Berlin (LiZ). Vor wenigen Tagen wurde offensichtlich, wie die Atom-Politik Deutschlands von vier großen Strom-Konzernen bestimmt wird. Nun kommen Fakten zu Tage, die belegen, daß die Pharma-Konzerne hinter den Kulissen seit langem ebenso die Fäden in der Hand haben, um die jeweiligen Fach-PolitikerInnen zu dirigieren. Es fiel auf, daß nahezu wörtlich Formulierungen von Pharma-LobbyistInnen von "Schwarz-Gelb" übernommen wurden.
Wie die 'Süddeutsche Zeitung' berichtet, hat die "schwarz-gelbe" Koalition im Deutschen Bundestag bei der Formulierung einer Gesetzesvorlage offenbar Text-Vorlagen der Pharma-Industrie verwendete. Ganze Text-Passagen aus einem Papier des Verbandes der forschenden Pharma- Unternehmen (vfa), das der 'Süddeutschen Zeitung' vorliegt, wurden nahezu wörtlich übernommen. Oppositions-PolitikerInnen und Krankenkassen reagierten empört und warfen dem "gelben" Pharma-Minister Philipp Rösler vor, sich zur Marionette der Pharma-Industrie machen zu lassen. Eine Sprecherin des Kassen-Spitzenverbands sagte, es wäre besser, die Nutzenbewertung von Medikamenten einer neutralen Instanz zu überlassen, weil dort der Sachverstand gesichert sei. Die Vorgaben für die Nutzenbewertung müßten strikt auf eine bessere Arzneimittel-Versorgung ausgerichtet sein und nicht auf eine Absicherung der "unternehmerischen Interessen von Pharmafirmen."
In dem vorliegenden Gesetzes-Antrag der Koalition geht es um eine neue Rechtsverordnung, die im Prinzip eine Kontrolle der Pharma-Industrie ermöglichen könnte. Denn darin sollen Kriterien festgeschrieben werden, nach denen der Nutzen neuer Medikamente bewertet witd. Allerdings heißt es darin auch, der Pharma-Standort Deutschland solle attraktiv bleiben - sprich: die weit überdurchschnittlichen Profite deutscher Pharma-Konzerne sollen auch in Zukunft garantiert werden. Deshalb soll in Zukunft Röslers Ministerium für die Nutzenbewertung zuständig sein.
Offiziell lag in Deutschland bislang die Bewertung und Beurteilung neuer Medikamente beim Gemeinsamen Bundesausschuß von Kassen und ÄrztInnen und dem Institut für Wirtschaftlichkeit und Qualität im Gesundheitswesen (IQWiG). Letzteres wurde 2004 gegründet und sollte als neutrale Instanz prüfen, ob Medikamente tatsächlich den von ihren Produzenten versprochenen Nutzen für die PatientInnen erbringen. Doch dies hat sich in der Praxis als nahezu unmöglich erwiesen, da die Pharma-Konzerne dem Institut Studien nur auf der Grundlage einer freiwilligen Selbstverpflichtung zur Verfügung stellen müssen. So hat sich längst herausgestellt, daß sie unveröffentlichte Medikamente-Studien in der Regel nur dann dem IQWiG überlassen, wenn darin keine negativen Ergebnisse enthalten sind.
Weil er sich dagegen wehrte und zu kritisch war, wurde der bisherige IQWiG-Chef Professor Peter Sawicki auf Druck der Pharma-Lobby geschasst. Doch auch sein Nachfolger, Jürgen Windeler, wehrt sich gegen die in dem Gesetzentwurf intendierte weitere Beschneidung der Kompetenzen des IQWiG. Bei einer wissenschaftlichen Bewertung eines neuen Medikaments wird untersucht, ob die Sterblichkeitsrate statistisch signifikant sinkt, ob es weniger Folgeerkrankungen und Nebenwirkungen verursacht und die Lebensqualität der PatientInnen steigert. Der vorliegende Gesetz-Entwurf zielt darauf ab, diese Kriterien aufzuweichen. KritikerInnen befürchten, daß so mehr Scheininnovationen auf den Markt gelangen, die zwar der Pharma-Industrie Geld, den PatientInnen aber keinen Vorteil bringen.
Es gehe nicht an, den PatientInnen zuzumuten, "unnütze Pillen zu schlucken, nur um den Interessen der Hersteller entgegenzukommen", erklärt Windeler. Die geltenden Maßstäbe für eine wissenschaftliche Bewertung neuer Medikamente dürften nicht verwässert werden. Das Institut war in den vergangenen Jahren wegen seiner negativen Bewertung mancher Medikamente nicht selten in Konflikt mit der Pharma-Industrie geraten.
Der Sprecher des Rösler-Ministeriums bestritt, daß es eine Formulierungshilfe des vfa gebe, die das Ressort verwende. Die Politik und nicht die Industrie entscheide über den Inhalt der Gesetze. Auch von "schwarzer" Seite erhielt Rösler Rückendeckung: Der stellvertretende Fraktionschefs der Union, Johannes Singhammer sagte: "Das halte ich zu 100 Prozent für richtig." Für die Industrie müsse es Klarheit geben, nach welchen Grundsätzen ihre Produkte geprüft würden. Diese werde die Politik anhand von wissenschaftlichen Kriterien vorgeben.
Wer auch immer die entscheidenden Sätze in der Gesetzes-Vorlage formuliert hat - der Inhalt dieser Vorlage macht deutlich, daß sie sich ein einem zentralen Satz des vfa-Papiers orientiert: "Angesichts der großen praktischen und wirtschaftlichen Auswirkungen, die diese Nutzenbewertung für die jeweils betroffenen pharmazeutischen Unternehmen besitzt, hält es der vfa für geboten, daß diese wesentlichen Grundsätze durch das Bundesministerium für Gesundheit selbst im Wege der Rechtsverordnung verbindlich festgelegt werden."
Die Ausgaben des Gesundheitssystems werden seit Jahren von den Kosten für Medikamente und insbesondere von den Preisen für neue Arzneimittel, die die Pharma-Konzerne frei festsetzen, in die Höhe getrieben. KritikerInnen haben vielfach aufgezeigt, daß sich die Inhalte der Mittel oft nur um Nuancen unterscheiden - um so mehr jedoch die Preise. Während PatientInnen und ein Großteil der ÄrztInnen Jahr für Jahr Einschränkungen und Kürzungen hinnehmen müssen, profitiert die Pharma-Industrie ohne jegliche Beschränkungen vom deutschen Gesundheitssystem.
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Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
Gesundheitssystem: Weitere Milliarden
für die Pharma-Konzerne (20.06.10)
Kosten des Gesundheitssystems wachsen
Nur Pharma-Konzerne profitieren (7.04.10)
Gesundheitswesen: Pharma-Konzerne kassieren ab
Bundesregierung verhindert Beschränkungen
wie in den USA (11.06.09)