal erfolgen, das heißt mit Genehmigung der
Bundesregierung beziehungsweise des Bundesausfuhramtes Bafa. Dieser Beitrag
beschäftigt sich deshalb ausschließlich mit dem Skandal legal
genehmigter Rüstungsexporte in alle Welt.
Kriegsprofiteure: Die Top Ten der Rüstungsriesen
Das Erfreuliche vorneweg: Die Zahl der Kriege sinkt seit Jahren und hat
sich im Jahr 2009 auf nunmehr 34 - immerhin der niedrigste Stand seit gut
eineinhalb Jahrzehnten - verringert. Dies belegt eine jüngst publizierte
Studie der Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung
(http://www.akuf.de) am Institut für Politikwissenschaft der Universität
Hamburg. Im letzten Jahr brachen zwar zwei Kriege und ein weiterer
bewaffneter Konflikt neu aus, zugleich aber endeten acht kriegerische
Auseinandersetzungen.
Grund genug, die weltweiten Militärausgaben spürbar zu senken,
Waffenexporte drastisch zu reduzieren und die Rüstungsindustrie
schnellstmöglich auf eine sinnvolle zivile Fertigung umzustellen. Zeit
also, endlich die lang ersehnte Friedensdividende einzufahren und
Rüstungskonversion einzuleiten - möchte man meinen. Das Wunschbild
trügt, die Realität sieht leider ganz anders aus: Militäreinsätze und
Rüstungsgeschäfte boomen wie seit Jahren nicht mehr, in Zeiten der
weltweiten Wirtschaftskrise und wachsender Terrorangst verzeichnen
Rüstungskonzerne Rekordumsätze.
Ein Blick in die aktuellen Statistiken des 'Stockholm International Peace
Research Institute' (Sipri) vom vergangenen Jahr verrät, wie wenig Wunsch und
Wirklichkeit übereinstimmen: So stiegen die Waffenverkäufe vieler
führender rüstungsproduzierender Unternehmen, allen voran der
US-Rüstungsindustrie. Allein sechs waffenproduzierende US-Konzerne
rangieren in den Top Ten.
Die weltweit höchsten Profite verzeichneten in den vergangenen Jahren
US-Unternehmen. Wie in den Vorjahren führt Boeing die Profit-Statistik
2007 mit Gewinnen in Höhe von 4,1 Milliarden US-Dollar an. Auf den
Plätzen zwei bis vier folgen die US-Rüstungskonzerne Lockheed Martin mit
3 Milliarden, General Dynamics mit 2 Milliarden und Northrop Grumman mit
1,8 Milliarden US-Dollar.
Die einzige ernstzunehmende Konkurrenz kommt - militärisch gesehen - aus
dem eigenen Lager: Mit British Aerospace (BAE Systems), der European
Aeronautics Defence and Space Company (EADS), Finmeccanica und Thales
finden sich zugleich auch vier europäische Rüstungskonzerne in der
Spitzengruppe. Deren Profite fielen allerdings geringer aus als die der
US-Giganten. Während BAE Systems noch fast gleichauf mit Northrop Grumman
abschnitt (1,8 Milliarden US-Dollar), konnten Thales aus Frankreich und
Finmeccanica aus Italien (mit 1,2 Milliarden bzw. 713 Millionen US-Dollar)
vergleichsweise geringere Gewinne verbuchen. EADS fiel 2007 mit
Verlusten in Höhe von 610 Millionen US-Dollar gänzlich aus dem Rahmen,
was sich unter anderem mit den hohen Entwicklungskosten des neuen
Militärtransporters A400M erklären läßt. Ein Blick in den
EADS-Geschäftsbericht für 2008 verrät jedoch die Rückkehr in die
Gewinnzone durch neuerliche Waffentransfers.
Rüstungskonzerne sind Profiteure der Kriege in aller Welt. Seit den
Terroranschlägen vom 11. September 2001 lassen vor allem die für den
"Krieg gegen den Terror" benötigten Waffen mit den Kriegseinsätzen
im Irak, in Afghanistan und Pakistan die Kassen der Rüstungskonzerne
klingen.
Etablierter Rüstungsexport-Europameister Deutschland
Unbeschadet von der Wirtschaftskrise konnte die deutsche
Rüstungsindustrie Firmenzusammenbrüche und Massenentlassungen vermeiden,
die Werftenindustrie stärkte ihre Position durch einen
Restrukturierungsprozeß. In Zeiten allgemeiner Rezession liefen und
laufen die Waffengeschäfte dank einer überaus großzügigen
Exportförderungspolitik der Bundesregierung und personell chronisch
unterbesetzter Rüstungskontrollbehörden wie geschmiert. In der Folge hat
sich Deutschland von 2004 bis 2008 - nach den USA und Rußland - als
Europameister endgültig auf Platz 3 der Weltwaffenexporteure etabliert.
Wie das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri im vergangenen April mit
seiner Veröffentlichung der Daten zum Waffenhandel im Jahr 2008
dokumentierte, stiegen die deutschen Rüstungsausfuhren in den vergangenen
fünf Jahren um rund 70 Prozent, der Weltmarktanteil am Waffenhandel
konnte von sieben auf zehn Prozent ausgebaut werden - vor allem durch
Waffenlieferungen an kriegführende NATO-Partner wie die USA und Großbritannien.
Maßgeblich am deutschen Rüstungsexport-Boom beteiligt ist die 'European
Aeronautic Defence and Space Company' (EADS). Größte Stimmrechtseigner der EADS
- im weltweiten Ranking des Jahres 2007 auf Platz 7 - sind der deutsche
Automobil- und Rüstungsriese Daimler AG und Sogeade (Lagardère und die
französische Staatsholding Sogepa) mit je 22,5 Prozent. Die spanische
Staatsholding Sepi hält 5,49 Prozent des Kapitals.
Auf Platz 18 der weltgrößten Rüstungskonzerne folgt der
Lenkflugkörperproduzent MBDA, dessen maßgeblicher Anteilseigner mit 37,5
Prozent die EADS ist. Unter den Top 100 rangierten 2007 (laut dem
Sipri-Jahrbuch 2009) mit Rheinmetall (Platz 29), Thyssen-Krupp (39),
Krauss-Maffei Wegmann (42), Diehl (58) und MTU Aero Engines (69) fünf
weitere deutsche Rüstungskonzerne. Zu den "Verkaufsschlagern" zählen
Panzer vom Typ Leopard-2A4, teilweise im Ausland in Lizenz gefertigte
deutsche U-Boote des Typs 214, in Kooperationen produzierte
Kampfhubschrauber, Militärjets wie der 'Eurofighter', Tankflugzeuge
und Drohnen, Granatwerfer und Sturmgewehre des Typs G36.
Geheimentscheidungen unter Ausschluß der Demokratie
Wie kann es sein, daß Deutschland, das nach Aussagen seiner
Regierungspolitiker über die restriktivsten Rüstungsexportgesetze der
Welt verfügt, zugleich zum Europameister bei Waffentransfers avanciert
ist? Und wie ist es möglich, daß die deutsche Bundesregierung, die sich
humanistischen und christlichen Werten verschrieben haben will,
Rüstungsexporte selbst an menschenrechtsverletzende und kriegführende
Staaten legalisiert? Die Antwort liegt in der Auslegung politischer
Zielvorgaben und ist damit nicht allein juristisch begründet.
Rechtsgrundlage der deutschen Rüstungsexportkontrolle bildet Artikel 26
Absatz 2 des Grundgesetzes: "Zur Kriegführung bestimmte Waffen dürfen
nur mit Genehmigung der Bundesregierung hergestellt, befördert und in
Verkehr gebracht werden." Das Nähere regeln das
Kriegswaffenkontrollgesetz und das Außenwirtschaftsgesetz.
Politisch besonders brisante Rüstungsexporte wie beispielsweise
Waffenlieferungen in den Nahen oder Mittleren Osten werden im geheim
tagenden Bundessicherheitsrat beschieden. Die Sitzungsleitung obliegt
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Zu den weiteren acht
stimmberechtigten Mitgliedern zählen Guido Westerwelle (FDP) als
Bundesminister des Auswärtigen, Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) als
Bundesminister der Verteidigung, Wolfgang Schäuble (CDU) als
Bundesminister der Finanzen, Thomas de Maizière (CDU) als Bundesminister
für Inneres, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) als
Bundesministerin der Justiz, Rainer Brüderle (FDP) als Bundesminister
für Wirtschaft und Technologie, Ronald Pofalla (CDU) als Chef des
Bundeskanzleramts sowie der Bundesminister für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung Dirk Niebel (FDP). Bei Bedarf können
weitere Bundesminister sowie der Generalinspekteur der Bundeswehr zur
Beratung hinzugezogen werden.
Hatten die Regierungen vor der 1998 durch SPD und Grüne gewonnenen Wahl
im Bundessicherheitsrat einvernehmliche Entscheidungen zur Voraussetzung
erhoben und ein Veto einzelner Mitglieder als Exportblocker akzeptiert, so
führte die Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder und seinem
Stellvertreter Joschka Fischer das bis heute gültige Prinzip der
Mehrheitsentscheidungen ein. Was demokratisch klang, stellte seither einen
Freifahrtschein für die starke, wirtschaftsorientierte
Pro-Export-Fraktion dar.
Zur Beruhigung des Gewissens einer zuweilen durchaus
rüstungsexportkritischen Parteibasis ließen Außenminister Fischer und
Entwicklungshilfeministerin Wieczorek-Zeul in der siebenjährigen Amtszeit
von Rot-Grün wiederholt durchblicken, daß sie in verschiedenen Fällen
gegen besonders bedenkliche Rüstungsexporte votiert hatten. Da aber
keiner der Führungskräfte beider Regierungsparteien der rot-grünen
Bundesregierung jemals die Koalitionsfrage stellte - weder bei
Rüstungsexporten an kriegführende Staaten noch bei Waffentransfers an
menschenrechtsverletzende Regimes - besaß dieses Abstimmungsverhalten
allenfalls Alibifunktion. Ein Zustand, an dem sich auch nach mehrmaligem
Regierungswechsel bis zum heutigen Tage nichts geändert hat.
So verbleibt einzig die recht überschaubare Embargoliste von momentan
gerade mal 17 Staaten als Exporthemmnis. Länder wie Saudi-Arabien,
Israel, Libyen oder Pakistan waren im Rüstungsexportbericht 2007 - der
Bericht für 2008 liegt Anfang 2010 noch nicht einmal vor! - auf dieser
Liste nicht zu finden.
Deutsche Waffenexporte selbst in "problematische" Länder
In ihrem aktuellen Rüstungsexportbericht kritisiert die Gemeinsame
Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) vehement die erneut dramatisch
gestiegenen Waffenlieferungen aus Deutschland. Laut Analyse der beiden
großen christlichen Kirchen genehmigte die Bundesregierung 2008
Einzelausfuhrgenehmigungen im Volumen von 5,78 Milliarden Euro - das sind
gut zwei Milliarden mehr als im Jahr zuvor.
Bei der Präsentation des GKKE-Berichts im Dezember in Berlin erklärte
Karl Jüsten, der katholische GKKE-Vorsitzende: "Wir sind enttäuscht
und unzufrieden." Der Koalitionsvertrag der neuen CDU/CSU/FDP-geführten
Bundesregierung orientiere sich vorrangig an "außenwirtschaftlichen und
industriepolitischen Gesichtspunkten". Schlimmer noch: Er sei sogar
dabei behilflich, Wettbewerbshindernisse für die deutschen
Waffenproduzenten aufzuheben.
Nicht anders urteilte Bernhard Felmberg, evangelischer GKKE-Vorsitzender.
Er zeigte sich insbesondere besorgt über Rüstungslieferungen selbst an
instabile Entwicklungsländer. Zudem sei der Verbleib dieser Waffen oft
nicht gesichert, wie "das Beispiel der auf dem afghanischen und
pakistanischen Schwarzmarkt gehandelten Waffen deutscher Herkunft"
belege.
Zurecht verwies Felmberg auf frühere Lizenzvergaben allen voran im
Bereich der Kleinwaffen an ehemalige Unrechtsregimes, die die Politik
heute einholen würden. "Man braucht sich nur aktuelle Fotos von
Kämpfern in Pakistan anzusehen und entdeckt gleich das klassische
deutsche G-3-Gewehr im Einsatz", kritisierte die GKKE. Des Weiteren
erfolge vor einem US-Gericht Anklage gegen die Daimler AG und Rheinmetall,
da sie das südafrikanische Apartheid-Regime in den achtziger Jahren mit
Nato-Geschützsystemen beliefert hatten.
Für die GKKE-Fachgruppe Rüstungsexporte kritisierte deren Vorsitzender
Bernhard Moltmann die fehlende Wirkung öffentlicher Kritik am
U-Boot-Geschäft mit Pakistan. Dieser Waffentransfer ist verbunden mit
einer staatlichen Ausfallbürgschaft, den so genannten
Hermes-Bürgschaften: "Von den 36 Staaten, die weltweit über
nicht-nukleare U-Boote verfügen", monierte Moltmann, hätten "mehr
als die Hälfte U-Boote deutscher Herkunft im Einsatz." Die
Howaldtswerke Deutsche Werft GmbH in Kiel seien bis 2017 mit
Rüstungsaufträgen ausgebucht. Unter anderem zeigten die Türkei, Israel,
Südkorea, die Vereinigten Arabischen Emirate, Indien und Pakistan
Interesse an deutschen Militär-U-Booten. Bekanntermaßen trugen die
beiden letztgenannten Staaten in den vergangenen Jahrzehnten wiederholt
kriegerische Konflikte gegeneinander aus.
Als "problematisch" einzustufen waren laut GKKE eine Vielzahl von
Staaten, die 2008 ganz legal in den Besitz deutscher Waffen gelangten.
Allen voran erhielt Singapur Waffen im Wert von 349,7 Millionen Euro,
Saudi-Arabien für 170,3 Millionen und die Vereinigten Arabischen Emirate
für 142,1 Millionen. Zudem lieferte Deutschland Waffen an Afghanistan,
Ägypten, Angola, Brasilien, Indien, Indonesien, Israel, Kolumbien,
Malaysia, Nigeria, Oman, Pakistan, Rußland, Thailand, Türkei und
Venezuela, obwohl deren Menschenrechtssituation gleichsam als "sehr
schlecht" eingestuft werden mußte. In mehreren dieser Länder -
Afghanistan, Indien, Israel, Kolumbien, Nigeria, Pakistan, Thailand,
Türkei und in Venezuela - herrschten zudem interne Gewaltkonflikte.
Neuer Koalitionsvertrag: Türöffner für Waffenlieferungen in alle Welt
Bereits im Januar 2000 hatte Rot-Grün eine durchaus vielversprechende
Neufassung der "Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den
Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern" verabschiedet.
Seither sollte der Menschenrechtsfrage beim Rüstungsexport besonderes
Gewicht beigemessen werden. Einer der Kernsätze der Prinzipien lautete,
daß "der Beachtung der Menschenrechte im Bestimmungs- und
Endverbleibsland bei den Entscheidungen über Exporte von Kriegswaffen und
sonstigen Rüstungsgütern besonderes Gewicht beigemessen" wird.
Die im letzten Herbst neu gewählte Bundesregierung erklärte, die
"Politischen Grundsätze" nicht ändern zu wollen, schließlich kommen
in ihnen auch die Interessen der Industrie zum Zuge. So ist der Export von
Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern in NATO-Mitglieder,
EU-Mitgliedstaaten, NATO-gleichgestellte Länder "grundsätzlich nicht
zu beschränken, es sei denn, daß aus besonderen politischen Gründen in
Einzelfällen eine Beschränkung geboten ist".
Allerdings, und das wird nur allzu gern vergessen, ist der Export von
Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern in die so genannten
"sonstigen Länder" klaren Restriktionen unterworfen. So wird die
Kriegswaffenlieferung "nicht genehmigt in Länder, die in bewaffnete
Auseinandersetzungen verwickelt sind oder wo eine solche droht, in denen
ein Ausbruch bewaffneter Auseinandersetzungen droht oder bestehende
Spannungen und Konflikte durch den Export ausgelöst, aufrechterhalten
oder verschärft würden". Zudem scheiden Lieferungen an Länder
"grundsätzlich" aus, "die sich in bewaffneten äußeren Konflikten
befinden oder bei denen eine Gefahr für den Ausbruch solcher Konflikte
besteht".
Würde die Bundesregierung ihre eigenen - wohlgemerkt rechtlich nicht
verbindlichen - Grundsätze zur Grundlage ihres Handels erheben, müßte
sie Waffentransfers an die im GKKE-Bericht als "problematisch"
eingestuften Empfängerländer unterbinden. Daß sie dies nicht tut,
begründet sich in ihrer industriekonformen Wirtschafts- und ihrer
militärorientierten Außenpolitik.
Schlimmer noch: In Zukunft drohen alle Dämme zu brechen. Denn in ihrem
Koalitionsvertrag haben CDU/CSU und FDP die Zielsetzung einer restriktiven
Rüstungsexportpolitik gestrichen. Für die kommenden vier Jahre lautet
das Ziel: "Wir halten an den derzeit geltenden
Rüstungsexportbestimmungen fest und setzen uns weiter für eine
Harmonisierung der Rüstungsexportrichtlinien innerhalb der EU ein. Wir
treten für faire Wettbewerbsbedingungen in Europa ein und bekräftigen
den Offset-Verhaltenskodex der Europäischen Verteidigungsagentur." Man
hätte auch offene Grenzen für Rüstungsexporte oder Abbau aller
Hemmnisse für Waffenlieferungen im Koalitionsvertrag festlegen können,
das Ergebnis wäre identisch.
Profiteure dieser unverblümt zutage tretenden
Rüstungsexportförderungspolitik werden die deutsche Rüstungsindustrie
und ihre internationalen Kooperationspartner sein. Dabei stehen
Daimler/EADS und Heckler&Koch einmal mehr im Mittelpunkt des Geschehens.
Daimler/EADS-Waffen an menschenrechtsverletzende Staaten
Bei einem Treffen von Vertretern der Kritischen AktionärInnen Daimler
(KAD) und der DFG-VK im Herbst 2009 sah sich der Daimler-Finanzchef und
EADS-Aufsichtsratsvorsitzende Bodo Uebber mit dem Vorwurf konfrontiert,
sein Unternehmen liefere Waffen selbst an menschenrechtsverletzende
Staaten. So exportiert die EADS die immense Zahl von 72 Kampfflugzeugen
des Typs 'Eurofighter Typhoon' an das menschenrechtsverletzende Regime
in Saudi-Arabien.
Um die eigene Exportstatistik zu schönen, wählt man seitens der
Deutschen den bewährten Umgehungsweg: Der Vertrag zwischen Saudi-Arabien
wurde mit der britischen Regierung vereinbart, deren Rüstungsindustrie
gleichsam vom 'Eurofighter'-Projekt profitiert. In Deutschland
knallten die Sektkorken nicht nur in der Daimler-Zentrale. Am
EJ200-Triebwerk ist MTU Aero Engines beteiligt, die Bordkanone stammt von
Mauser in Oberndorf - zahlreiche weitere deutsche Unternehmen sind
beteiligt.
EADS mit Verwaltungssitz im niederländischen Leiden
liefert Kampf- und Transportflugzeuge, Militärhelikopter, militärische
Satelliten und Drohnen an NATO- und NATO-assoziierte Staaten, verschiedene
dieser Waffensysteme jedoch auch an Drittländer, beispielsweise auch an
die Vereinigten Arabischen Emirate, Malaysia und Pakistan - allesamt
Staaten, in denen 'amnesty international' schwerste
Menschenrechtsverletzungen verzeichnet. Mit diesem Vorwurf konfrontiert,
rechtfertigte sich Bodo Uebber mit der durchaus zutreffenden Aussage: Alle
EADS-Exporte erfolgen legal, also mit Genehmigung der Bundesregierung beziehungsweise
des Bundesausfuhramtes.
Was die Daimler AG bei der Fertigung von Großwaffensystemen ist, das ist
die Heckler&Koch GmbH (H&K) bei den so genannten Kleinwaffen. In
den vergangenen Jahren avancierte H&K zu Europas größtem Pistolen- und
Gewehrhersteller. Die Produktionspalette reicht von Pistolen und
Maschinenpistolen über Sturmgewehre und Maschinengewehre bis hin zu
Granatwerfern und Sonderwaffen. In mehr als 35 Staaten - zu denen die USA,
Brasilien, Großbritannien, Indonesien, Malaysia, Mexiko, die Philippinen,
Singapur und Thailand zählen - schießen Bundespolizeien,
Präsidentenwachen oder militärische Spezialeinheiten mit dem neuen,
äußerst treffsicheren G36-Sturmgewehr. Noch immer ungeklärt ist der
illegale Export von in Oberndorf produzierten G36 nach Georgien. Vieles
spricht dafür, daß das G36 auf dem Weltmarkt zum Sturmgewehr Nummer 1
aufsteigen wird.
Neues Waffensystem XM25: Noch mehr zivile Opfer
Die Zahl der durch H&K-Waffen Getöteten beläuft sich seit der
Firmengründung 1949 auf rund zwei Millionen Menschen, berechnet auf einem
erhöhten Weltmarktanteil von bis zu 12 Prozent. Durchschnittlich alle 14
Minuten stirbt ein Mensch durch eine Kugel aus dem Lauf einer H&K-Waffe -
damit ist Heckler&Koch Deutschlands "tödlichstes" Unternehmen.
(siehe auch das Buch: Jürgen Grässlin, "Den Tod bringen Waffen aus Deutschland",
München 2003)
Auch in Zukunft wird die neue H&K-Waffengeneration mit der
Maschinenpistole MP7, den Sturmgewehren G36, HK416 sowie HK417 und dem
Maschinengewehr MG4 zu den Exportschlagern zählen. Top aktuell ist eine
andere Tötungsmaschine, die "unsere Art, Krieg zu führen, komplett
verändern" wird. So zitiert der Journalist Martin Himmelheber
US-Oberstleutnant Chris Lehner, der das Experimental Model 25, kurz XM25,
als derart revolutionär einstuft wie die Panzer im Ersten Weltkrieg.
Tatsächlich vereint dieses neue Waffensystem die waffentechnischen
"Vorzüge" eines Gewehrs und eines Granatwerfers mit modernster
Elektronik. Das als "Wunderwaffe" gefeierte XM25 verfügt über ein
Feuerleitgerät von L-3-Brashear. Die programmierbare Munition wurde von
Alliant Techsystems (ATK) entwickelt, den Granatwerfer verantwortet die
Oberndorfer Waffenschmiede Heckler&Koch.
Himmelheber beschreibt in seinem investigativen Artikel Schußversuche vom
August 2009 auf dem Aberdeen-Testgelände in Maryland/USA. In einem 200
Meter entfernten Gebäude wurde ein "Pappkamerad" zerfetzt, wobei der
Schütze durch ein Fenster geschossen hatte, ohne den "Feind" zu
sehen. Die XM25- Munition ist mit einem Mikrochip ausgestattet, der die
Munition direkt über dem Gegner zur Explosion bringen kann.
"Angenommen, eine US-Patrouille wird von einem Taliban beschossen, der
sich hinter einer Mauer versteckt", zitiert Himmelheber
US-Oberstleutnant Lehner, "dann zielt der XM25-Schütze auf die Mauer.
Der Laser mißt 450 Meter, der Soldat gibt einen Meter dazu, weil der
Talibankämpfer sich ja hinter der Mauer versteckt." Der eingebaute
Mikrochip wird die Granate nach einem Flug von exakt 451 Metern zur
Explosion bringen.
In rund vier Jahren soll das XM25 die Kriegsführung revolutionieren und
"zivilisieren" - sprich weniger Opfer unter der Zivilbevölkerung
hervorrufen. Die XM25-Entwickler postulieren, das XM25 werde zivile Opfer
gar vermeiden helfen. Schließlich treffe der Kombattant nicht mehr
wahllos, vielmehr könne man feindliche Krieger gezielt ausschalten, die
sich in einem Gebäude verschanzt oder hinter einer Mauer versteckt
hielten.
Einmal mehr wird die Öffentlichkeit über die wahre Wirkung von Waffen,
allen voran den Gewehren, getäuscht. Bereits heute sterben nach
Schätzungen des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes rund 63
Prozent aller Kriegsopfer durch Gewehrkugeln. Beim XM25- Einsatz ist die
Gefahr immens, daß in noch größerer Zahl als bisher unbeteiligte
Zivilistinnen und Zivilisten, die gleichsam hinter Mauern und in Gebäuden
und damit im Verborgenen Schutz suchen, verstümmelt, zerfetzt und
getötet werden.
Offen wird das XM25 vom amerikanischen Projektpartner ATK als "Airburst
Assault Weapon" - als Angriffswaffe - eingestuft. Hier geht es nicht um
Verteidigung, sondern um Angriff, Sieg und Vernichtung. In diesem Sinne
paßt das XM25 in die neue Strategie militärischer Präventivschläge der
US-Armee. Ist das XM25-System erst einmal auf dem Markt, so ist es nur
eine Frage der Zeit, bis Terroristen in aller Welt über Beutewaffen in
den Besitz der neuen Waffe gelangen. Die Gewaltspirale dreht sich weiter -
wohlgemerkt auf waffentechnisch noch höherem Niveau.
AKTION AUFSCHREI - Rüstungsexporteure ächten, den Opfern eine Stimme
geben!
Ansatzpunkte zur Gegenwehr gegen Rüstungsexporte gibt es in diesem Jahr
genug: Vom Mitmachen bei den konzernbezogenen Kampagnen "Wir kaufen
keinen Mercedes: Boykottiert Rüstungsexporte!" und der Kampagne
"Stoppt das G36-Gewehr von Heckler&Koch!" bis hin zur aktiven
Unterstützung politischer Aktionen wie der "Birkacher Erklärung:
Waffenexporte ächten!" der evangelischen Landeskirche in Württemberg.
Mit der neuen Kampagne "AKTION AUFSCHREI - Rüstungsexporte ächten, Opfer
entschädigen!", die am 1. September, dem Antikriegstag, ihren Start nehmen
wird, soll der Handlungsdruck auf die politisch Verantwortlichen massiv
erhöht werden. Nur so kann es gelingen, die Politik zur Umkehr zu bewegen
und die Rahmenbedingungen zur Rüstungskonversion, also zur Umstellung auf
eine sinnvolle zivile Fertigung, zu schaffen. Hierzu bedarf es eines
breiten gesellschaftlichen Bündnisses der Friedens- und
Menschenrechtsbewegung, von Kirchen, Gewerkschaften und Vertretern
politischer Parteien. Interessierte sind gerne zur aktiven Mitarbeit
aufgerufen.
Gastbeitrag von
Jürgen Grässlin
Bundessprecher
der DFG-VK, Sprecher der Kritischen AktionärInnen Daimler (KAD) und des
Deutschen Aktionsnetz Kleinwaffen Stoppen (DAKS) sowie Vorsitzender des
RüstungsInformationsBüros (RIB e.V.). Er verfaßte er eine Vielzahl
kritischer Sachbücher über die Rüstungs-, Militär- und
Wirtschaftspolitik. Im November 2009 erhielt er den Preis für
Zivilcourage der Solbach-Freise-Stiftung.
für die
LINKSZEITUNG
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel zum Thema:
Joint Venture:
Rheinmetall und MAN
gründen neuen Rüstungs-Konzern
(13.01.10)
60 Jahre Heckler&Koch
Kein Grund zu feiern! (28.12.09)