Erhöhter Druck durch Wohnkostenpauschale
Berlin (LiZ). Der Chef der "Bundesagentur für Arbeit" (BA), Heinrich Alt, hat gestern (Mittwoch) einen neuen Plan publik gemacht, um die mit Hartz IV verbundenen Sozialausgaben weiter zu senken. Gegenüber der Zeitung 'Rheinische Post' befürwortete er die Einführung einer Wohnkostenpauschale. Bislang werden die Mieten bis zum Limit einer eng bemessenen Quadratmeterzahl nach den örtlich unterschiedlichen durchschnittlichen Mietpreisen teilweise erstattet. Der so bereits ausgeübte enorme Druck soll offenbar weiter erhöht werden.
Heinrich Alt ist einschlägig für seine antisoziale Haltung bekannt. So kommentierte er etwa das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Hartz-IV-Regelsätzen Anfang Februar mit den Worten: "Höhere Regelsätze allein lösen kein Problem, auch nicht bei Erwachsenen. Wir müssen darauf achten, daß das erzielbare Einkommen am Arbeitsmarkt im Normalfall über der Sozialleistung liegt." Dabei zieht Alt keineswegs die Einführung von Mindestlöhnen in Betracht, sondern meint die Absenkung der Regelsätze parallel zur weiteren Absenkung der Löhne und Ausweitung des Niedriglohnsektors.
Ganz offen erklärt Heinrich Alt die mit seinem Vorschlag verbundene Stoßrichtung: Mit der Einführung einer Wohnkostenpauschale würden "Anreize geschaffen, sich günstigeren Wohnraum zu beschaffen." Bislang würden Hartz-IV-BezieherInnen "den gesetzlichen Leistungsrahmen ausreizen", so weit es gehe. Ohnehin sei "die 100-Prozent-Versorgung durch den Sozialstaat antiquiert."
Sozial- und Mieterorganisationen als auch die Verbände der Wohnungswirtschaft wiesen die Pläne des BA-Chefs umgehend zurück. Der Vorsitzende des Sozialverbands Deutschland, Adolf Bauer, erklärte, die Einführung einer Wohnkostenpauschale ginge einseitig zu Lasten vieler ALG-II-BezieherInnen, die ihre bisherigen Wohnungen dann nicht mehr bezahlen könnten. Der Zwang, günstigeren Wohnraum zu finden, würde "zu sozialer Ausgrenzung und gesellschaftlicher Isolation der betroffenen Menschen führen". Bauer warnte ferner, daß die soziale Balance in vielen Wohnquartieren nachhaltig gestört würde, zumal die klammen Kommunen versucht sein würden, die Pauschale extrem niedrig anzusetzen.
Der Deutsche Mieterbund (DMB) befürchtet, die Umstellung auf eine Wohnkostenpauschale ziele auf eine Kürzung der Zahlungen. "Der Staat spart dann auf dem Rücken der sozial Schwächsten", sagte DMB-Direktor Lukas Siebenkotten in Berlin. Die jetzige Regelung sichere ein menschenwürdiges Wohnen, hier gebe es keine Einsparmöglichkeiten. In vielen Regionen oder Stadtteilen gebe es zudem für viele Mieter keine preiswerteren Wohnungen als die zur Zeit genutzten, so der DMB-Direktor. Ohnehin existierten nur in einem Drittel aller Gemeinden Mietspiegel, auf deren Grundlage eine Pauschalierung überhaupt machbar wäre. "Nahezu unmöglich" sei ferner ein einheitlicher Satz für Heizkosten, da je nach Energieträger und energetischem Gebäudezustand Preisdifferenzen von über 100 Prozent möglich seien.
DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach erklärte, die Einführung einer Wohnkostenpauschale wäre ein "Einfallstor für Kürzungen des Regelsatzes unter das gesellschaftliche Existenzminimum". Bereits die jetzige Regelung führe zu Zwangsumzügen und dazu, daß viele Betroffene einen Teil der Wohnkosten aus dem Regelsatz decken müßten, so Buntenbach.
Der Präsident des Bundesverbandes deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen, Lutz Freitag, warnte vor "drastischen negativen Auswirkungen auf die Entwicklung der Städte." Freitag forderte außerdem, daß nach einer energetischen Sanierung die erforderliche höhere Nettokaltmiete auch dann als angemessen anerkannt werden müsse, wenn sie über den Höchstsätzen für Wohnkostenerstattung liege. Sonst drohe das Projekt einer flächendeckenden energetischen Modernisierung zu scheitern. So sind etwa im deutschen Altbaubestand in großer Zahl Wärmedämmungen der Außenwände dringend erforderlich. Ein Scheitern dieser staatlich geförderten energetischen Modernisierung hätte negative Folgen für Sozialpolitik und Klimaschutz.
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