19.04.2010

Hygiene-Hype
bietet Schlupfloch
für Nano-Technologie

antibakteriell Berlin (LiZ). Während die Gefahren von Atomkraft und Gentechnik über viele Jahre hin breit diskutiert wurden, konnte die Nano-Technologie bislang das Licht der öffentlichen Diskussion meiden. Ohne großes Aufsehen werden Nano-Partikel auch in Produkten des täglichen Bedarfs schleichend eingeführt. Der Hype um aus wissenschaftlicher Sicht völlig unnötige Hygiene-Produkte bietet der Nano-Technologie ein Schlupfloch, um die Verbreitung in Massenprodukten auszuweiten.

Silber-Partikel in Nano-Größe werden unter dem Vorwand, antibakterielle Eigenschaften seien wünschenswert, in Socken, Kühlschränken oder gar Kinderspielzeug eingesetzt. Die Deklaration ist oft mangelhaft oder fehlt völlig. Nicht selten weist lediglich der Begriff "antibakteriell" die VerbraucherInnen auf einen Einsatz von Nano-Teilchen hin. Doch der Hygiene-Hype um vermeintlich sterile Produkte ist aus wissenschaftlicher Sicht völlig irrational.

Seit vielen Jahren warnt der Freiburger Professor Franz Daschner vom Institut für Umweltmedizin und Krankenhaushygiene am Universitätsklinikum davor, daß die nicht nur für die Umwelt, sondern auch die notwendige Hygiene in Haushalt und Klinik bedenklichen chemischen "Kampfstoffe" sehr viel Schaden anrichten.1 Nun wird diese mit irrationaler Werbung geschaffene Nachfrage vermehrt durch antibakterielle Produkte auf der Basis von Nano-Silber bedient. Die Folge ist eine völlig unnötige Belastung der Haushaltsabwässer und die Gefahr, daß immer mehr resistente Bakterienstämme auf diese Weise gezüchtet werden.

Nano-Silber wirkt antibakteriell. Für Nano-Silber gilt wie für alle Nano-Partikel: Die Teilchen sind mehr als 1000-fach kleiner als der Durchmesser eines menschlichen Haars. Eine Millionstel Millimeter dünne Schicht von Nano-Silber auf dem Gewebe von Strümpfen oder in Kühlschränken tötet Bakterien ab und hemmt so unangenehme Gerüche. Wegen dieser antibakteriellen Wirkung wird Nano-Silber laut einer Studie des Bundesinstituts für Risikobewertung von einem Großteil der VerbraucherInnen positiv beurteilt - im Gegensatz zu anderen Nano-Partikeln. "Der Begriff antibakteriell, mit dem gern geworben wird, ist beim Verbraucher anders als Nano positiv besetzt", sagt Jurek Vengels, Experte für Chemie und Nano-Technologie beim Umweltverband BUND.

Nano-Silber ist daher das Nano-Material, das am häufigsten und in einer sehr breiten Produktpalette zu finden ist. Etwa eine Tonne Silber wird schätzungsweise jedes Jahr für Nano-Produkte verarbeitet. Die Tendenz ist nach einer aktuellen Untersuchung des BUND stark steigend. Von Zahnpasta über Unterwäsche bis hin zu Frischhalte-Dosen und Computer-Tastaturen sind international über 300 Produkte mit Nano-Silber auf dem Markt - die meisten davon gibt es auch in Deutschland. Die Zahl ist auch deswegen so hoch, weil viele VerbraucherInnen eine immer sterilere Umgebung wollen - und sich von der Wirkung des Nano-Silbers in die Irre führen lassen.

Die Silber-Ionen töten zwar einen Teil der Bakterien ab oder hindern zumindest deren Wachstum. Völlig keimfrei werden - und vor allem auch dauerhaft keimfrei bleiben - können in der Alltagsumgebung benutzte Gegenstände wie Computer oder Textilien aber ohnehin nicht. Doch dem virtuellen Nutzen steht ein reales Risiko gegenüber: Bakterien werden mit der Zeit gegen Nano-Silber resistent. Werden durch den irrationalen Einsatz von antibakteriellen Mitteln im Haushalt resistente Bakterienstämme gezüchtet, wird der segensreiche Einsatz solcher Mittel in der Medizin gefährdet. "Das macht ihren sinnvollen Einsatz beim Desinfizieren in der Medizin wirkungslos", sagt Vengels.

Aus gesundheitlichen Gründen ist die Angst vieler VerbraucherInnen vor Mikroorganismen ohnehin nicht nachvollziehbar. "Für den normalen Gesundheitsschutz im Alltag ist das völlig unnötig", sagt Jürgen Thier-Kundke vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR). Eine keimarme Umgebung reduziert die Häufigkeit von Infektionskrankheiten nicht. Es lassen sich auch keine positiven Effekte auf die Gesundheit von Kindern feststellen. Im Gegenteil stärkt der Kontakt mit vielen verschiedenen Bakterien das Immunsystem.

Beim Waschen von Textilien mit Nano-Silber gerät dieses ins Abwasser und am Ende auf die Felder der Landwirschaft oder ins Trinkwasser. Nano-Silber ist hochtoxisch für Wasserorganismen. Gelangt Nano-Silber in großen Mengen ins Abwasser und in biologische Kläranlagen, kann es dort nützliche Bakterien zerstören und zudem die Vermehrung von Bakterien, die Krankheiten auslösen können, fördern.

Unklar ist bislang, ob Nano-Silber-Partikel, die aufgrund ihrer geringen Größe über die Haut oder die Atemwege in den menschlichen Körper gelangen, dort Zellen oder Organe schädigen können. "Langzeituntersuchungen dazu fehlen noch", sagt Vengels. Es gibt aber Hinweise auf Lungen- und Leberschäden, die mit der Aufnahme von Nano-Silber verbunden sind.

Um das gesundheitliche Risiko beurteilen zu können, muß laut BfR zwischen ins Produkt eingebundenen und ungebundenen Nano-Teilchen unterschieden werden. Bei freien Partikeln, die beispielsweise über ein Spray eingeatmet werden, sehen WissenschaftlerInnen die größten Gefahren. "Solange es keine abschließende Bewertung der Risiken gibt, raten wir, bei Alltagsprodukten auf Nano-Silber zu verzichten", sagt Thier-Kundke.

Für VerbraucherInnen ist das leichter gesagt als getan. Denn bei vielen Anwendungen ist gesetzlich nicht vorgeschrieben, den Einsatz von Nano-Silber auf dem Produkt anzugeben. "Bei Nahrungsergänzungsmitteln wie Zahnpasta beispielsweise reicht es, wenn antibakteriell draufsteht, nicht aber, wodurch diese Wirkung erzeugt wird", sagt Vengels. Auf der sicheren Seite sind KundInnen im Bio-Laden, denn die Hersteller-Firmen der dort verkauften Produkte verzichten freiwillig auf den Einsatz von Nano-Materialien.

Bei Bedarfsgegenständen aus Kunststoff, die mit Lebensmitteln in Kontakt kommen - damit sind zum Beispiel Kühlschränke oder Frischhaltebeutel gemeint -, ist die Verwendung von Nano-Silber seit Anfang dieses Jahres verboten; der Abverkauf von Restbeständen ist aber noch erlaubt. Lebensmitteln selbst wiederum dürfen kein Nano-Silber enthalten, wohl aber andere Nano-Partikel. Bei Kosmetika sind noch alle Nano-Partikel erlaubt, ohne daß sie explizit bei den Inhaltsstoffen ausgewiesen werden müssen. "Gerade wurde aber eine Verordnung verabschiedet, daß ab 2012 der Zusatz Nano im Verzeichnis der Inhaltsstoffe auftauchen muß", sagt Vengels.

In Deutschland gibt es keine Liste, welche Produkte Nano-Silber oder andere Nano-Partikel enthalten. Vengels rät den VerbraucherInnen, die Produktdatenbank des Woodrow Wilson International Center for Scholars in Washington zu nutzen. Sie biete den bislang umfassendsten Überblick über Produkte mit Nano-Materialien im verbrauchernahen Bereich. Die meisten der dort aufgeführten Produkte sind auch bei uns erhältlich.

 

LINKSZEITUNG

 

Anmerkungen

1 Siehe hierzu:

      Müssen wir umdenken?
      Interview mit Professor Franz Daschner (22.01.01)

Zum Thema Nano-Technologie siehe auch unsere Artikel:

      Gefahren durch Nano-Silber
      BUND fordert Verbot (2.12.09)

      Großes Gefahrenpotential
      Umweltbundesamt warnt vor Nanotechnologie (20.10.09)

      Nano-Technik und Kosmetik
      Europa-Parlament: Deklaration erst ab 2012 (24.03.09)

      Nano-Partikel in Lebensmitteln
      Bundesregierung verweigert Schutz der Bevölkerung
      (12.03.08)

      Nano-Technologie
      Eine neue Durchsetzungs-Strategie (18.12.07)

      Nano-Technologie - Ebenso vielfältig wie gefährlich
      (10.06.07)

      Warnung vor Nano-Technologie
      Waschmaschine von Media Markt birgt Umweltgefährdung
      (13.10.06)

      Nano-Technologie gefährlich
      Verletzungen durch 'Magic'-Spray (4.04.06)