Widerstand von AnwohnerInnen, UmweltschützerInnen und WissenschaftlerInnen
Rio de Janeiro (LiZ). Brasiliens Umweltminister Carlos Minc hat Anfang Februar die Ausschreibung zum Bau des weltweit drittgrößten Wasserkraftwerks genehmigt. Belo Monte heißt das Projekt, das Wissenschaftler, Umweltschützer, aber auch Ureinwohner und andere Betroffene auf die Barrikade treibt. "Für uns ist die Schlacht um Belo Monte noch nicht verloren", sagt Moisés Ribeiro, Koordinator der Bewegung der Staudammopfer (MAB). "Das Wasserkraftprojekt ist aussichts- und sinnlos. Der Kampf geht weiter."
Die Aufstauung des Rio Xingu, der Lebensader von über einem Dutzend Indianervölkern im Regenwald Südostamazoniens, wurde bereits während der Militärdiktatur unter dem Namen 'Kararaô' geplant. Aufgrund weltweiter Proteste und einer starken, von Ethnologen unterstützten indigenen Bewegung, verschwand das Konzept 1989 in der Schublade.
Das nun von der Regierung Luiz Inacio "Lula" da Silva genehmigte Mega-Projekt soll eine Leistung von 11.233 Megawatt haben. Geschätzte Baukosten: acht bis zwölf Milliarden Euro. Zwei insgesamt 516 Quadratkilometer große Stauseen sowie ein Kanal, der einer der artenreichsten und schönsten Flußschleifen von über 100 Kilometer Länge das Wasser abgraben soll, werden die Natur radikal verändern. Das Ergebnis: Aus dem gekappten Flußarm würde nach Angaben der Staudammgegner eine Brutstätten für Malariamücken. Millionen von Fischen würden verenden, wandernde Fischarten könnten aussterben, der Grundwasserspiegel absinken. Die in der Region lebenden Ureinwohner und Anwohner des Flusses verlören ihre wichtigste Nahrungs- und Trinkwasserquelle.
Hermes Medeiros, Ökologe der Universität Pará, sieht den Artenreichtum des Xingu, in dem etwa viermal mehr Fischarten vorkommen als in ganz Europa, bedroht. Für die Kanalbauten müßten etwa 210 Millionen Kubikmeter Erde und Gestein ausgehoben und irgendwo deponiert werden - fast soviel wie für den Bau des Panama-Kanals. Hinzu kommen Tausende Kilometer von Starkstromleitungen quer durch bisher noch intakte Regenwaldgebiete, Hunderte von Kilometern von Straßen für die schweren Baufahrzeuge und die Errichtung von Siedlungen für mehrere tausend Arbeiter. Der staatliche Stromkonzern Eletrobras geht von 3.200 Familien aus, die es umzusiedeln und zu entschädigen gilt. Laut Ruben Siqueira von der katholischen Landpastorale würden aber wenigstens 20.000 Menschen Haus und Boden verlieren, und weitere 80.000 wären indirekt betroffen. Gleichzeitig werde das Wasserkraftprojekt über 100.000 Menschen aus anderen Teilen Brasiliens auf der Suche nach Arbeit anlocken - mit verheerenden Folgen für indigene Bevölkerung und Regenwald.
Brasilianische Experten halten alles zudem nur für ein "Vorspiel". Der Xingu könne aufgrund seiner Wasserspiegelschwankungen die projektierte Leistung tatsächlich nur etwa acht Monate im Jahr liefern. Staudamm- und Klimaforscher Philip Fernside vom Nationalen Amazonasforschungsinstitut INPA hält deshalb die Beschränkung auf zwei kleine Stauseen für eine bürokratische Erfindung, um die Erteilung der Umweltgenehmigung zu erleichtern. Später werde dann aus technischen und Rentabilitätsgründen der Bau des im allerersten Konzept vorgesehenen Staudamms Babaquara, der 6.140 Quadratkilometer Regenwald überfluten wird, notwendig sein.
Das für die Genehmigung wichtige Gutachten berücksichtigt diese Probleme offenbar nicht oder unzureichend. Kein Wunder, so die Projektgegner: "Das Umweltgutachten haben Unternehmen erstellt, die selbst Interesse am Bau von Belo Monte haben, keine unabhängige Kommission", kritisiert Marquinho Mota vom Ostamazonischen Forum. Der Umweltbehörde IBAMA verblieb lediglich die Aufgabe, dieses in kurzer Zeit am Schreibtisch zu prüfen, was nach Meinung des Wissenschaftlers der Universität Campinas, Oswaldo Sevá, schon aufgrund des Personalmangels der Behörde nicht möglich gewesen sei. Für ihn ist Belo Monte eine Fehlkonstruktion und die Genehmigung durch das Umweltministerium absurd. Im Gutachten würden zwar Belange der Wasserschildkröten des Xingu berücksichtigt, doch die lokale Bevölkerung bleibe außen vor.
Der seit über 20 Jahren am Thema arbeitende Sevá hat jedoch nichts anderes von Minister Minc erwartet. Bereits als "Umwelt"-Sekretär von Rio de Janeiro habe er zwei gigantische, die Umweltsituation der Millionenstadt verschlimmernde Industriekomplexe in Windeseile genehmigt: einen der weltgrößten petrochemischen Industriekomplexe im Umland von zwei der letzten noch sauberen Zuflüsse der Bucht Guanabara im Norden Rios sowie Lateinamerikas größten Stahlwerk-Komplex von ThyssenKrupp im Süden der Metropole, der bereits während der Bauphase Tausende von Fischern um ihre Fanggründe gebracht haben soll.
Minc, ehemaliger Mitgründer der Grünen Partei Brasiliens, rechtfertigt Belo Monte mit dem Klimaschutz. Das Projekt sei "Teil von Brasiliens Kampf gegen den Klimawandel", so der Minister, der sich damit gegen die Erkenntnisse der Wissenschaftler des staatlichen Amazonasforschungsinstituts INPA stellt. Die hatten nachgewiesen, daß Wasserkraftwerke in den Tropen keine saubere, klimafreundliche Energiequelle sind, sondern klimaschädlich, weil sie erhebliche Mengen an Treibhausgasen, vor allem Methan freisetzten. Es seien regelrechte Methanfabriken, sagt INPA-Forscher Philip Fearnside. Das Umweltgutachten zu Belo Monte allerdings rechne die Treibhausgasemissionen herunter und ignoriere die im Wasser gebundenen Methanmengen, die beim Passieren der Turbinen frei werden.
Norbert Suchanek
Rio de Janeiro
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