Kairo (Liz). Nach dem Sturz des tunesischen Diktators Ben Ali wackelt nun der Thron seines ägyptischen Kollegen Hosni Mubarak. Die US-Regierung stützt dessen diktatorisches Regime weiterhin, auch wenn sie angesichts der Massendemonstrationen in offiziellen Statements Gewaltverzicht anmahnt. Für den Fall des seit 29 Jahren herrschenden Mubarak ist als Plan B offenbar eine Militär-Diktatur zur Sicherung der US-amerikanischen Dominanz im Nahen Osten vorgesehen.
Im Zuge der Weltwirtschaftskrise hatten die USA auch die Unterstützung des Mubarak-Regimes in Ägypten gekürzt. Bislang flossen jährlich rund eine Milliarden US-Dollar "Entwicklungshilfe" und weitere 1,3 Milliarden US-Dollar "Militärhilfe" in die Taschen des korrupten Regimes und des sie unterstützenden Polizei-, Militär- und Geheimdienst-Apparates. Ägypten ist seit Jahrzehnten nach Israel der zweit teuerste US-Satellitenstaat im Nahen Osten. Entgegen der Erwartungen vieler PR-Geschädigter, die den US-amerikanischen Präsidenten Barack Obama für einen Demokraten halten, rief dieser keineswegs zum Sturz des verhaßten ägyptischen Potentaten auf oder kürzte diesem auch nur die Apanage, sondern beschränkte sich auf wohlfeile Appelle, doch bitteschön auf den Einsatz von Gewalt gegen die trotz Ausgangssperren demonstrierenden ÄgypterInnen zu verzichten. Auch US-Außenministerin Hillary Clinton beschränkt sich auf derartige Appelle und bezieht erneut keine Stellung zu den Forderungen nach einem Rücktritt Mubaraks. Zugleich erklärte Obama salbungsvoll, er habe Mubarak erklärt, "daß er die Verantwortung hat, seinen Worten eine Bedeutung zu geben."
Die nach außen hin bestenfalls als ambivalent erscheinende Haltung der US-Regierung erweist sich jedoch als eindeutig: Der frühere Chef der Internationalen Atomenergie-Agentur (IAEA) Mohammed el-Baradei könnte aus westlicher Sicht am ehesten den Aufbau einer parlamentarischen und zugleich kapitalistisch gesteuerten Demokratie in Ägypten gewährleisten. Doch anders als im Falle der dubiosen "Reformbewegung" im Iran, die aus den USA mit Millionenzuschüssen alimentiert wird, entbehrt Baradei jeglicher Unterstützung aus den USA. Nach einem enttäuschenden Engagement im Vorfeld der ägyptischen Schein-Wahl im vergangenen Dezember hatte sich Baradei nach Wien zurückgezogen. Nun kam er am Donnerstag - wohl in der Hoffnung, die Unruhen könnten zu einem demokratischen Umsturz führen - in seine Heimat zurück. Doch umgehend wurde er von Mubarak mit Hausarrest belegt. Baradeis Chancen stehen schlecht, denn nach langjährigem Exil und gleichzeitigem politischen Desinteresse fehlt es ihm an einer politischen Basis in Ägypten.
Daß die US-amerikanische Regierung von den Verbrechen des Mubarak-Regimes wußte, kann sie nicht leugnen. Zuletzt wurden durch Wikileaks auch Botschafts-Depeschen aus der ägyptischen US-Botschaft publik, aus denen eine klare Einschätzung der Verhältnisse im Land abzulesen ist: "Folter und Polizeiübergriffe treten in Ägypten gehäuft und weitverbreitet auf. Die Polizei wendet brutale Methoden an, zumeist gegen einfache Kriminelle, um ein Geständnis zu erpressen, aber auch gegen Demonstranten, manche politischen Gefangenen und unbeteiligte Zuschauer."
Die Demonstrationen in den großen ägyptischen Städten Kairo, Alexandria, Ismailija und Suez halten seit sechs Tagen fast ununterbrochen an. In Kairo versammelten sich auch heute mehr als 10.000 Menschen auf dem zentralen Tahrir-Platz. Doch bislang vereint sie lediglich die Forderung nach dem Sturz des Diktators und kein politisches Programm. Eine der großen politischen Oppositionsgruppen, die Muslimbruderschaft, die keineswegs für Demokratie, sondern für einen islamisch geprägten Staat ähnlich dem des Iran eintritt, hofft nach wie vor auf Verhandlungen mit und Zugeständnisse vom Mubarak-Regime.
Gestern noch machten sich die DemonstratInnen Hoffnung, das überall aufgefahrene Militär werde sich zwischen sie und die rücksichtslos durchgreifende Polizei stellen. In den vergangenen Tagen wurden bei den durchweg friedlichen Demonstrationen über 100 Menschen von der Polizei erschossen. Nach Ausrufen der Ausgangssperre konnte jede Person, die sich nach 18 Uhr auf die Straße begab, erschossen werden. Doch da selbst der brutale Polizeieinsatz die Menschen nicht von den Straßen vertreiben konnte, griff das Mubbarak-Regime nun auf den Einsatz des Militärs im Inneren zurück. Während Militärmaschinen gegen 15 Uhr über Kairos Innenstadt donneren, um die Menschen einzuschüchtern, rücken von allen Seiten Panzer und Militärfahrzeuge vor. Der Palast Mubaraks wird von 20 Panzern seiner-Garde geschützt. Noch gestern hatte der unabhängige arabische TV-Sender 'Al Dschasira' Verbrüderungsszenen von Soldaten mit den trotz Ausgangssperre Demonstrierenden gezeigt.
Das ägyptische Militär hat eine lange Tradition als Stütze der Diktatur. Noch zur Zeit des Mubarak-Vorgängers, des 1981 bei einem Attentat erschossenen Anwar As Sadat, wurde im Jahr 1977 eine Hungerrevolte vom Militär blutig niedergeschlagen. 1986 schlug das Militär wurde das Militär von Mubarak erneut zur Hilfe gerufen, als Polizisten Lohnerhöhungen forderten und plündernd durch Kairo zogen.
Der 82-jährige "Staatspräsident" Mubarak hält unbeeindruckt an der Macht fest. Auch dies deutet darauf hin, daß er von Seiten der US-Regierung - anders als im Falle Ben Ali - Rückendeckung erhält. Aufschlußreich ist der von den Mainstream-Medien ausgeblendete Besuch des Generalstabschef der ägyptischen Armee, Sami Hafis Enan, in den USA, den dieser am gestrigen Samstag - eine halbe Wocher früher als geplant - abbrach. Der unabhängige arabische TV-Sender 'Al Dschasira' widmete dieser Visite dagegen große Aufmerksamkeit: Sami Hafis Enan habe von Washington genaue Hinweise erhalten, welche Rolle die Obama-Administration der ägyptischen Armee beim Machterhalt Mubaraks oder im Falle eines Militärputschs zubilligt. Marc Lynch, Professor für Politologie und Nahostexperte an der George Washington University, interpretiert dies optimistisch so, daß die US-Regierung nun offenbar eine "kluge Ägypten-Politik" entwickelt habe und im ägyptischen Militär eine entscheidende Kraft beim Erhalt der ägyptischen Machtbasis erkenne. Und auch der 'Al-Dschasira'-Kommentator Marwan Bischara schätzt das Militär als entscheidende Schachfigur auf dem ägyptischen Spielfeld ein. Gestern wurde bekannt, daß das Pentagon ständigen Kontakt mit dem ägyptischen Militär hält. Viele ÄgypterInnen aus der Oberschicht vermuten, daß der Aufstand nur dazu führen wird, hinter dem Rauch von Tränengas-Granaten und brennenden Gebäuden einen Militärputsch mit dem Segen der US-Regierung durchzuführen. Wer es sich leisten kann, nimmt derzeit ein Flugzeug ins Ausland.
Mit beispiellos rigorosen Eingriffen isolierte das Mubarak-Regime Ägypten gegenüber Nachrichten von und nach außen und erschwerte die Kommunikation unter den DemonstrantInnen bei der Vorbereitung weiterer Aktionen. Nicht nur die Grenze zum Gaza-Streifen wurde geschlossen, sondern nahezu sämtliche Telefon- und Internet-Verbindungen. Nach Anweisung des Mubarak-Regimes nahmen alle vier großen Internet-Provider Ägypten am Freitag zur selben Zeit vom Netz. Nur die ägyptische Börse blieb online. Auch das Telekommunikations-Unternehmen Vodafon tanzte nach den Anweisungen des Regimes und kappte die Verbindungen der Mobiltelefone. Mit rund 25 Millionen Kunden ist Vodafone einer der größten Mobilfunk-Anbieter in Ägypten. Die Menschenrechts-Organisation 'amnesty international' (ai) kritisierte Vodafon heftig. Das Abschalten des Mobilfunknetzes entlarve "eine schockierende Geringschätzung der Meinungsfreiheit."
Am Freitag Nachmittag wurde die Zentrale der Mubarak-Partei NDP angezündet. DemonstrantInnen behaupten, das Mubarak-Regime selbst stecke dahinter: Selbst die berühmte Antikensammlung des Ägyptischen Museums wurde nicht verschonte. Offenbar waren hierbei Wachpersonal und Polizisten beteiligt. Die Bilder der Gewalt sollen gewaltfreien Aufstand diskreditieren. Es mehren sich Berichte, wonach auf dubiose Weise Gewalttäter aus den Gefängnissen freigelassen wurden. Auch der 'spiegel' berichtet, daß sich "Hinweise verdichten", wonach "ein Großteil der Gewalt vom Regime selbst initiiert wurde, um die Auseinandersetzungen bewußt eskalieren zu lassen." Dies klinge zwar nach Verschwörungstheorie, werde aber "mittlerweile nicht nur von Augenzeugen und seriösen Analysten, sondern sogar von Leuten des ägyptischen Establishments bestätigt," so der 'spiegel'.
Als am späten Samstagabend junge Ägypter versuchten, die Spuren der Zerstörung zu beseitigen, wurden sie von Vermummten, die sich Handgreiflichkeiten mit DemonstrantInnen lieferten, daran gehindert: "Laßt es brennen, das Volk will es so!" Eine Frau berichtete, daß in der Nacht zum Samstag Löschfahrzeuge zwar durchgewinkt, aber in ihrer Arbeit behindert wurden. "Das waren NDP-Schergen", sagte die Frau. "Die wurden dafür bezahlt, das Feuer zu legen." Und die ausländischen Medien stürzten sich wie üblich auf die Bilder von Bränden und liefern so die scheinbare Bestätigung für Berichte über gewalttätige und "anarchistische" Ausschreitungen. Auch die chinesischen Medien legen den Schwerpunkt ihrer Darstellung der ägyptischen Proteste auf die angeblich von den DemonstrantInnen ausgehende Gewalt.
Anmerkungen
Siehe auch:
Chancen für Demokratie
in Tunesien? (15.01.11)
Schein-Wahl in Ägypten
Offenbarungseid für Barack Obama (2.12.10)
Obama stärkt Diktatur
Waffen-Deal für 60 Milliarden US-Dollar eingefädelt
(14.09.10)
Manipulation bei der Präsidentschaftswahl im Iran?
(20.06.09)
Barack Obama und das Nadelöhr
... anderes zu erwarten als von Bush? (6.10.08)
Verfassungs-Referendum in Ägypten:
Mehrheit für Demokratie
Mubarak zu 82 Prozent für Mubarak (29.05.05)