17.07.2010

Kommentar

Öl-Katastrophe im Golf von Mexiko
Bohrloch provisorisch abgedichtet

BP nach Greenpeace New Orleans (LiZ). Seit dem 20. April strömte nach einer Explosion auf der Bohrinsel 'Deepwater Horizon' eine gigantische Menge Rohöl in den Golf von Mexiko und führte zur bislang größten Öl-Katastrophe in der Geschichte. Nach einer Reihe mißglückter Versuche ohne zuvor erprobte Techniken das Bohrloch zu verschließen, meldet der Öl-Konzern BP, es habe nun provisorisch verstopft werden können. Ob der neue Auffangzylinder dem gewaltigen Druck auf Dauer standhält, ist fraglich. Noch befindet sich die Konstruktion in der Testphase. Die bereits von BP verursachten Schäden werden die Natur noch mindestens für ein Jahrzehnt belasten.

Doch mit dem Erfolg der BP-Ingenieure könnte nun wieder der Irrglaube Bestätigung finden, für jedes Problem fände sich auch eine technische Lösung. Der Machbarkeitsglaube verdrängte allzu schnell das Wissen um die bis heute fortwirkenden Folgen beispielsweise der Reaktor-Katastrophe von Tschernobyl. Der Vormarsch der Öl-Konzerne in immer riskantere Meeresgebiete konnte nicht gestoppt werden. Gerade erst gestern begann die Ausbeutung eines Ölfeldes vor der brasilianischen Küste in 5000 Meter Tiefe.

Wenige Tage zuvor hat die irische Regierung "ihren" atlantischen Festlandssockel für Erkundungslizenzen freigegeben. Weiter Planungen für Ölbohrungen im Meer laufen auf Hochtouren: vor Australien, Angola, Brasilien und vor den britischen Inseln. Auch in Deutschland wird die Ölförderung hinter dem Rücken der Bevölkerung vorangetrieben: ausgerechnet im geschützten Wattenmeer an der Nordseeküste. Landesregierung und Bergbehörde agieren in einer unglaublichen Arroganz und verlängerten die Lizenz dafür um 30 Jahre bis 2041, während im Golf von Mexiko noch das Öl ausströmte.

Dem Kampf der UmweltschützerInnen gegen die immer bedrohlichere Ölförderung - gerade auch in der Nordsee - bietet sich derzeit kein faßbares Ziel, so daß er keine Massen mobilisieren kann. Dies ist deprimierend und kann zu einer Schwächung der Umweltschutzbewegung weltweit beitragen.

Die Öl-Katastrophe im Golf vom Mexiko beweist, daß Offshore-Ölbohrungen selbst mit modernster Technik mit unkalkulierbaren Risiken verbunden sind. Da sich die einfach zugänglichen Ölfelder allmählich erschöpfen, dringen die Öl-Konzerne in immer riskantere Gebiete vor. Um das wachsende Risiko zu abzuwenden, hilft nur ein möglichst zügiger Abschied vom Öl und der beschleunigte Ausbau erneuerbarer Energien.

So erfreulich das Stopfen des Bohlochs nach 86 Tagen ist, so wenig sind die grundlegenden Probleme gelöst, gibt Christian Bussau, Ölexperte bei Greenpeace zu bedenken. Die Ökosysteme des Golfs von Mexiko und der Küstenregionen sind massiv geschädigt worden, langfristige Folgeschäden etwa in den Mangrovenwäldern wie auch für die Fischerei und den Tourismus sind sehr wahrscheinlich. Bereits in diesen ersten 86 Tagen der Katastrophe wurden die Kadaver von mehr als 1.800 toten Vögeln, 460 Schildkröten, 59 Delphinen und Walen gezählt. "Es ist völlig unklar, ob die 20 Milliarden Dollar, die BP auf ein Treuhandkonto einzahlen mußte, ausreichen, die gröbsten Schäden zu beseitigen," betont Bussau.

Noch kaum abzuschätzen sind die Auswirkungen giftiger Gase, die zugleich mit dem Rohöl aus dem Bohrloch strömten. Auch in den von der Ölpest betroffenen Küstenregionen wurde eine erhöhte Konzentration der Giftgase gemessen. Die Arbeitskräfte, die an die bei den Aufräumarbeiten an den US-Küsten eingesetzt sind, leiden zunehmend an Gesundheitsbeschwerden und erkranken. Berichte darüber werden von der US-Regierung ebenso unterdrückt wie Studien über die enormen ökologischen und klimatischen Folgen, die sich mit der Ausbreitung des Öl mit dem Golfstrom bis in den Atlantik und bis nach Island und in die Nordsee ergeben können.

Die verbrecherische Dominanz der Öl-Konzerne über die US-amerikanischen "Überwachungsbehörden" und die nachgewiesene Korruption wurden in den Mainstream-Medien kaum zur Sprache gebracht. Allein Greenpeace-Chef Kumi Naidoo fand deutliche Worte: "Der US-Kongress ist das beste Parlament, das man für Geld kaufen kann. Wenn diese Katastrophe eines gezeigt hat, dann, daß es massive Korruption bei der Vergabe der Bohrrechte gibt." Eine effektive Boykott-Aktion war nicht erfolgversprechend durchzuführen, da sie sich gleichermaßen gegen alle Öl-Konzerne hätte richten müssen: ExxonMobil, Shell, BPAmocoArco (in Deutschland: "Aral"), TotalElfFina, ChevronTexaco, ConocoPhillips, PetroChina, um nur die weltweit größten sieben zu nennen.

Bezeichnend ist zudem, daß die Unfähigkeit der US-amerikanischen Behörden, eine von BP unabhängige Schadensbekämpfung zu organisieren, nicht in den Mainstream-Medien thematisiert wird. Statt dessen wird von Küstenwache, Polizei und Sicherheitsdiensten die betroffenen Küstenregionen abgeschirmt, so daß eine freie Berichterstattung zumindest sehr erschwert wird. CNN-Reporter Anderson Cooper berichtete Anfang Juli, daß die US-Regierung eine neue Vorschrift mit Gesetzeskraft erlassen hat, wonach sich auch JournalistInnen strafbar machen, die den Aufräum- und Auffangmaßnahmen oder einem Schiff im Golf von Mexiko zu nahe kommen. Auch aktuelle Satelliten-Aufnahmen, die ein Bild von der Ausbreitung des Öl-Teppichs bieten, dürfen nicht veröffentlicht werden. Die alleinige Hoheit über Fotos und Video-Aufnahmen verbleibt so bei BP. Zugleich tritt US-Präsident Barack Obama in der Öffentlichkeit als lautstarker Ankläger des Öl-Konzerns auf.

Zu erinnern ist heute auch daran, daß für Öl-Bohrungen in Meerestiefen von 1.500 Metern und mehr bislang kein Notfallplan existiert und keine erprobten technischen Lösungen zum Verschließen eines außer Kontrolle geratenen Bohrlochs zur Verfügung stehen. Die in den vergangenen 86 Tagen insgesamt zwölf Versuche, das Bohrloch im Golf von Mexiko zu verschließen, gerieten zur Farce. Giftige Lösungsmittel unter und auf der Meeresoberfläche, Abfackeln des schwimmenden Öls, eine Stahlglocke über, dann Schlamm ins Bohrloch, der Super-Tanker A-Whale: nichts konnte das Öl stoppen. Auch der Einsatz des neuen Auffangzylinders erwies sich als Geduldsprobe, nachdem eine defekte Leitung die notwendigen Tests weiter verzögerte.

Ob die jetzige Notlösung auf Dauer hält und dem gewaltigen Druck auf Dauer standhält oder sich das Öl einen neuen Weg in anderthalb Kilometer Tiefe bahnen wird1, ist fraglich. Selbst BP gesteht in aller Vorsicht mit der jüngsten Verlautbarung ein, daß es noch keinen Beleg dafür gibt, daß der Ölaustritt aus dem Bohrloch auf Dauer gestoppt worden ist. Deshalb werden weiterhin zwei teuere Entlastungsbohrungen vorangetrieben, die sich laut BP noch bis in den August hineinziehen können.

Seit dem 20. April sind laut Schätzungen zwischen zwei und fünf Millionen Barrel (318 Millionen - 795 Millionen Liter) Öl ins Meer geströmt. Nur 500.000 Barrel konnte BP nach eigenen Angaben absaugen.

 

LINKSZEITUNG

 

Anmerkungen

1 Siehe auch unsere Artikel:

      Super-GAU im Golf von Mexiko?
      Der Meeresboden kann aufbrechen (30.06.10)

      Ölkatastrophe im Golf von Mexiko
      Sichtbare Spitze eines verbrecherischen Systems
      (30.05.10)

      Havarie der Bohrinsel im Golf von Mexiko
      weitet sich zu Katastrophe aus (30.04.10)

      Peru: Öl-Konzern Repsol plant Ausbeutung im Regenwald
      Indigene und Ökosystem bedroht (20.04.10)

      Ölpest bedroht Weltnaturerbe
      Schiffs-Havarie am Great Barrier Reef (5.04.10)

      Obama verspricht
      Bau neuer Atomkraftwerke in den USA (30.01.10)

      "Friedens"-Präsident Obama erhöht Militär-Etat
      Neuer Weltrekord: 680 Milliarden US-Dollar (29.10.09)

      Öl-Katastrophe vor Australien
      Artenreiche Meeresregion bedroht (23.10.09)

      Obama erhöht den US-Kriegsetat
      Größtes Militär-Budget der Weltgeschichte (8.04.09)

      Ölpest vor Australien
      weitaus größer als zunächst gemeldet (15.03.09)

      Barack Obama und das Nadelöhr
      Ist von Obama anderes zu erwarten als von Bush? (9.10.08)

      US-Gericht entscheidet nach 19 Jahren
      über Tanker-Katastrophe Exxon Valdez
      Exxon-Konzern verdient am Unglück (7.07.08)