29.03.2010

Internet-Zensur nun aus Brüssel?

Vorwand Kinderpornographie und erschreckende
Ignoranz gegenüber Sachargumenten

Stoppt von der Leyen Brüssel (LiZ). Der Versuch der damaligen "Familien"-Ministerin Ursula von der Leyen, eine Infrastruktur zur Zensur des Internet zu schaffen, hatte in Deutschland im vergangenen Jahr für heftige Diskussionen gesorgt. Unter dem Vorwand, kinderpornographische Darstellungen im Internet sperren zu wollen, hatte "Schwarz-Rot" ein entsprechendes Gesetz auf den Weg gebracht. Erschreckend war dabei die Ignoranz gegenüber Sachargumenten, die "Zensursula" von der Leyen - aber beispielsweise auch das ehemals feministische Magazin 'Emma' - zur Schau stellten. Nun will offenbar die EU-Kommission die in Deutschland nicht zuletzt wegen der bis dahin größten online-Petition gescheiterte Zensur-Offensive durchsetzen.

Das im vergangenen Jahr noch vor der Bundestagswahl von "Schwarz-Rot" beschlossenen Gesetz über Internet-Sperren wurde von Bundespräsident Horst Köhler zunächst nicht unterzeichnet. Als dieser es nach der Bundestagswahl zu aller Überraschung doch unterzeichnete, wurde es außer Kraft gesetzt. Mittlerweile hat die "S"PD die Seiten gewechselt und spricht sich gegen Internet-Sperren aus. "S"PD-Vize Olav Scholz erklärte zum Brüsseler Initiative: "Internetsperren funktionieren nicht, und die dazu technisch notwendigen Vorkehrungen lösen viele bürgerrechtlichte Zweifel aus. Und es macht keinen Sinn, daß die EU nun politisch durchsetzen will, was sich in Deutschland nicht durchsetzen ließ."

Für Laien sei an dieser Stelle ein einfacher und von Fachleuten nicht bestrittenener Sachverhalt erläutert: Mit einer Internet-Sperre wird ein bestimmter Inhalt nicht gelöscht, sondern lediglich der Zugang erschwert. Bei Seiten, nach denen gezielt gesucht wird, kann eine solche Sperre zum einen leicht umgangen werden. Zum anderen wird bereits heute vielfach die Möglichkeit genutzt, die an kinderpornographischen Darstellungen Interessierten beispielsweise per eMail über den Wechsel auf andere Internet-Seiten zu informieren. Im Gegensatz dazu sind politische Nachrichten-Seiten im Internet auf "Laufkundschaft" ausgerichtet und würden mit einer Sperrung in ihrer Existenz gefährdet. Hinzu kommt, daß es rufschädigend wäre, wenn eine Nachrichten-Seite in den Verdacht geriete, irgend etwas mit Kinderpornographie zu tun zu haben.

Das neue Brüsseler Vorhaben ist eingebettet in einer geplanten "Richtlinie zum Kinderschutz", die 22 Straftatbestände umfaßt. Es soll in den "dunklen Ecken des Internets" aufräumen, wie EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström ankündigte. "Das Herunterladen oder Anschauen von Kinderpornographie im Internet hat zur Folge, daß immer mehr Kinder vergewaltigt werden, um derartige Bilder zu produzieren", sagte EU- Malmström heute (Montag) in Brüssel. Eine Riege reaktionärer PolitikerInnen hat sich bereits von der neuen EU-Initiative entzückt gezeigt. Der innenpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Hans-Peter Uhl nannte sie "wegweisend". Auch Kriegsminister Guttenberg bezeichnete die Einführung von Internet-Sperren als "eines der wichtigsten Vorhaben in jeder Hinsicht." Der Vizechef der Mehrheitsfraktion EVP im EU-Parlament Manfred Weber ("C"SU) blies nun ins selbe Horn.

Auch der Chef des Bundeskriminalamtes (BKA) Jörg Ziercke hatte sich über die vergangenen Monate hin mehrfach erneut für Sperren im Internet ausgesprochen. Laut dem von "Schwarz-Rot" formulierten Gesetz sollte das BKA ermächtigt werden, eine demokratisch nicht kontrollierbare schwarze Liste zu erstellen. Die auf einer solchen Liste verzeichneten Internet-Seiten, ob nun mit pornographischen oder politischen Inhalten, hätten von den Internet-Providern ungeprüft gesperrt werden müssen.

Die in der Frage der Internet-Sperren zerstrittene "schwarz-gelbe" Bundesregierung ließ nun zur EU-Initiative durch den stellvertretende Regierungssprecher Christoph Steegmans erklären: "Die Bundesregierung geht ausdrücklich einen Schritt weiter, indem sie auf eine Löschung hinarbeitet, statt auf eine Sperrung." Dies entspricht zwar nicht den Tatsachen, aber einer Forderung von Bürgerrechtlerinnen, DatenschützerInnen und Internet-AktivistInnen, die sich unter anderem mit einer online-Petition gegen die Zensur-Pläne von der Leyens gestellt hatten.

Doch allem Anschein nach wehrt sich weniger die Bundesregierung als das BKA gegen die Löschung von kinderpornographischen Inhalten im Internet. Offenbar spekuliert BKA-Chef Ziercke darauf, mit dieser Obstruktion auf dem Rücken der Opfer doch noch die Mittel zu einer Internet-Zensur in die Hand zu bekommen. Auffällig sind jedenfalls die widersprüchlichen Informationen, die in den vergangenen Monaten aus dem BKA an die Öffentlichkeit drangen.

Internet-AktivistInnen hatten bereits im vergangenen Jahr bei mehreren öffentlichen Aktionen bewiesen, daß es entgegen immer wieder vorgebrachten Behauptungen durchaus erfolgversprechend ist, Internet-Provider auf kinderpornographische Inhalte aufmerksam zu machen. In aller Regel wurden solche Inhalte umgehend gelöscht. Doch das BKA behauptete, es dürfe nicht auf diese Weise einschreiten und sich direkt an Internet-Provider wenden. So erklärte BKA-Chef Ziercke etwa: "Also ich glaube, wir würden es uns auch verbitten, wenn der CIA oder das FBI oder der chinesische Nachrichtendienst oder wer auch immer hier in Deutschland dafür sorgen will, daß bestimmte Dinge gesperrt oder gelöscht werden sollen. Nur noch einmal vom Grundprinzip her: Daß eine Behörde einen Privaten im Ausland auffordert, etwas zu tun, das kann ich schlicht nicht."

Ziercke erweckt mit dieser Äußerung den Eindruck, es gäbe keine Möglichkeit, daß das BKA direkt mit einen Internet-Provider wegen kinderpornographischer Inhalte Kontakt aufnehmen könnte. Nun sagte allerdings die "C"DU-Bundestagsabgeordnete Martina Krogmann, das BKA könne durchaus eingreifen, täte dies aber "aus Achtung" vor den jeweiligen Ländern nicht. Es stellt sich da die Frage, wie ernst die beschworene Empörung über Kindesmißbrauch ist, wenn etwaige Animositäten "anderer Länder" schwerer wiegen.

Nun ist unbestritten die Löschung in Deutschland völlig unproblematisch, da die Internet-Provider hier sehr gut kooperieren. Wenn sie auf auf kinderpornographische Inhalte hingewiesen werden - und dies in der Regel nicht etwa vom BKA - löschen sie diese sofort. Bei im Ausland ansässigen Internet-Providern ist die Lage anders. Laut Aussagen des BKA tritt dieses angeblich aus Achtung vor der Souveränität der Staaten als deutsche Polizeibehörde nicht direkt an die betroffenen Internet-Provider heran, sondern informiert die jeweiligen Polizeibehörden über die dafür vorgesehenen internationalen Organisationen. Dieser Weg nimmt einige Zeit in Anspruch. Es heißt, nicht selten seien in der zwischenzeitlich verstrichenen Frist die fraglichen Inhalte bereits auf andere Seiten umgezogen.

Der AK Zensur stellte daher fest, dem BKA sei die nationale Befindlichkeit der jeweiligen Staaten offenbar wichtiger, als die Bekämpfung von Kinderpornographie beziehungsweise der Schutz von zufallsgeleiteten Internet-SurferInnen vor den Seiten, die dann durch das Stoppschild verdeckt ("gesperrt") werden sollten.

Nun hat das BKA allerdings auch damit argumentiert, eigene Anstrengungen zur Löschung fraglicher Seiten seien erfolglos geblieben, weil die entsprechenden Inhalte bereits nach kurzer Zeit an anderer Stelle wieder verfügbar waren. BKA-Chef Ziercke sagte hierzu: "Wenn wir Seiten entdecken, die auf Servern in Deutschland liegen, reagieren die Provider in Deutschland sofort. Das Problem ist der ausländische Provider." Und ein Mitarbeiter des BKA-Referats Kinderpornographie erklärte gegenüber der 'Welt', das BKA habe bereits jahrelang mit "sehr begrenztem" Erfolg versucht, im Ausland gehostete Internet-Seiten löschen zu lassen. Diese "verschwänden nach drei bis fünf Tagen, um dann an anderer Stelle in leicht abgeänderter oder auch identischer Form wieder aufzutauchen". Dieses Argument spricht jedoch in gleichem Maße gegen Internet-Sperren, die ja denn ebenso ineffektiv wären wie Löschungen. Hier stellt sich erneut die Frage nach dem Interesse des BKA an Internet-Sperren und den damit verknüpften schwarzen Listen.

Auffallend ist zudem der Widerspruch, daß das BKA hier einerseits damit argumentiert, es habe versucht, im Ausland gehostete Internet-Seiten mit kinderpornographischen Inhalten löschen zu lassen - andererseits aber behauptet, der Dienstweg sei verbaut oder zu lang.

Offen bleibt auch die Frage, warum es dem BKA nicht möglich sein sollte, beispielsweise mit Hilfe von Stellen wie Inhope Informationen über Inhalte an Internet-Provider im Ausland weiterzugeben. Bezeichnender Weise sieht hierin der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages keinerlei Problem: "Solange eine E-Mail des BKA nur eine Benachrichtigung an den Host-Provider darstellt und diesen auf inkriminierte Inhalte auf seinem Server hinweist, wird das BKA nicht hoheitlich tätig, da es dem Host-Provider kein Tun, Dulden oder Unterlassen vorschreibt, sondern diesen lediglich informiert. Solche rein informativen E-Mails des BKA an außereuropäische Host-Provider wären demnach zulässig. Unzulässig wären hingegen derartige E-Mails durch das BKA an Host-Provider, die diesem eine Löschung der inkriminierten Inhalte vorschreiben würden." Und diese Stellungnahme des Wissenschaftliche Dienstes des Bundestages ist nicht etwa neu, sondern stammt vom September 2009.

 

LINKSZEITUNG

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Internet-Sperren-Gesetz von der Leyens
      soll gestoppt werden (27.12.09)

      Demo "Freiheit statt Angst" in Berlin
      20.000 gegen Überwachungswahn (13.09.09)

      'aspekte'-Sendung mit Kritik an Internet-Sperren-Gesetz
      Ex-Bundesverfassungsrichter Hoffmann-Riem
      äußert schwerwiegende Bedenken (1.08.09)

      Internet - Kinderpornographie
      - Vorwand für politische Zensur
      Anhörung im Bundestag (4.06.09)

      Internet - Kinderpornographie
      - Vorwand für politische Zensur
      Regierung spricht von Gremium zur Kontrolle des BKA
      (26.05.09)

      Gegen politische Zensur des Internets
      Online-Petition gegen Internetsperre
      am ersten Tag mehr als 16.000 UnterzeichnerInnen
      (5.05.09)

      Mit Stop-Schild gegen Kinderpornos?
      Arbeitskreis gegen Internetsperren und Zensur gegründet
      (17.04.09)

      Aufstehn für ein freies Internet
      CCC will "Zensursula" besuchen (16.04.09)

      wikileaks.de gesperrt
      Beginn der Internet-Zensur in Deutschland? (11.04.09)

      Hausdurchsuchung bei Inhaber der Domain wikileaks.de
      Aktionismus gegen Kinderpornographie
      als Vorwand für politische Zensur (25.03.09)

      Aktionismus gegen Kinderpornographie
      zielt auf Zensur des Internets
      Im Visier ist das letzte Kommunikationsfeld
      für freie linke Nachrichten (1.02.09)