19.03.2010

Kundus-Massaker:
Organisation 85 versucht
zu vernebeln

Der Krieg als Marionette Berlin (LiZ). Interne Dokumente aus dem deutschen Kriegsministerium belegen, daß dort eine geheime Abteilung mit dem Namen Organisation 85 beauftragt wurde, die NATO-Ermittlungen zur Rolle der deutschen Bundesregierung beim Kundus-Massaker zu behindern und auch die Staatsanwaltschaft zu manipulieren. Aus den Dokumenten geht hervor, daß sowohl das deutsche Kriegsministerium unter dem damaligen Minister Franz Josef Jung, der am 27. November vergangenen Jahres zurücktreten mußte, als auch die Bundeswehrführung gezielt daran arbeiteten, den genauen Hergang der mehrstündigen Vorbereitung und die Befehlsstränge, die zum Kundus-Massaker führten, gezielt zu vernebeln.

Weiter geht aus dem - bislang dem Bundestags- Untersuchungsausschuß nicht vorliegenden - Material hervor, daß der Geheim-Abteilung "Organisation 85" mindestens fünf Personen angehören. Die Bezeichnung erinnert an den gleichnamigen Geheimdienst im Geheimdienst, mit dem der frühere BND-Chef Reinhard Gehlen interne Ermittlungen durchführen ließ. Gehlen war von 1956 bis 1968 Präsident des deutschen Auslandsgeheimdienstes BND ("Bundesnach- richtendienst").

Aufgabe der "Organisation 85" im Falle des Kundus-Massakers war es, ein "positives Bild des Erfolgs" dieser nicht primär auf die Zerstörung der beiden entführten Tanklaster, sondern auf vor Ort vermutete hohe Anführer des Widerstands gerichteten Bombardierung zu zeichnen. Des weiteren sollte Kritik an Bundeswehr und deutscher Regierung gezielt verhindert werden. Die Geheim-Abteilung wurde bereits am 9. September mit diesen Aufgaben betraut - nur fünf Tage nach dem Kundus-Massaker. Offenbar war also die Bedeutung der mißlungenen "Operation", die insbesondere in der Zeit kurz vor der Bundestagswahl nicht an die Öffentlichkeit gelangen sollte, von Anfang an klar.

Mittlerweile werden Gerüchte gestreut, die "Organisation 85" sei unter der Leitung des mittlerweile von Jungs Nachfolger, dem derzeitigen deutschen Kriegsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, entlassenen Staatssekretär Peter Wichert gestanden. Die bei der Entlassung am 26. November von Guttenberg vorgebrachte Begründung, Wichert und der zeitgleich entlassene Generalinspekteur der Bundeswehr Wolfgang Schneiderhan hätten ihn nicht ausreichend über die vorliegenden Berichte zum Kundus-Massaker informiert, ist inzwischen obsolet. Im Gegenteil deuten die heute vorliegenden Informationen darauf hin, daß sowohl Wichert als auch Schneiderhan sich nicht aktiv in die Vernebelungs-Aktivitäten um die "Organisation 85" einbinden ließen und deshalb aus dem Dienst entfernt wurden. Erst vor wenigen Tagen entließ Guttenberg mit Brigadegeneral Henning Hars eine weitere Person aus der Bundeswehrführung, die es gewagt hatte, in Hinblick auf das Kundus-Massaker unangenehme Fragen zu stellen. Wäre Wichert an den Vernebelungs-Aktivitäten der "Organisation 85" beteiligt gewesen, würde er nach seiner Entlassung ein unkalkulierbares Risiko für Guttenberg darstellen.

Interessant dürfte dagegen weitaus eher sein, in welchem Zusammenhang die "Organisation 85" mit der am Kundus-Massaker beteiligten Geheimabteilung KSK der Bundeswehr steht. Die KSK agiert seit Jahren außerhalb jeglicher Legalität und Kontrolle des Bundestags in Afghanistan und ist an Entführungen und gezielten Tötungen Verdächtiger beteiligt.

Die Geheimabteilung "Organisation 85" war offenbar gut vernetzt. Im September ermittelte die NATO zu den Umständen des Kundus-Massakers. Zu einem in der NATO-Ermittlergruppe mitwirkenden deutschen Geheimdient-Agenten hatte die "Organisation 85" einen direkten Draht. Die Telefone liefen offenbar heiß, denn es gehörte zur Aufgabe der "Organisation 85" herauszufinden, was die NATO-Ermittler bereits wußten und wie der Bericht, der heute meist als COMISAF-Report bezeichnet wird, am besten im Sinne der Bundesregierung zu beeinflussen sei. Vermerkt wurden von "Organisation 85" detailliert Vernehmungsplanungen und Inhalte von NATO-Besprechungen. Vor allem interessierte die Termin-Planung für die Fertigstellung des Berichts. Denn der Zeitpunkt der Veröffentlichung spielte für die "schwarz-rote" Bundesregierung eine große Rolle. Für den 27.September standen die Bundestagswahlen an. Ein harscher NATO-Report vor diesem Termin, der den Tod von ZivilistInnen bestätigt und die Bundeswehr deutlich kritisiert, sollte verhindert werden. Eine Woche vor der Wahl jedoch hatte der deutsche Spion bei der NATO gute Nachrichten. Zum einen sei durch eine Terminverschiebung "eine Woche gewonnen". Der Bericht sei außerdem "nicht vor dem 9. Oktober zu erwarten". Also nach der Wahl.

Kurz vor Fertigstellung des COMISAF-Reports gab die "Organisation 85" ihrem Mann bei der NATO sehr konkrete Anweisungen, wie er seine "Ermittler"-Aufgabe auszuführen habe. Am späten Nachmittag des 6. Oktober schrieben die NATO-Offiziere in Kabul schon an der Endversion ihres Reports, da kam es zu einem längeren Telefongespräch mit dem Spion. Ein der "Organisation 85" angehörender Regierungsdirektor wies ihn "höchstvorsorglich" an, "daß - falls möglich - ein ermessensfehlerfreies Handeln herausgestellt werden sollte". Die NATO dürfte über die Bespitzelung durch die "Organisation 85" wenig amüsiert sein. Über den Spion in der NATO-Ermittlergruppe in Afghanistan erfuhr das deutsche Kriegsministerium immer genau, was die Ermittler taten. Völlig absurd ist es daher, anzunehmen, erst mit dem im 26. November publik gewordenen Bericht deutscher Feldjäger hätte die deutsche Bundesregierung erfahren, daß es beim Kundus-Massaker zivile Opfer gegeben hat. Die Entlassung von Schneiderhan und Wichert hatte also nichts mit dieser Veröffentlichung zu tun. Allenfalls diente die Veröffentlichung dazu, Guttenberg einen Vorwand für diese Entlassungen zu liefern.

Doch nicht nur gegenüber der NATO wurde Vernebelung betrieben, die Aufgabe der "Organisation 85" zielte auch auf die deutsche Justiz. Aus den vorliegenden Dokumenten geht hervor, daß vor einem Treffen mit der Generalstaatsanwaltschaft Dresden Mitte September darüber beraten wurde, welche Dokumente der Justiz übergeben werden könnten. Um eine unmittelbare Bedrohung zu belegen, sollte eine Liste von Anschlägen mit entführten Lastern angefertigt werden. Außerdem sollte eine Warnmeldung des BND geschickt zitiert werden, damit die Generalstaatsanwaltschaft auf das Papier aufmerksam wird und es sich dann direkt besorgt.

 

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Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Kundus-Massaker:
      Im Bundeskanzleramt geplant? (24.02.10)

      Kundus-Massaker: Die Lügen des Oberst Klein
      Wie lange kann sich zu Guttenberg noch halten?
      (17.01.10)

      Kundus-Massaker: Weiteres Material sickert durch
      Oberst Klein wollte 4 Taliban-Anführer "vernichten"
      (13.12.09)

      Kundus-Massaker: Killertruppe KSK beteiligt
      Guttenberg trägt nichts zur Aufklärung bei (10.12.09)

      Kundus-Massaker: US-Bomberpiloten fragten 5 mal
      wegen Tiefflügen
      Oberst Klein behauptete "Feindberührung" (6.12.09)

      Kundus-Massaker: Jung zurückgetreten
      - Aufklärung gestoppt? (28.11.09)

      Wird das Bundeswehr-Massaker von Kundus
      jetzt aufgeklärt?
      Der Generalinspekteur der Bundeswehr
      und ein Staatssekretär traten heute zurück (26.11.09)

      Massaker in Afghanistan?
      Regelverletzung bei Bombardierung? (10.09.09)

      Afghanistan-Krieg: ZivilistInnen getötet
      bei Bombardierung zweier Tanklaster? (7.09.09)