28.07.2011

Extremist der Mitte

Gast-Kommentar von Ulla Jelpke

Ulla Jelpke Anders Breivik ist kein Neonazi. Selbst wenn es stimmen würde, daß der Verfassungsschutz die rechtsextreme Szene intensiv beobachtet: Es würde gegen Typen wie Breivik nichts nützen. Denn der bezieht sich keineswegs positiv auf Hitler, sondern setzt den »Nationalsozialismus« eher mit dem Islam und dem Marxismus gleich, die er allesamt für »totalitäre« Strömungen hält. Auch seine proisraelischen und proamerikanischen Äußerungen dürften den Neofaschisten kaum gefallen.

Nicht die Tat, aber das dahinterstehende Gedanken-Wirrwarr ist in etlichen Gesellschaften des »Abendlandes« heutzutage durchaus salonfähig: Die Halluzination einer »schleichenden Islamisierung« und des Verlustes »nationaler Identität«.

Je stärker die kapitalistischen Staaten die Verarmung breiter Bevölkerungsschichten vorantreiben, desto stärker wird »der Moslem« zum Sündenbock. Wie sehr antimuslimische Ressentiments in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind, zeigt sich nicht nur in Bürgerinitiativen gegen Moscheebauten. Es zeigt sich auch darin, daß die SPD ihren Rassetheoretiker Thilo Sarrazin weiterhin in ihren Reihen duldet, obwohl – oder weil? – er die pauschale Diffamierung »des Orientalen« (Sarrazin) betreibt. Es zeigt sich darin, daß Bundesinnenminister Hans Peter Friedrich (CSU) gleich zu seinem Amtsantritt verkündete, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Um von dieser Übereinstimmung mit Breivik abzulenken, müssen ihn die etablierten Politiker als Nazi darstellen und so in die Tabu-Ecke stellen.

Während der norwegische Ministerpräsident kurz nach dem Anschlag verkündete, die Antwort Norwegens sei »mehr Demokratie, mehr Offenheit, mehr Humanität«, flüchten sich deutsche Sicherheitspolitiker in ihre Standardantwort: Mehr Überwachung und mehr Repression. Der Bundesinnenminister fordert einmal mehr die Vorratsdatenspeicherung, als hätte die etwas helfen können. Die SPD ruft nach verstärkter Internetüberwachung und empfiehlt, man solle die Polizei rufen, wenn sich »Extremisten« äußerten. Die könnten dann in die Datei »Verdächtiger Personen« aufgenommen, die von der Gewerkschaft der Polizei gefordert wird.

Totalüberwachung als Suggestion totaler Sicherheit: Sollen Sarrazin und die über eine Million Leser seines Buches vom Verfassungsschutz beobachtet werden? Völlig unnötig, denn sie agieren ganz offen, wie auch Internetseiten vom Schlage »Politically Incorrect«. Wer dort das Glossar zum Islam öffnet, dem wird die Mohammed-Karikatur mit der Bombe unterm Turban präsentiert, nur daß sie hier keineswegs als schlechter Witz verstanden wird.

Breivik hat einen mörderischen Brand entfacht, aber das Öl kommt aus einer Vielzahl von Quellen, aus der Mitte der Gesellschaft. Hier kann und hier muß man ansetzen: Wer pauschal gegen Minderheiten hetzt, muß geächtet werden.