Generalstreik bleibt Tabu
Essen (LiZ). Nachdem DGB-Chef Michael Sommer am 1. Mai 2009 in Bremen vor nur 5000 Menschen aufgetreten war, suchte er zum diesjährigen Tag der Arbeit Essen auf. Die Hoffnung der nordrhein- westfälischen Kandidatin für das Amt der Ministerpräsidentin, Hannelore Kraft, trog jedoch: Obwohl Sommer "S"PD-Mitglied ist, ließ nichts in seiner Rede auf eine Wahlempfehlung zur Landtagswahl am 9.Mai schließen. Im Gegensatz zum medial verstärkten allgemeinen Gerede vom bevorstehenden Aufschwung war die Aussage Sommers allerdings unzweideutig: "Wir leben nicht im Jahr eins nach der Krise, sondern im Jahr drei der Krise. Trotz vieler Versprechungen und warmer Worte, sind die Finanzmärkte immer noch nicht reguliert. Die Protagonisten von Gier und Geiz haben nichts dazu gelernt."
Die Forderungen, die Sommer aus dieser Erkenntnis ableitet, zeigen jedoch, daß er nach wie vor auf eine kapitalismus-konforme Bewältigung der Krise hofft. Angesichts der bestehenden Abhängigkeit von "Schwarz-Rot-Grün-Gelb" vom Kapital fordert er völlig unrealistisch ein "Verbot von schamlosen Geschäften, eine harte Regulierung des Finanzsektors, eine vernünftige Eigenkapitalregelung bei der Vergabe von Krediten und ein Ende von Kettenverbriefungen." Daß dieser Wunschzettel bei Angela Merkel und Guido Westerwelle bestenfalls im Papierkorb landet, dürfte Sommer bewußt sein. Nach seinen Erfahrungen mit dem "Basta-Kanzler", die nach seiner eigenen Aussage "nicht die Besten" waren, müßte ihm eigentlich auch klar sein, daß bei einer Neuauflage von "Rot-Grün" eher noch Schlimmeres zu erwarten wäre. Das einzige Instrument, mit dem die Gewerkschaften jedoch einen Ausweg aus der Krise erzwingen könnten, bleibt in Sommers Rede ungenannt: der politische Generalstreik.
Notwendig und richtig ist es, daß Sommer den - wenn auch seit einigen Wochen verstummten - infamen Angriffen von Westerwelle, Sarrazin und Co. auf das Heer der Erwerbslosen mit guten Argumenten entgegentritt: "Nicht Hartz IV ist zu hoch, die Löhne sind vielfach zu niedrig." Offen läßt Sommer allerdings, von wem der "Niedriglohnsektor ausgetrocknet und letztendlich abgeschafft" werden soll. Wenn nicht von den Gewerkschaften, von wem sonst?
Aber immerhin erhöht Sommer nun die bislang als europäisches Lohndumping zu wertende Forderung nach einem Mindestlohn in Höhe von 7,50 Euro: "Ein gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro ist (...) wahrhaftig nicht zu viel." Es ist zwar real immer noch zu wenig, denn ein Alleinstehender kommt damit gerade eben knapp über die Pfändungsfreigrenze. Aber damit nähert sich der DGB wenigstens den anderen europäischen Gewerkschaften an, mit denen er den Schulterschluß suchen müßte. Bisher jedoch war die Lohnpolitik des DGB nichts anderes als eine nationalistische "Sozialpartnerschaft" mit dem Kapital, die zu einer Konkurrenz zwischen den deutschen Lohnabhängigen und jenen in anderen europäischen Ländern um die niedrigsten Löhne geführt hatte. Dies war eine - und nicht etwa die geringste - der Ursachen für die Pleite Griechenlands, die Sommer nun endlich auch als Eskalationsstufe in der Weltwirtschaftskrise erkennt.
Richtige Forderungen oder zumindest eine Anpassung der Forderungen in eine Richtung, die die Realität berücksichtigt, sind schön und gut. Sie bleiben jedoch nicht mehr als warme Worte, wenn nicht wenigstens das Instrument vorgezeigt wird, mit dem sie durchsetzbar wären. Doch offenbar ist der Generalstreik für Sommer weiterhin ein Tabu. Und so klang es denn seltsam hohl, wenn Sommer zum Ende seiner Rede beschwor: "Wir sind die Schutzmacht des Sozialstaates und wer immer, wo immer, wie immer Hand an ihn legen will, der muß mit unserem Widerstand rechnen. Ich warne eindringlich: Wer Klassenkampf von oben betreibt, wird Sturm ernten."
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