Hintergrund-Beitrag
Wie riskant ist der Neckar-CASTOR?
342 abgebrannte hochradioaktive Brennelemente aus dem 2005 abgeschalteten AKW Obrigheim sollen nach dem Willen des "grünen" Atom-Konzerns EnBW ins "Zwischen"-Lager des AKW Neckarwestheim transportiert werden. EnBW begann bereits im vergangenen September in den umliegenden Gemeinden, für einen CASTOR-Transport auf dem Neckar zu werben. Anti-Atom-Initiativen aus dem gesamten süddeutschen Raum haben sich vehement gegen diese aus ihrer Sicht höchst gefährliche und durch nichts rational zu begründende Aktion ausgesprochen und ihren Widerstand angekündigt.
Auch auf der bundesweiten Frühjahrs-Konferenz der Anti-Atom-Bewegung Anfang April haben die Delegierten von Dutzenden Anti-Atom-Gruppen zwischen Hamburg und Freiburg zu gewaltfreien Blockaden aufgerufen, um sich dem von EnBW und baden-württembergischer Landesregierung geplanten CASTOR-Transport entgegenzustellen.
Das AKW Obrigheim wurde im Jahr 2005 erst nach einer Laufzeit von 37 Jahren abgeschaltet. Nach wie vor sind keine Informationen erhältlich, ob der Reaktordruckbehälter des AKW Obrigheim auf Risse und Versprödung untersucht werden soll. Nach offiziellen Angaben wurde der "Rückbau" der AKW-Ruine im Herbst 2008 begonnen. Bis Ende August 2015 wurde nach Angaben von EnBW der rund 135 Tonnen schwere Reaktordruckbehälter in den Zerlegebereich des Reaktorgebäudes transportiert. Offenbar wurden inzwischen die Beweismittel beiseite geschafft, denn der Reaktordruckbehälter wurde bereits in Einzelsegmente zerlegt und diese wurden "verpackt". Die schon seit 2003 von Seiten der Anti-Atom-Bewegung erhobene Forderung nach Untersuchungen zur Versprödung der Wandung des Reaktordruckbehälters durch die Neutronen-Strahlung wird bis heute ignoriert.
Der CASTOR-Transport auf dem Neckar sei "sicher und verantwortlich machbar," erklärte Manfred Möller vom EnBW-Konzern gegenüber den Heilbronner Stadträten bei einer Werbe-Veranstaltung im September 2016. Die verkehrsrechtliche Zulassung der Behälter des Typs CASTOR 440/84 mvK ist seit November 2013 erteilt. EnBW will für den CASTOR-Transport einen Frachtkahn einsetzen, der "unsinkbar" sei. Trotz der riskanten Route über den Neckar ist hierbei zugleich eine fünffache Durchfahrt durch das dicht besiedelte Stadtgebiet von Heilbronn erforderlich. Bei einem Terror-Anschlag auf den CASTOR-Transport kann die 120.000-Einwohnerstadt für Jahrzehnte in eine Todeszone verwandelt werden.
Panzerbrechende Waffen sind heute auf dem Schwarzmarkt weltweit ohne weiteres zu beschaffen. Bekanntlich kann mit Hilfe einer Panzerfaust aus einem halben Kilometer Entfernung 70 Zentimeter dicker Panzerstahl durchlagen werden. Eine solche Panzerfaust hat schußbereit - also mit der entsprechenden Rakete bestückt - lediglich ein Gewicht von 13 Kilogramm. Entlang des Neckars gibt es auf der insgesamt 50 Kilometer langen Transportstrecke unzählige Möglichkeiten für Verstecke, von wo aus ein Terror-Angriff unternommen werden kann.
CASTOR-Behälter weisen eine Außenwandung aus lediglich 40 Zentimeter dickem Gußeisen auf. Diese enthält zudem axiale Bohrungen, so daß von einer effektiven Wandstärke von rund 30 Zentimetern ausgegangen werden muß. Und: Bekanntlich besitzt Gußeisen bei weitem nicht die Widerstandfähigkeit von Panzerstahl. Wird auch nur ein einziger CASTOR-Behälter auf dem Gelände der AKW Ruine Obrigheim oder während des Transports auf dem Neckar bei einem Terror-Angriff zerstört, sind die Folgen ebenso verheerend wie bei einem Super-GAU in einem AKW. Ein CASTOR-Behälter vom Typ 440/84 mvk - wie er nun für diesen Transport auf dem Neckar verwendet werden soll - wiegt in beladenem Zustand 107 Tonnen.
Das "Zwischen"-Lager des weiterhin in Betrieb befindlichen baden-württembergischen "grünen" AKW Neckarwestheim ist keineswegs sicher. Als bundesweiter Sonderfall wurde dieses Lager in zwei Tunnelröhren eines ehemaligen Steinbruchs errichtet. Da hier permanent Grundwasser abgepumpt werden muß, wird der Kalkstein im Untergrund mehr und mehr ausgewaschen. Die dabei entstehenden Hohlräume müssen regelmäßig mit Beton verfüllt werden - eine Notlösung. Auch in dem "Zwischen"-Lager des AKW Neckarwestheim wurden in den vergangenen Jahren verrostete Atommüll-Fässern entdeckt. Da weltweit bis heute kein Ort gefunden wurde, wo hochradioaktiver Atommüll für Millionen Jahre sicher gelagert werden kann, ist zu befürchten, daß die suggestiv als "Zwischen"-Lager bezeichneten Hallen zu einem ewigen Provisorium werden.
In Deutschland gibt es 16 "Zwischen"-Lager, die jedoch ausnahmslos illegal betrieben werden. Im Januar 2015 hat das Bundesverwaltungsgericht Leipzig das "Zwischen"-Lager im stillgelegten Atomkraftwerk Brunsbüttel für illegal erklärt. Aus der Urteilsbegründung folgt, daß sämtliche 16 Atommüll-"Zwischen"-Lager in Deutschland illegal sind. Bereits im Juni 2013 hatte das Oberverwaltungsgericht Schleswig geurteilt, daß von den zuständigen Stellen nicht ausreichend geprüft worden war, ob das "Zwischen"-Lager sicher vor terroristischen Angriffen ist. Außerdem bemängelten die RichterInnen, daß die Risiken eines gezielten Absturzes eines großen Flugzeuges wie des Airbus A380 ausgeblendet worden seien. Das Bundesverwaltungsgericht Leipzig bestätigte dieses Urteil.
Aus einem geheim gehaltenen Gutachten der Bundesregierung aus dem Jahr 2003, das von der staatlichen Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) erstellt wurde, geht hervor, daß ausnahmslos alle Atomkraftwerke in Deutschland nur unzureichend gegen einen Unfall oder Angriff aus der Luft geschützt sind. Das Triebwerk eines Passagierflugzeugs - und besonders jene eines Airbus A380 - durchschlägt die Betonhülle des Reaktorgebäudes. Und da auch die Betonwände der "Zwischen"-Lager allenfalls 120 Zentimeter dick sind - in etlichen Fällen sogar nur 85 Zentimeter dick - ist klar, daß diese noch weniger gegen Terrorangriffe geschützt sind als die Reaktorgebäude mit ihren runden Betonkuppeln.
Nachdem auch dies lange Zeit geheim gehalten wurde, gelangten im Februar und März Informationen an die Öffentlichkeit, daß Atomkraftwerke in Deutschland wegen Terror-Alarm bis auf eine Not-Besatzung geräumt werden mußten. Am 16. Februar hatte eine Boeing 777-300 der indischen Fluggesellschaft Jet Airways auf dem Weg von Mumbai nach London über Süddeutschland Terror-Alarm ausgelöst. Auch am 10. März verursachte den Terror-Alarm ein Passagierflugzeug der Fluggesellschaft Air India mit der Destination London. Es war vom Typ Airbus A300, dessen schwere Triebwerke bei einem Absturz selbst meterdicke Betonwände durchschlagen können. In beiden Fällen war der Funk-Kontakt zum Flugzeug abgebrochen. Mittlerweile wurde bekannt, daß solche als "Renegade-Alarm" bezeichneten Gefahren-Situationen fünf bis sechs Mal pro Jahr vorkommen.
Selbstverständlich spielt es bei einem durch Flugzeug-Absturz verursachten Super-GAU auch keine Rolle, ob vor dem Aufprall noch eine Schnellabschaltung möglich ist - in den wenigen Minuten, in denen ein Passagierflugzeug hunderte Kilometer über Deutschland zurücklegt, ist es nicht möglich, die hochradioaktiven Brennstäbe aus dem Reaktordruckbehälter zu entfernen und abzutransportieren.
Auch die routinemäßig aufsteigenden Abfangjäger der Luftwaffe bieten in solchen Situationen keinen Schutz. Denn bis sie ein Verkehrsflugzeug erreichen können, ist dieses längst über eines der deutschen Atomkraftwerke oder "Zwischen"-Lager hinweg geflogen. So konnten etwa die am 10. März aufgestiegenen zwei Eurofighter die Boeing 777-300 erst nördlich von Nürnberg erreichen. Bei einem Terror-Angriff auf eines der beiden bayerischen Atomkraftwerke, das AKW Isar bei Landshut oder das AKW Gundremmingen bei Günzburg, hätte daher selbst ein grundgesetzwidriger Befehl zum Abschuß des Flugzeugs nichts mehr genützt.
Das Aktionsbündnis CASTOR-Widerstand Neckarwestheim lehnt den "gefährlichen und sinnlosen Atommüll-Transport" von Obrigheim nach Neckarwestheim ab. Die im Bündnis zusammengeschlossenen Anti-Atom-Gruppen befürchten bei einem Unfall auf dem Fluß eine radioaktive Verseuchung der Region.
Wer sich weiter über den bevorstehenden CASTOR-Transport auf dem Neckar informieren möchte:
www.neckar-castorfrei.de
Dort gibt es auch die Möglichkeit, sich auf einen SMS-Alarmdienst einzutragen. Aktuelle Infos werden
so per SMS an das Mobil-Telefon gesendet.
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
Neckar-CASTOR: Alarm
Tag X steht kurz bevor (24.06.17)
Neckar-CASTOR
Transportgenehmigung erteilt (16.05.17)
CASTOR-Behälter unter freiem Himmel?
EnBW ohne jegliches Risiko-Bewußtsein (23.04.17)
Bundesweite Frühjahrs-Konferenz
der Anti-Atom-Initiativen (3.04.17)
Anti-AKW-Demo in Heilbronn
Auftakt zum CASTOR-Widerstand (4.03.17)
CASTOR-Transport auf dem Neckar geplant
Seltsame Probefahrt am 21. Februar (21.02.17)
Neckar-CASTOR: EnBW will
Schiffs-Transport testen (18.02.17)
Neckar-CASTOR: Protest-Aktion
auf Heilbronner Brücke (11.02.17)
Atommüll aus dem AKW Obrigheim
EnBW macht Reklame für CASTOR-Transport auf dem Neckar
(30.09.16)