3.10.2010

Faschistoide Menschenversuche
mit Wissen der US-Regierung

Weißes Haus Washington (LiZ). Hunderte von Menschen wurden zwischen 1932 und 1972 mit Wissen der US-Regierung für faschistoide Menschenversuche mißbraucht. Der leitende Arzt, John Charles Cutler lebte bis zu seinem Tod im Jahr 2003 als hochgeehrter Mann. US-Präsident Barack Obama bat nun für die Verbrechen um Entschuldigung.

Die Menschenversuche unter Leitung von US-MedizinerInnen hatten im US-Bundesstaat Alabama und in Guatemala stattgefunden. US-Präsident Obama telefonierte am Freitag mit dem Präsidenten Guatemalas Alvaro Colom und nach eigenen Angaben mit "allen Betroffenen" und bat im Namen der USA um Entschuldigung. Die US-Ministerinnen Hillary Clinton und Kathleen Sibelius bekundeten "Entsetzen" und "tiefes Bedauern".

Es ist lediglich dem Zufallsfund einer Professorin zu verdanken, die im Archiv der Universität von Pittsburg nach Dokumenten zu dem sogenannten Tuskegee-Experiment forschte, daß die verbrecherischen Menschenversuche in Guatemala ans Licht kamen. Susan Reverby, Professorin für Ideengeschichte und Frauenstudien am Wellesly College in Massachusetts, arbeitete 2009 an einem Buch über die notorische Langzeitstudie in Tuskegee (Alabama), wo zwischen 1932 und 1972 rund 400 schwarzen Männern, die an Syphilis erkrankt waren, bewußt die Kenntnis ihrer Erkrankung und die Behandlung mit Antibiotika vorenthalten wurde, um die furchtbaren, zum Tod führenden Zerstörungen der Syphilis zu dokumentieren. Führend in Tuskegee war lange der bekannte Wissenschaftler John Charles Cutler, der bald zum zweithöchsten Beamten in der US-Gesundheitsbehörde, Assistant Surgeon General, aufsteigen sollte. US-Präsident Bill Clinton bat 1997, als Tuskegee in seiner ganzen Infamie bekannt wurde, bei den betroffenen 400 Opfern und ihren Familien um Entschuldigung.

Trotz dieser Vorgeschichte war es laut Reverby nicht leicht, den Widerstand gegen eine Veröffentlichung der Vorgänge in Guatemala zu durchbrechen. Als sie bei einer Tagung im Januar davon berichtete, stieß sie auf eine Wand des Schweigens. Erst als sie sich mit ihren Belegen an einen früheren Direktor der Nationalen Gesundheitsinstitute (NIH) wandte, wurde eine interne Untersuchung eingeleitet. Auch am Freitag war die Reaktion in den Mainstream-Medien der USA eher von Verleugnung als von Entsetzen geprägt. Katie Curic, Star-Moderatorin der CBS-"Evening News", widmete dem Skandal ganze fünf Sätze. Entscheidend für diese Reaktion in US-Medien ist offenbar auch, daß bei den Verbrechen in Guatemala keine US-BürgerInnen unter den Opfern waren.

Mark Siegler, Direktor des Maclean-Centers für Klinisch-Medizinische Ethik an der Universität von Chicago, wertet hingegen die Verbrechen in Guatemala schwerer als jene in Alabama: "Es ist noch schlimmer als Tuskegee, wo man die Opfer nicht vorsätzlich infizierte. Und es ist empörend, daß die Experimente zur selben Zeit liefen, als die USA Jagd auf Nazi-Mediziner wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit machten." John Charles Cutler verteidigte seine Verbrechen in Tuskegee bis zu seinem Tod als "Arbeit für die Volksgesundheit".

Der berüchtigte Nazi-Mediziner Josef Mengele, der im KZ Auschwitz menschenverachtende und mörderische medizinische Experimente an KZ-Häftlingen vorgenommen hatte, versteckte sich zwischen 1945 und 1949 im bayerischen Rosenheim, während John Charles Cutler zur gleichen Zeit in Guatemala seine Experimente fortsetzte. In dem mittelamerikanischen Land wurden in den Jahren 1946 bis 1948 fast 700 GefängnisinsassInnen und PsychiatriepatientInnen für Menschenversuche mißbraucht. Ohne ihr Wissen wurden sie mit Syphilis- und Gonorrhöe-Erregern infiziert, um die Wirkung des damals relativ neuen Wirkstoffes Penicillin zu testen. Den unfreiwilligen Versuchspersonen sagten die MedizinerInnen unter Cutlers Leitung , es handele sich um Impfungen gegen Geschlechtskrankheiten. Bei den Experimenten sollte angeblich herausgefunden werden, ob Penicillin nicht nur zur Behandlung der Geschlechtskrankheiten eingesetzt werden kann, sondern wie ein Impfstoff auch deren Ausbruch verhindern kann. In einigen Fällen wurden bereits erkrankte Prostituierte dazu mißbraucht, die Krankheitserreger auf Häftlinge zu übertragen, in anderen Fällen wurden zunächst Penicillin und anschließend die Erreger injiziert. Wie viele der Infizierten erfolgreich behandelt wurden oder welche Spätfolgen sie erlitten, geht aus den jetzt entdeckten Unterlagen nicht hervor. Weil die skandalösen Experimente offenbar keine nützlichen Informationen erbrachten, wurden die Untersuchungen eingestellt und deren Ergebnisse jahrzehntelang unter Verschluß gehalten. Offenbar hatte Cutler für seine Menschenversuche die Genehmigung von US-Regierungsbehörden eingeholt. Die liefen unter der Aufsicht des Panamerikanischen Gesundheitsbüros und wurden von den Nationalen Gesundheitsinstituten (NIH) in Washington finanziert.

Auch Shiro Ishii, Kommandeur der japanischen Unit 731, die während des Kriegs in China Vivisektionen und grausamste Experimente mit biologischen und chemischen Kampfstoffen an Kriegsgefangenen vornahm, wurde von der US-Justiz nie eines Kriegsverbrechens angeklagt. Im Gegenzug für die Herausgabe seiner Forschungsergebnisse an die USA lebte und starb er als freier Mann. Viele Indizien sprechen sogar dafür, daß Ishii einige Jahre für die US-Regierung in Maryland an der Erforschung und Entwicklung von biologischen Kampfstoffen mitgewirkt hat.

Nicht vergessen werden sollte, was in den Jahren 1999 und 1994 aufgedeckt wurde. Am 24.10.1994 wurde bekannt, daß zwischen 1944 und 1974 über 23.000 US-AmerikanerInnen meist ohne ihr Wissen Strahlungs-Experimenten ausgesetzt wurden. Eine US-Kommission kam zum Ergebnis, daß bei dutzenden von Experimenten mehrere hundert Mal radioaktive Substanzen in die Umwelt abgegeben wurden. 1.400 verschiedene Strahlungs-Projekte wurden dokumentiert. Darunter befinden sich 400 von der US-Regierung unterstützte biomedizinische Menschenversuche. Die Experimente schlossen die Injektion von radioaktivem Plutonium ebenso ein wie Truppenbewegungen am Detonationsort nach der Zündung einer Atombombe.

Im August 1999 veröffentlichte die 'Washington Post', daß in der US-amerikanischen Uran-Anreicherungs-Anlage (UAA) in Paducah, Bundesstaat Kentucky, rund 1.800 Beschäftigte ohne ihr Wissen 23 Jahre lang Plutonium und anderen radioaktiven Stoffen ausgesetzt wurden. Eine hohe Zahl der Betroffenen war bis dahin an Krebs erkrankt.

 

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Anmerkung

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