20.07.2011

Atommüll-Endlager in Deutschland?
EU macht Druck

Atommüll - wohin damit? Brüssel (LiZ). Die EU-Kommission hat beschlossen, daß die EU-Staaten bis 2015 "konkrete Pläne" zum Bau von Atommüll-Endlagern vorlegen müssen. Der EU-Energie-Kommissar und frühere baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger spricht von einer "Handlungspflicht."

Seit den 1970er Jahren haben sich in der BRD Bundesregierungen und Partei-PolitikerInnen auf Gorleben als Standort für ein Atommüll-Endlager festgelegt. Auf der anderen Seite hat die Anti-Atom-Bewegung mit CASTOR-Blockaden und dem Aufdecken von politischer Mauschelei und geo-physikalischen Fakten die Realisierung dieses Endlagers bislang verhindern können. Ohne daß bislang die vielbeschworene neutrale und wissenschaftlich fundierte Endlagersuche in Deutschland in Gang gekommen wäre, wird nun von Brüssel aus Druck ausgeübt. Innerhalb von nur vier Jahren sollen "konkrete Pläne" zum Bau eines Atommüll-Endlagers vorgelegt werden. Mehrere Schlupfloch sind jedoch bereits aufgezeigt: Die deutsche Atom-Lobby muß nicht unbedingt ein Endlager in Deutschland bauen lassen. Nach dem EU-Beschluß können sich EU-Staaten hierbei zusammentun. Auch soll die Ausfuhr von Atommüll in Drittländer prinzipiell erlaubt bleiben.

Mit dem Hinweis auf die Möglichkeit der Ausfuhr von Atommüll beispielsweise nach Rußland wurde jedoch offensichtlich nur ein Nebenkriegsschauplatz eröffnet. Die heftigen Reaktionen, die hierbei nicht lange auf sich warten ließen, lenken davon ab, daß der Vorstoß Oettingers auf Deutschland und insbesondere Baden-Württemberg zielt.

Die deutsche Anti-Atom-Bewegung wird jedoch weiterhin an ihrem Standpunkt festhalten, daß eine Endlager-Suche erst dann akzeptabel ist, wenn sämtliche Atom-Anlagen stillgelegt sind. Denn solange Atomkraftwerke betrieben werden, besteht ein enormer Druck, auch eine untaugliche Lagerstätte - wie beispielsweise den Salzstock unter Gorleben - als Atommüll-Endlager festzulegen. Hinzu kommt, daß es nach der Festlegung eines Atommüll-Endlagers auf jeden Fall heißen wird, nun sei ja das Hauptargument gegen die Atomenergie weggefallen - und also können die Reaktoren bedenkenlos weiter betrieben werden.

Nach den Erfahrungen in Deutschland mit dem Beschluß von "Schwarz-Gelb" im vergangenen Herbst und den Erfahrungen in Schweden und Spanien, wo ein vor Jahren beschlossener Atom-Ausstieg auf unbestimmte Zeit verschoben wurde, muß auch in Deutschland nach der Bundestagswahl im Jahr 2013 damit gerechnet werden, daß der im Jahr 2011 verkündete "Atom-Ausstieg" keinen Bestand haben wird. Die Festlegung auf einen Standort für ein Atommüll-Endlager in Deutschland wäre dann ein zusätzlicher Hebel, um den Weiterbetrieb von 9 Atom-Reaktoren auf unbestimmte Zeit durchzusetzen.

Dem Anschein nach will die EU-Kommission strenge Maßstäbe an ein nationales Endlager-Projekt anlegen. Vor dem Hintergrund jedoch, daß im nach wie vor gültigen EURATOM-Vertrag - den auch die Bundesregierung nicht zu kündigen gedenkt - die Förderung der Atomenergie als Aufgabe festgeschrieben ist, erscheinen die nun formulierten EU-Ansprüche, ein nationales Endlager-Projekt zu prüfen und Auflagen zu erteilen, falls "Anforderungen an Bodenbeschaffenheit, Mitarbeiterqualifizierung oder Kontrollen nicht erfüllt" sein sollten, als bloße PR. Darüber hinaus tönt es aus Brüssel, künftig seien die von der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) entwickelten Sicherheitsstandards rechtsverbindlich. Doch bekanntlich ist die IAEA wenig mehr als eine Lobby-Organisation der Atombranche.

"Jetzt sind die Mitgliedsstaaten in der Handlungspflicht," verkündete EU-Energie-Kommissar Günther Oettinger. Der frühere baden-württembergische Ministerpräsident sprach von einem "umfassenden Drehbuch", das nun für die Endlagersuche gefordert sei. Damit spielt er im Doppelpaß mit seinem pseudo-grünen Nachfolger Winfried Kretschmann, der ein solches Drehbuch bereits am 20. November 2010 bei einem Interview mit der 'Badischen Zeitung' präsentiert hatte. Es besteht darin, ein "transparentes Verfahren mit Bürgerbeteiligung nach Schweizer Muster" durchführen.

Nun ist der Anti-Atom-Bewegung dies- und jenseits des Rheins bekannt, daß die Endlagersuche in der Schweiz keineswegs demokratisch oder transparent durchgeführt wird und daß die proklamierte Bürgerbeteiligung lediglich der Akzeptanzbeschaffung dient. Tatsächlich läuft seit Jahren in der Schweiz alles auf den Ort Benken als Atommüll-Endlager hinaus. Dort wird eine Opalinustonschicht von völlig unzureichender Mächtigkeit "untersucht". Und ebensolche Tonschichten in Baden-Württemberg, die zudem eine noch geringere Mächtigkeit als jene unter Benken aufweisen, sollen in den kommenden Jahren mit einem "grünen Siegel" versehen werden. In den im März veröffentlichten "grün-roten" Koalitionsvertrag ließ Kretschmann hineinschreiben: "Wir halten es für erforderlich, dass für die hoch radioaktiven Abfälle baldmöglichst ein geeignetes Endlager zur Verfügung steht." In den Mainstream-Medien wurde der pseudo-grüne Ministerpräsident prompt für sein "Verantwortungsbewußtsein" gelobt.

"Seit über 50 Jahren wird in Deutschland Atomstrom produziert. Die Frage aber, wohin mit den nuklearen Abfällen, ist weiter ungelöst," kritisiert die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg in einer Stellungnahme den Vorstoß der EU-Kommission, daß die EU-Staaten bis 2015 "konkrete Pläne" zum Bau von Atommüll-Endlagern vorlegen müssen. "Konkret" seien in Deutschland zwei gescheiterte Versuche, Atommüll endzulagern zu besichtigen: Morsleben und Asse II. "Pläne" gebe es zudem seit 35 Jahren, ergänzt die Bürgerinitiative sarkastisch. Doch diese Pläne, in Gorleben eine Atommülldeponie einzurichten, seien rein politisch motiviert. Seit über drei Jahrzehnten ist die Bürgerinitiative eine der treibenden Kräfte des Widerstands im Wendland.

 

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Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Atommüll-Endlager in der Schweiz?
      Unmögliches soll realistisch erscheinen (12.07.11)

      13. CASTOR nach Gorleben
      angekündigt (3.06.11)

      Gorlebener Salzstock vielfach angebohrt
      Der Berg schlägt zurück (15.04.11)

      Stark erhöhte Radioaktivität
      im "Versuchs-Endlager" Asse II (14.04.11)

      Drei Monate Denkpause
      auch für Gorleben? (30.03.11)

      Atommüll-Frachter in Seenot
      nach Rußland-Fahrt (20.12.10)

      "Versuchs-Endlager" Asse II
      Wasserzutritt verdoppelt (15.12.10)

      Erhöhte Krebs-Rate
      um das "Versuchs-Endlager" Asse II (25.11.10)

      Parteitag der Pseudo-Grünen
      Gorleben als Verhandlungsmasse (21.11.10)

      Neue wissenschaftliche Studie:
      AKW und tote weibliche Embryos (19.11.10)

      CDAK interveniert
      gegen Wiederwahl Annette Schavans in Parteivorstand (14.11.10)

      50.000 in Dannenberg
      Auftakt zum CASTOR-Protest im Wendland (7.11.10)

      Akten über Explosion im Jahr 1969
      Erdgas unter Gorleben (13.09.10)

      Der Endlager-Schwindel
      Greenpeace veröffentlicht Akten zu Gorleben (13.04.10)

      In Asse II wird probegebohrt
      Weitere Zeitverzögerung vor der Rückholung (27.03.10)

      Atommüll-Transporte
      Glaskokillen nicht stabil (5.02.10)

      Einsturzgefahr im "Versuchs-Endlager" Asse II
      Atommüll wird rückgeholt (15.01.10)

      Endlager-Standort Gorleben
      Bei der Auswahl spielte Geologie kaum eine Rolle (10.01.10)

      "Versuchs-Endlager" Asse II:
      Mit Spezialbeton Hohlräume verfüllt (8.12.09)

      Morsleben-Kongreß
      Forderung nach Offenlegung einer geheimen Studie
      zur Rückholbarkeit des radioaktiven Mülls (21.11.09)

      "Versuchs-Endlager" Asse II:
      Decke eingestürzt (9.10.09)

      "Versuchs-Endlager" Asse II:
      Rückholung des Atommülls laut Bundesamt möglich (2.10.09)

      Verstärkter Laugeneinbruch
      im "Versuchs-Endlager" Asse II (18.09.09)

      Skandal-Serie Asse II: Noch mehr Plutonium
      im "Versuchs-Endlager" (29.08.09)

      Skandal-Serie Asse II:
      Hochradioaktiver Müll im "Versuchs-Endlager"?
      MONITOR veröffentlicht Siemens-Unterlagen (24.07.09)

      Skandal-Serie Asse II:
      Erneuter Fund radioaktiver Lauge (15.07.09)

      Skandal-Serie Asse II:
      Nun auch noch Sprengstoff (26.06.09)

      Desinformation in der 'Badischen Zeitung'
      Die Schweizer Endlager-Suche (18.06.09)

      Asse II: Strom-Konzerne drückten
      die Sicherheits-Standards (3.06.09)

      Asse II: Mehr radioaktiver Müll als vermutet
      Greenpeace findet Hinweise auf zu niedrige Angaben
      in den Inventar-Listen (7.05.09)

      Asse II: Einsturzgefahr in Kammer 7 akut
      (29.04.09)

      Asse II diente auch der Bundeswehr als Atomklo
      Endlager-Skandal nimmt immer neue Dimensionen an (24.04.09)

      Asse II: Auch Fässer mit Pestiziden,
      Arsen und Blei im "Versuchs-Endlager" Asse II (15.04.09)

      Versuchslager Asse II
      Wer hat den radioaktiven Müll produziert? (23.02.09)

      Lauge aus Atommüll-Lager Asse erneut nach 'Mariaglück'
      Dringend nötige Rückholung weiter verzögert (7.02.09)

      Einsturzgefahr im Atommüll-Lager Asse
      Seit Dezember nicht veröffentlicht (15.01.09)

      Das ungelöste Problem der Endlagerung
      Folge 12 der Info-Serie Atomenergie