28.10.2010

Real über 9 Millionen Arbeitslose
Die Tricks der Bundesregierung

Agentur für Arbeitslosigkeit Berlin (LiZ). Ministerin Ursula von der Leyen stellte sich am Mittwoch höchstpersönlich den Medien- VertreterInnen, um einen "ganz großen Erfolg" zu verkünden: Die Zahl der Erwerbslosen in Deutschland sei auf unter 3 Millionen gesunken und damit sei die Arbeitslosigkeit so niedrig wie zuletzt 1992. Doch real beträgt die Zahl der Erwerbslosen über 9 Millionen. Mit welchen Tricks rechnet die Bundesregierung die Arbeitslosigkeit schön?

In einer Ausgabe vom 4. Juli 2009 stellte das TV-Magazin 'Panorama' den Arbeitslosen Wolfgang Köster vor. Er hatte seinen Job verloren und tauchte dennoch in der offiziellen Arbeitslosen-Statistik nicht auf. "Verstehe ich nicht, ich krieg' Arbeitslosengeld vom Amt, ich bin arbeitssuchend gemeldet beim Amt, und da kann ich nicht verstehen, daß ich da nicht in der Statistik drin bin." Des Rätsels Lösung: Er wird nicht vom Amt bei seiner Arbeitssuche betreut, sondern von einem kommerziellen Jobvermittler. Mit diesem damals neuen - von 'Panorama' geouteten - Trick versuchte die "schwarz-rote" Regierung vor der Bundestagswahl im Herbst 2009 die Arbeitslosen-Statistik aufzuhübschen. Doch dies ist nur einer von vielen Tricks, mit denen die Arbeitslosenstatistik seit Jahren mehr und mehr verfälscht wird.

Als einen der ersten Tricks führte Norbert Blüm 1986 als Arbeitsminister der damals "schwarz-gelben" Bundesregierung unter Kanzler Helmut Kohl per Gesetzesänderung die Regel ein, daß 58-jährige und ältere Arbeitslose nicht mehr jede zumutbare Beschäftigung annehmen müssen - und so wegen "fehlender Verfügbarkeit" für den Arbeitsmarkt aus der Statistik gestrichen werden. Herausgestrichen wurden auch all jene, die wegen der Erziehung und Betreuung eines Kindes "nicht zur Verfügung" standen. Ab März 1989 wurden Arbeitslose, die keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld haben, für die Dauer von drei Monaten nicht mehr gezählt. Ab Oktober 1990 verschwanden die BezieherInnen von Altersübergangsgeld aus der Statistik, ab August 1992 die AsylbewerberInnen. Ab Mitte 1994 werden die Empfänger von Arbeitslosenhilfe nicht mehr als Arbeitslose gezählt, wenn sie eine gemeinnützige Arbeit (die heutigen Ein-Euro-Jobs) ausüben. Ab Januar 2004 - nunmehr unter der "rot-grünen" Bundesregierung Gerhard Schröders - wurden die TeilnehmerInnen an "Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik", darunter auch TeilnehmerInnen an Trainings- und Eingliederungsmaßnahmen aus der Arbeitslosen-Statistik gestrichen. 2007 tauchten schon 3,2 Millionen Personen, die Arbeitslosengeld beziehen, nicht mehr in der Statistik auf. Darunter befanden sich zum Beispiel die 225.000 Arbeitslosen, die von der (inzwischen ausgelaufenen) 58-Regelung profitierten. 60.000 Bezieher des Arbeitslosengeldes I wurden wegen Krankheit oder Teilnahme an einer Maßnahme nicht gezählt. Von den Beziehern des Arbeitslosengeldes II ("Hartz IV"), waren 54 Prozent oder 2,85 Millionen Personen nicht in der Arbeitslosen-Statistik geführt. Dabei handelt es sich zum Beispiel um die Ein-Euro-Jobber, um Teilnehmer in Maßnahmen, um Kranke und um sogenannte "Aufstocker" - Menschen, die von ihrer Erwerbstätigkeit nicht leben können und zusätzlich Geld nach Hartz IV bekommen. Zu diesen aus der Statistik herausgestrichenen Arbeitslosen kommt im übrigen noch die sogenannte "stille Reserve": Menschen, die erwerbsbereit sind, sich aber nicht arbeitslos oder arbeitssuchend melden, etwa aus Resignation.

In ihrer Ausgabe vom 8. Juli 2004 enthüllte die 'Wirtschaftswoche' - sicherlich mit dem Motiv, der damals noch amtierenden "rot-grünen" Bundesregierung damit zu schaden - seriös berechnete Zahlen, die belegten, daß nicht etwa wie offiziell verkündet 4,2 Millionen, sondern real 8,6 Millionen Menschen arbeitslos waren:

Arbeitslosenzahl laut Wirtschaftswoche

Aktualisieren wir diese Zahlen, ergibt sich folgendes Bild:

Arbeitslosenzahl Oktober 2010

 

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Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Aufschwung oder Weltwirtschaftskrise?
      Ist Deutschland eine Insel der Seeligen? (1.10.10)

      Von der Leyens Hartz-IV-Reform:
      Nominal 5 Euro Plus ab 2011 - real ein Minus (26.09.10)

      Bilanz von fünf Jahren Hartz IV
      Repression als "Arbeitsmarkt-Reform"
      Niederiglohn-Sektor massiv ausgeweitet (19.12.09)

      Sozialabbau im internationalen Vergleich
      "Aktivierungsmaßnahmen" dienen vor allem
      der Repression (15.03.08)

      Die Fälschung der Arbeitslosenstatistik
      Real mehr als 9 Millionen Arbeitslose in Deutschland
      (25.06.07)

      Arbeitslosigkeit auf absolutem Rekordniveau
      Tatsächlich bei über 7 Millionen (27.12.04)