New York (LiZ). Wikileaks veröf- fentlicht rund 92.000 meist geheime Dokumente des US-Militärs, die ein präziseres Bild vom Afghanistan-Krieg erlauben. Neu ist es allerdings nicht, daß mit der Task Force 373 eine US-Sondereinheit existiert, die zur gezielten Tötung von Aufständischen eingesetzt wird. Interessant ist hingegen, daß ein 300 Mann starker Trupp dieser Killer-Sondereinheit im deutschen Feldlager Masar-i-Sharif stationiert ist. Und die Zukunft des Afghanistan-Kriegs beleuchtet die Information, daß die Aufständischen weitaus besser bewaffnet sind als von den westlichen Kriegsparteien bislang behauptet.
Zuletzt hatte das Whistleblower-Portal wikileaks am 5. April für internationale Aufmerksamkeit gesorgt, als es ein im zugespieltes Militär-Video veröffentlichte. Auf dieser Aufnahme ist aus der Perspektive einer US-Hubschrauber-Besatzung zu sehen, wie diese in eine Gruppe unbewaffneter Menschen schießt. Bei dem Blutbad vom 12. Juli 2007 starben vermutlich zwei irakische Mitarbeiter der Nachrichtenagentur Reuters.
Die nun von wikileaks veröffentlichten Dokumente konnten von den Medien 'New York Times', 'Guardian' und dem 'spiegel' vorab wochenlang gesichtet und verifiziert werden. Sie zeichnen ein düstereres und ernsteres Bild als das, welches bislang mit Hilfe der Mainstream-Medien vermittelt wurde. Auch die Zahl der zivilen afghanischen Todesopfer ist offenbar weitaus höher, als bislang von unabhängigen Organisationen geschätzt.
"Es scheinen Beweise für Kriegsverbrechen zu sein," erklärte wikileaks-Gründer Julian Assange bei der Veröffentlichung der Dokumente in der Nacht zum Montag. Zuvor hatten erfahrene JournalistInnen von 'New York Times', 'Guardian' und 'spiegel' unabhängig voneinander die Dokumente gesichtet und analysiert. Es handelt sich überwiegend um Truppen-Meldungen aus dem Einsatz. Vier Dokumente konnten nicht verifiziert werden. Wie der 'Guardian' bestätigt, geht aus den Dokumenten jedoch hervor, daß Hunderte von afghanschen ZivilistInnen bei bislang nicht bekannt gewordenen Einsätzen der internationalen Truppen ums Leben kamen. So sind in den Dokumenten 144 Zwischenfälle mit insgesamt 195 zivilen Todesopfern verzeichnet. Der 'spiegel' zieht aus den Dokumenten den Schluß, daß im Einsatzgebiet der deutschen Truppen in Nord-Afghanistan sowohl die Kampfhandlungen wie auch die Anschläge stark zugenommen haben. Die 'New York Times' stellt in den Fokus, daß offenbar von den westlichen Militärs in Afghanistan verschleiert wird, wie viele ZivilistInnen nicht nur durch Luftangriffe, sondern auch auf den Straßen von Militärs getötet werden, wie Sabotage und Einschüchterung sich ausbreiten, wie ein Netz der gegenseitigen Bespitzelung entstanden ist, wie unzuverlässig und korrupt die afghanischen Soldaten und Polizisten sind oder daß die Sicherheit gegen Geld Warlords überlassen wird, weil die staatlichen Sicherheitskräfte unfähig sind. Vor diesem Hintergrund ist die offizielle Darstellung, 2014 solle Afghanistan in die "Eigenverantwortung" entlassen werden, nichts als ein Witz.
Im Gegensatz zur offiziellen Propaganda hat US-Präsident Barack Obama den Afghanistan-Krieg nicht nur durch Truppenerhöhungenen, sondern auch durch eine härtere Kriegsführung gegenüber seinem Vorgänger verschärft. So setzt die US-Regierung weitaus stärker auf die Killer-Trupps der Task Force 373, die weder dem Kommando der internationalen "Schutzstruppe" ISAF noch dem zuständigen US-Regionalkommando Centcom, sondern direkt dem Pentagon unterstellt ist.
Verheimlicht wurde der Öffentlichkeit von den westlichen Mainstream-Medien bislang auch, daß der pakistanische Geheimdienst ISI, der schon seit über einem Jahrzehnt von islamistischen Kräften unterwandert ist, die afghanischen Aufständischen im Gegengeschäft mit Heroin-Vorprodukten mit modernsten Waffen beliefert. Geliefert werden demnach insbesondere tragbare hitzegeleitete Flugabwehrraketen. Mit diesen haben die Aufständischen Hubschrauber abgeschossen, was NATO-Sprecher als Folge des Beschusses mit kleinkalibrigen Waffen dargestellt haben. Schließlich trugen die von den USA gelieferten tragbaren Stinger-Raketenwerfer entscheidend dazu bei, daß die UdSSR 1989 die Annexion Afghanistans aufgeben mußte. Irgendwelche - bislang von offizieller Seite immer wieder angedeuteten - Verbindungen zu einem obskuren Terrornetzwerk namens "Al Qaida" lassen sich jedoch aus den Dokumenten nicht entnehmen. Bundeskriegsminister Karl-Theodor zu Guttenberg rechtfertigte dies alles in einer öffentlichen Stellungnahme mit der Aussage, "die Realitäten sind weichgezeichnet worden."
Auch Chefredakteure deutscher Mainstream-Medien beeilten sich sogleich zu beteuern, die Geschichte des Afghanistan-Kriegs müsse nun nicht "neugeschrieben" werden. Ein Wort der Selbstkritik ist von dieser Seite kaum zu erwarten, da selbst der in den Jahren 2001 und 2003 in den Mainstream-Medien verbreiteten und inzwischen allzu durchsichtig gewordenen Kriegspropaganda noch kein einziges Wort des Bedauerns oder der Entschuldigung folgte. Im Gegenteil werden mittlerweile eifrig neue Rechtfertigungen für die Annexion Afghanistans und des Irak verbreitet, die mit dem, was Horst Köhler Ende Mai ausplauderte, nicht das Geringste zu tun haben.
In der Friedensbewegung verbreitete sich die Illusion, wegen des offiziellen Geredes vom baldigen Abzug aus Afghanistan sei ein Ende des Kriegs zu erwarten. Doch die nun aufgedeckten Hintergründe lassen ganz andere Rückschlüsse auf die Absichten des US-Präsidenten Obama zu, als es seine Reden vermuten ließen. Und eines war schon zu Zeiten der US-Präsidenten William Clinton und George W. Bush klar: Kriege um Erdöl, Gas und andere Ressourcen werden erst dann vermeidbar, wenn die Menschen in den Industrienationen eine Energiewende durchsetzen können. Solange die Wirtschaft der Industrienationen jedoch am Öl hängt wie ein Junkie an der Nadel, wird die Annexion Afghanistans und des Irak nicht freiwillig beendet.
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