Berlin (LiZ). Nicht zufällig ging der deutsche Begriff "Berufsverbot" als geläufiges Fremdwort in den Wortschatz der meisten europäischen Sprachen ein. Im Ausland hatte in den 1970er-Jahren der Eifer, mit dem in Deutschland die Gesinnung von BewerberInnen für den öffentlichen Dienst geprüft werden sollte, bis in konservative Kreise für Befremden gesorgt. Doch Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich will heute diese dunkle Phase der deutschen Geschichte nicht wahrhaben.
In einer Stellungnahme des Innenministeriums auf eine Petition heißt es, die "Entfernung aus dem Beamtenverhältnis" stelle "kein Berufsverbot dar", sondern sei lediglich eine "Maßnahme zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes." Auch eine Bespitzelung kritischer politischer Opposition durch den Verfassungsschutz habe es in der Bundesrepublik nie gegeben.
Dies steht in eklatantem Widerspruch zu einem Urteil des Landgerichts Karlsruhe, das am 28. April 2009 dem jahrelang mit Berufsverbot verfolgten Realschullehrer Michael Csaszkóczy eine Entschädigung in Höhe von knapp 33.000 Euro zusprach. In Baden-Württemberg hatte im Jahr 2004 die damalige Kultusministerin Annette Schavan versucht, die Berufsverbots-Praxis der 1970er und 1980er Jahre wiederaufleben zu lassen. Bereits im Jahr 1995 wurde die deutsche Berufsverbots-Praxis im Fall Dorothea Vogts vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt. Und 1987 hatte die Internationale Arbeitsorganisation ILO der UNO die Berufsverbote als Verstoß gegen die Konvention 111 über die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf gebrandmarkt.
Am 28. Januar 1972 hatte SPD-Bundeskanzler und Kommunistenhasser Willy Brandt im Verein mit den Ministerpräsidenten der Bundesländer den sogenannten Radikalen-Erlaß aus der Taufe gehoben. Einfache Briefträger oder Lokführer wurden verfolgt, LeherInnen mit Inquisitions-ähnlichen Verfahren gequält und auf die Straße gesetzt, ganze LehrerInnen-Generationen zur Ableistung formelhafter "fdGO"-Demutsfloskeln genötigt und durch jahrelange Bespitzelung einer scheibchenweisen Amputation des Rückgrades unterzogen. Auch wenn letztlich nur rund ein- bis zweitausend Menschen in Deutschland von Ablehnung und Entlassung betroffen waren, erzeugte die sogenannten Regelanfrage ein Klima der Verunsicherung und Angst. Mit der "Regelanfrage" wurden die "Verfassungsschutz"-Ämter 3,5 Millionen mal mit der Verfertigung von Dossiers beauftragt und zu Spitzenleistungen angetrieben. Auch bereits beamtete Lokführer, Postboten oder LehrerInnen konnten nicht vor der "Durchleuchtung" sicher sein. Ergebnis waren rund 10.000 Berufsverbots-Verfahren. Die mit den Berufsverboten erzeugte gesellschaftliche Atmosphäre trug wesentlich dazu bei, daß der frische Wind, den die Studentenunruhen und die Vietnamkriegs-Proteste in Deutschland aufgebracht hatten, alsbald einer "bleiernen Zeit" weichen mußte.
Anläßlich des vierzigsten Jahrestages des "Radikalenerlasses" hatten Berufsverbots-Betroffene eine Petition beim Petitionsausschuß des Bundestages eingereicht, in der sie ihre Rehabilitierung und die Einsicht in ihre Verfassungsschutzakten forderten. Die brüske Antwort aus dem Bundesinnenministerium kam überraschend schnell. In einer Stellungnahme erklären Klaus Lipps und Michael Csaszkóczy von der 'Initiativgruppe 40 Jahre Radikalenerlaß': "Wir sind empört über die Ignoranz und Geschichtsblindheit, die in der Antwort des Innenministeriums zum Tragen kommt. Wir werden weiterhin alles in unseren Kräften Stehende für die Aufarbeitung der Berufsverbote und die Rehabilitierung und Entschädigung der Betroffenen tun. Die Antwort des Innenministeriums bestärkt uns in der Sorge, daß auch auf Bundesebene eine Neuauflage der unsäglichen Berufsverbots-Praxis in modifizierter Form jederzeit möglich ist."
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
Berufsverbote - 1972: Willy Brandt
2004: Annette Schavan (28.01.12)
33.000 Euro Schadensersatz für Berufsverbot
Herbe Blamage für Ministerin Schavan (28.04.09)
Sieg gegen Berufsverbot
Nach vier Jahren Kampf bekommt Linker
eine Stelle als Lehrer (6.09.07)
Berufsverbote: Bundesregierung
ignoriert Menschenrechte (9.08.07)
Berufsverbot gegen Heidelberger Lehrer
Auch hessisches Gericht bestätigt Rechtswidrigkeit
(2.08.07)
Wie hält es die Bundesregierung
mit dem Berufsverbot und europäischem Recht?
(31.07.07)
Berufsverbot von Gericht aufgehoben
Michael Csaszkóczy darf Lehrer werden (14.03.07)
Datenschutzbeauftragter interveniert
zugunsten von baden-württembergischem
Berufsverbotsopfer (15.08.06)
Berufsverbot auf Hessen ausgeweitet
Schulleiter spricht sich für Berufsverbotsopfer aus
(21.02.06)
"Rot-Grün" für Berufsverbot?
Bundesregierung übernimmt Argumentation von
Kultusministerin Schavan (18.05.05)
Hamburger Solidarität für ba-wü Berufsverbots-Opfer
(25.11.04)
Interview mit dem Heidelberger Berufsverbots-Opfer
Michael Csaszkóczy (4.11.04)
Protest gegen das Berufsverbot für Michael Csaszkóczy
(3.08.04)
Berufsverbotsverfahren gegen Realschullehrer
in Heidelberg (11.02.04)
Berufsverbote
- Auch 32 Jahre nach dem Radikalenerlaß
keine Entschädigung für Opfer (28.01.04)