17.10.2012

Hunger und Kapitalismus
"Der Süden finanziert den Norden"

Hunger
Berlin (LiZ). Wieder einmal ist ein "Welternährungstag" vorübergegang­en und nichts hat sich zum Besseren verändert. Die leeren Versprech­ungen bleiben dieselben und Jahr für Jahr verschlechtert sich die Lage für die Hungernden auf dieser Welt. Was hat dies mit dem Kapitalismus zu tun?

PolitikerInnen nutzten wieder einmal den 16. Oktober, den Internationalen Welt­ernährungstag - oder wie er oft zutreffender heißt: Welthungertag - für wohlfeile Reden. Sie lenken die Aufmerksamkeit auf die Milliarden an Euro, die angeblich für die sogenannte Entwicklungszusammenarbeit (früher hieß es karitativ: Entwicklungshilfe) ausgegeben werden. Das deutsche Budget hierfür lag im Jahr 2011 bei rund sechs Milliarden Euro. Das hört sich nach viel an, ist allerdings äußerst mickrig. Doch der Streit darüber, ob dies viel oder wenig sei, verdeckt die Tatsache, daß aus den armen Ländern des Südens ein Vielfaches der Summen abgesaugt wird, die - um den Schein zu wahren - als Hilfen an den Süden fließen.

Jean Ziegler, früherer UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, schrieb hierzu recht offen: "Der Süden finanziert den Norden und insbesondere die herrschenden Klassen der nördlichen Länder. Das wirksamste Mittel des Nordens zur Herrschaft über den Süden ist heute der Schuldendienst. Der Kapitalstrom von Süden nach Norden ist überschüssig im Vergleich zum Kapitalfluß von Norden nach Süden. Die armen Länder zahlen den herrschenden Klassen der reichen Länder jährlich viel mehr Geld, als sie von ihnen in Gestalt von Investitionen, Kooperationskrediten, humanitärer Hilfe oder sogenannter Entwicklungshilfe erhalten. Im Jahr 2003 belief sich die öffentliche Entwicklungshilfe der Industrieländer des Nordens für die 122 Länder der Dritten Welt auf 54 Milliarden US-Dollar. Im selben Jahr haben diese Länder der Dritten Welt den Kosmokraten der Banken des Nordens 436 Milliarden US-Dollar als Schuldendienst überwiesen." Die gesamte Landwirtschaftshilfe der Industriestaaten für Afrika beträgt rund eine Milliarde US-Dollar. Dem stehen allein Produktions- und Export­subventionen für landwirtschaftliche Güter der Industrieländer in einer Höhe von 348 Milliarden US-Dollar gegenüber. (Dies sind offizielle Zahlen der OECD für das Jahr 2007.)

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon erklärte anläßlich des UN-Hunger-Gipfel im November 2009 in Rom: "Allein am heutigen Tag werden mehr als 17.000 Kinder an Hunger sterben, ein Kind alle fünf Sekunden, sechs Millionen pro Jahr." Entgegen den Versprechungen der Regierungen der Industrienationen aus dem Jahr 2000 ("Millenniums-Ziel"), die Zahl der weltweit Hungernden bis 2015 zu halbieren, stieg deren Zahl von 822 Millionen im Jahr 1990 auf 842 Millionen im Jahr 2004. Heute sind es - wie in dem Anfang Oktober vorgelegten "Welthungerbericht 2012" der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen FAO zu lesen ist - 868 Millionen Menschen.

"Dieser Hunger ist von Menschenhand gemacht. Wer an Hunger stirbt, stirbt als Opfer eines Mordes," so Jean Ziegler. Dies ist moralisch um so entsetzlicher, als heute auf diesem Planeten alle Menschen ernährt werden könnten und niemand wegen Mangel an Nahrungsmitteln mehr hungern müßte. Bereits 1984 stellte die FAO fest, daß die weltweite Nahrungsmittelproduktion ausreichen würde, um 12 Milliarden Menschen zu ernähren. Mittlerweile ist die Zahl der Menschen auf diesem Planeten auf sieben bis acht Milliarden gestiegen. Doch dies ändert nichts an der Tatsache, daß alle Menschen ernährt werden könnten und niemand verhungern müßte.

Und mittlerweile schwappt das Hunger-Problem auf Europa über. Während die Hunger-Flüchtlinge aus Afrika auf der Überfahrt übers Mittelmeer in immer größerer Zahl infolge der rigiden und unmenschlichen Abschottungsmaßnahmen der EU ertrinken, nimmt zugleich die Unterernährung in Europa zu. Doch auch hier hat dies nichts mit einer "Überbevölkerung" zu tun.

In Spanien sind laut UNICEF 2,2 Millionen Kinder unter zehn Jahren permanent schwerst unterernährt. Ähnliche Zahlen gibt es für Großbritannien. Und auch in den USA ist der Hunger wieder auf dem Vormarsch.

Im Zusammenhang mit dem sogenannten Millenniums-Ziel hatten die Industrienationen versprochen, mindestens 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Entwicklungszusammenarbeit (EZA) und Katastrophenhilfe bereitzustellen. Im Falle Deutschlands wären dies rund 11 Milliarden Euro. Die genannten 6 Milliarden Euro entsprechen gerade einmal 0,38 Prozent des BIP. Österreich liegt mit 0,27 Prozent des BIP in der Liste der EU-Geizhälse an letzter Stelle. Schweden liegt bei 1,02 Prozent, Portugal kommt auf 0,29. Doch hierüber zu lamentieren ist müßig, wenn dabei zugleich die Tatsache verschwiegen wird, daß jedes EU-Land ein Vielfaches dieser Milliarden den Hungerländern raubt.

 

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Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      4 Milliarden Euro für Teilchenbeschleuniger
      17.000 verhungerte Kinder jeden Tag (31.03.10)

      Milliarden im Vergleich
      Militär-Ausgaben - Hunger - Umsatzzahlen
      Größenverhältnisse grafisch dargestellt (31.12.09)

      Bilanz des UN-Hunger-Gipfels in Rom:
      In Zukunft noch mehr Tote
      für noch mehr Profit (19.11.09)

      Renommierter Agrar-Ökomom
      warnt vor Agro-Sprit (1.01.09)

      Volle Tanks - leere Teller
      Agro-Treibstoffe verursachen Hunger,
      Vertreibung und Umweltzerstörung (29.11.07)

      "Konzerne eignen sich die Welt an"
      Interview mit dem UN-Beauftragten Jean Ziegler
      (5.01.06)

      Eine mörderische Weltordnung
      Ceuta und Melilla (21.10.05)

      Hunger - tagtäglicher Mord
      der Reichen an den Armen (16.10.04)

      Hunger (30.07.03)