13.12.2011

Geologe warnt
vor geplantem "Endlager" Gorleben

Salzstock Gorleben - westlich und östlich der Elbe Lüchow (LiZ). Am Dienstag abend stellte der Geologe Dr. Ulrich Kleemann im wendländischen Lüchow eine von ihm erstellte Studie zum geplanten "Endlager" im Salzstock von Gorleben vor. Er riet davon ab, noch weiter Geld für die angebliche Erkundung des Salzstocks auszugeben. Neben den bekannten Gasvorkommen unter dem Salzstock sprächen vor allem tektonische Störungen gegen dessen Eignung.

Bislang existiert weltweit kein einziges "Endlager" für den hochradioaktiven Müll aus Atomkraftwerken. In Deutschland wird seit den 1970er-Jahren über die Eignung des Salzstocks Gorleben als "Endlager" gestritten. Nun kommt ein weiteres gewichtiges Argument hinzu, das gegen dessen Eignung spricht. Der Salzstock Gorleben liegt laut den Erkenntnissen von Kleemann in einer "aktiven Störungszone". Der renommierte Forscher warnt davor, daß früher oder später entzündliches Erdgas in den Salzstock eindringen und eine katastophale Explosion auslösen kann. Die zuständige Bundesanstalt für Geowissenschaften (BGR), die seit Jahren alle kritischen Argumente ignoriert, spielt diese Gefahr hingegen herunter.

Im September 2010 war publik geworden, daß sich unter dem Salzstock Gorleben gefährliche Erdgaslager befinden (siehe unseren Artikel vom 13.09.10). Bei einer auf DDR-Gelände im Jahr 1969 vorgenommenen Tiefbohrung in den Salzstock Gorleben war es zu einer schweren Explosion von Erdgas gekommen, bei der ein Arbeiter getötet und mehrere schwer verletzt wurden. Seit 2010 wird nun diskutiert, daß infolge tektonischer Störungen im Gestein aus der Lagerstätte Erdgas entweichen und sich durch eine bei technischen Anlagen auf lange Sicht unvermeidbare Funkenbildung entzünden kann. Schlimmer noch als bei dem absehbaren Einsturz des "Versuchs-Endlagers" Asse II ist im Falle Gorlebens damit zu rechnen, daß dann sofort große Mengen Radioaktivität in die Biosphäre gelangen.

Dieses Katastrophen-Szenario wurde in den vergangenen 14 Monaten in Fachkreisen intensiv diskutiert. Die Studie des bis April 2010 beim Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) als Abteilungsleiter angestellten Geologen Dr. Ulrich Kleemann, der dort für die Thematik Endlagerung zuständig war, kommt nun zum Ergebnis, daß der Salzstock Gorleben bei einer vergleichenden Untersuchung von möglichen Endlager-Standorten auf dem heutigen Stand der Erkenntnisse nicht in die engere Wahl käme. Kleemann bestätigt damit die seit Jahren von Atomkraft-GegnerInnen vorgebrachte Kritik.

Tatsächlich war Gorleben zu keinem Zeitpunkt in einem vergleichenden Verfahren ausgewählt worden. Im September 2009 waren Schreiben des Bundesforschungsministeriums aus dem Jahr 1983 zu Tage gekommen, aus denen hervorgeht, die "schwarz-gelbe" Bundesregierung unter Helmut Kohl damals massiv Druck auf Wissenschaftler ausgeübt hat, um ein entscheidendes Gutachten zur Eignung des Gorlebener Salzstocks als Endlager für radioaktiven Müll in ihrem Sinne zu beeinflussen. Und im Januar 2010 gelangten lange geheim gehaltenen Kabinetts-Protokolle der früheren niedersächsischen Landesregierung unter Ernst Albrecht ans Tageslicht, die belegen, daß in den entscheidenden Jahren 1976 und 1977 geologische Kriterien bei der Auswahl von Gorleben kaum eine Rolle spielten und fachliche Einwände der beteiligten Wissenschaftler vom Tisch gewischt wurden. Greenpeace veröffentlichte im April 2010 mittlerweile zugängliche Akten, mit denen sich die Vorwürfe detailliert nachgewiesen lassen und die Geschichte der politischen Festlegung auf Gorleben nachgezeichnet werden kann.

Der Geologe Kleemann hebt nun darauf ab, daß der Salzstock Gorleben nach allgemein anerkannten Kriterien als "Endlager" für hochradioaktiven Müll zwangsläufig ausscheidet. So dürfen im Endlagerbereich keine aktiven Störungszonen vorliegen, da hier das Gestein auf lange Sicht in Bewegung ist. Und solche Gesteins-Bewegungen gefährden die Unversehrtheit der gebotenen geologischen Barriere.

Salzstock Gorleben - westlich und östlich der Elbe
Entlang der Elbe verlief die frühere innerdeutsche Grenze.

Auch der Endlager-Experte Professor Klaus Duphorn hatte bereits im Juli bei einer Anhörung im Bundestag aufgezeigt, daß explosives Erdgas bei Bohrungen gefunden worden sei und Gasausbrüche nicht auszuschließen seien. Ein Dokument aus DDR-Archiven beweist, daß im Bereich des Salzstocks Gorleben vermutlich erhebliche Mengen Erdgas lagern. Rund 15 Kilometer südwestlich befand sich in der Altmark bei Salzwedel die größte ausgebeutete Erdgaslagerstätte der DDR.

Aus einer Veröffentlichung von 2004 geht hervor, daß Bohrungsergebnisse darauf schließen lassen, daß eine "potentiell gasführende Schicht von der Altmark bis nach Lenzen reicht und unter dem geplanten Endlagerstandort eine Mächtigkeit zwischen 50 und 75 Meter erreicht". Geologe Klemmann läßt sich allerdings nicht zu voreiligen Schlußfolgerungen hinreißen, sondern argumentiert sachlich, daß aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse die Existenz von Gas unter dem Endlager "noch nicht erwiesen, aber möglich" sei.

Schon seit vielen Jahren ist bekannt, daß der Salzstock Gorleben einen gravierenden Nachteil aufweist: Die grundlegende Anforderung an ein unversehrtes Deckgebirge oberhalb des Salzstocks ist nicht erfüllt, da die Gorlebener Rinne, eine eiszeitliche Abtragung oberer Schichten, den Salzstock für Grundwasser zugänglich macht. Auch dieser unbestreitbare Fakt ist laut Kleemann ein bedeutender Standort-Mangel. Eine schützende, den Salzstock nach oben abschließende Deckschicht aus Ton ist an etlichen anderen potentiellen Standorten intakt.

Kleemann wertete für seine Arbeit auch vier von der BGR in den Jahren 2007 bis 2011 veröffentlichte Berichte zu den Erkundungsergebnissen in Gorleben aus. Offensichtlich habe die BGR die Standort-Mängel Gorlebens weitgehend ausgeblendet. Unberücksichtigt blieben bei der BGR auch aktuelle wissenschaftliche Publikationen zur Geologie Norddeutschlands. Unliebsame Studien würden nicht erwähnt und Fachzeitschriften von der BGR selektiv nur dann zitiert, wenn sie nicht gegen den Standort Gorleben ausgelegt werden könnten, kritisiert Kleemann.

Die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow Dannenberg bezeichnet es als "besonders skandalös", daß die von der BGR "hingebogenen" Erkundungsergebnisse auch in die "Vorläufige Sicherheitsanalyse Gorleben" (VSG) des Bundes-"Umwelt"-Ministeriums einfließen sollen. Mit diesem Papier, das für acht Millionen Euro erstellt werden soll, will Bundes-"Umwelt"-Minister Norbert Röttgen offenbar beweisen, daß ein sicheres Endlager im Salzstock Gorleben möglich sei.

 

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Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Strahlen-Skandal Gorleben
      Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages
      widerspricht Landesregierung (20.11.11)

      Genehmigung für CASTOR-Transport
      trotz Strahlen-Skandal (31.10.11)

      Strahlen-Skandal in Gorleben
      Grenzwert am Zaun bereits seit 2003 überschritten
      (30.09.11)

      Radioaktiver Müll in Gorleben
      hohe Strahlenbelastung am Zaun (25.08.11)

      Atommüll-Endlager in Deutschland?
      EU macht Druck (20.07.11)

      Atommüll-Endlager in der Schweiz?
      Unmögliches soll realistisch erscheinen (12.07.11)

      13. CASTOR nach Gorleben
      angekündigt (3.06.11)

      Gorlebener Salzstock vielfach angebohrt
      Der Berg schlägt zurück (15.04.11)

      Drei Monate Denkpause
      auch für Gorleben? (30.03.11)

      Parteitag der Pseudo-Grünen
      Gorleben als Verhandlungsmasse (21.11.10)

      Akten über Explosion im Jahr 1969
      Erdgas unter Gorleben (13.09.10)

      Weiterer Erfolg des Gorleben-Widerstands:
      Verwaltungsgericht Lüneburg stoppt Datensammlung
      (4.09.10)

      CASTOR-GegnerInnen siegen
      vor Bundesverfassungsgericht (26.08.10)

      Der Endlager-Schwindel
      Greenpeace veröffentlicht Akten zu Gorleben (13.04.10)

      Endlager-Standort Gorleben
      Bei der Auswahl spielte Geologie kaum eine Rolle
      (10.01.10)

      Das ungelöste Problem der Endlagerung
      Folge 12 der Info-Serie Atomenergie