8.11.2014

Gorbatschow: Westen hielt Versprechen nicht ein
Sorge vor "neuem Kaltem Krieg"

Gorbatschow in Berlin
Berlin (LiZ). Zum Jubiläum des Falls der Deutschen Mauer vor 25 Jahren kritisiert der frühere sowjetische Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow den "Westen". Dieser habe nach 1989 seine Versprechen gebrochen und die NATO nach Osten ausgedehnt. Vor diesem Hintergrund äußerte er Verständnis für die Sichtweise der heutigen russischen Regierung im Ukraine-Konflikt.

Der Friedensnobelpreisträger, der als einer der "Väter der deutschen Wiedervereinigung" gilt, warf dem "Westen" und insbesondere der US-Regierung vor, ihre Versprechen nach 1989 gebrochen zu haben. Bereits in den 1990er-Jahren habe der "Westen" begonnen, im Verhältnis zu Rußland das Vertrauen zu untergraben. "Damals haben sich die Top-Politiker der westlichen Welt zu Siegern im Kalten Krieg erklärt und Anspruch auf eine Spitzenposition in der Welt erhoben," sagte Gorbatschow.

"Sie nutzten den geschwächten Zustand Rußlands und das Ausbleiben eines Gegengewichts aus," erklärte er. "Die Ereignisse der vergangenen Monate, unter anderem die Situation in der Ukraine, waren eine Folge kurzsichtiger Politik. Kurz aufgezählt: NATO-Erweiterung, Jugoslawien und vor allem das Kosovo, Raketenschildpläne, Irak, Libyen, Syrien," so Gorbatschow. "Und wer leidet am meisten unter der Entwicklung? Es ist Europa, unser gemeinsames Haus."

Tatsächlich hat sich die Zahl der NATO-Mitgliedstaaten in den vergangenen 25 Jahren nahezu verdoppelt:

NATO-Ausdehnung 1989 - Grafik: N.R.

NATO-Ausdehnung 1989

NATO-Ausdehnung 2014 - Grafik: N.R.

NATO-Ausdehnung 2014

Die Ausdehnung der NATO in Richtung Osten erfolgte schrittweise: 1995 wurden die in den "neuen Bundesländern" stationierten Einheiten der Bundeswehr (zu dem Zeitpunkt rund 50.000 Soldaten) in die Bündnisstruktur der NATO integriert. 1997 bot die NATO den Staaten Polen, Ungarn und Tschechien den Beitritt an und vereinbarte mit der Ukraine eine NATO-Ukraine-Charta über eine "besondere Partnerschaft". Polen, Ungarn und Tschechien traten formell 1999 der NATO bei. 2004 kamen Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, die Slowakei und Slowenien hinzu. Und im April 2009 wurde die NATO auf Kroatien und Albanien ausgedehnt. Somit wuchs die Zahl der NATO-Staaten zwischen 1989 und 2009 von 16 auf 28.

"Statt aber einen Mechanismus der europäischen Sicherheit zu entwickeln und eine umfassende Demilitarisierung der europäischen Politik vorzunehmen – was übrigens in der Londoner Erklärung der NATO versprochen wurde – haben sich der Westen und insbesondere die USA zu Siegern im Kalten Krieg erklärt," erläuterte Gorbatschow.

"Hier in Berlin, zum Jahrestag des Mauerfalls, muß ich feststellen, daß all dies auch negative Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen Rußland und Deutschland hat," sagte Gorbatschow. "Laßt uns daran erinnern, daß es ohne deutsch-russische Partnerschaft keine Sicherheit in Europa geben kann."

Der 83-Jährige, der früher als Kritiker des russischen Präsidenten Wladimir Putin hervorgetreten war, warb um Verständnis für die russische Seite. Jüngste Äußerungen Putins ließen das Bestreben erkennen, Spannungen abzubauen und eine neue Grundlage für eine Partnerschaft zu schaffen. Gorbatschow forderte eine schrittweise Aufhebung der gegenseitigen Sanktionen, die beiden Seiten nur schadeten.

"Die Welt ist an der Schwelle zu einem neuen Kalten Krieg. Manche sagen, er hat schon begonnen." Der Ex-UdSSR-Präsident rief die europäischen PolitikerInnen auf, nach Wegen zu einem Dialog zu suchen. "Die Erfahrungen der 80er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts zeugen davon, daß selbst die schier absolut hoffnungslose Situation nicht aussichtslos ist."

 

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Anmerkungen

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