24.04.2010

150.000 gegen Atomkraft

Aufschwung für Anti-AKW-Bewegung

Biblis, 24. April 2010 Ahaus, Biblis, Hamburg (LiZ).
Am heutigen Samstag beteiligten sich mehrere tausend Menschen am Treck von Gorleben zum AKW Krümmel, 7.000 nahmen an der Demo gegen das Zwischenlager bei Ahaus teil, 20.000 kamen zum AKW Biblis und 120.000 Menschen reihten sich in die Menschenkette zwischen dem AKW Brunsbüttel und dem AKW Krümmel ein. Auch wenn es Unmut über einige von keinerlei Selbstkritik getrübten Auftritte von PolitikerInnen gab, prägte die Forderung nach einem Atom-Ausstieg das Bild. Anlaß des gemeinsamen Protests war nicht allein der Tschernobyl-Jahrestag am 26. April, sondern zugleich die Sorge vieler Menschen in Deutschland, daß der versprochenen Atom-Ausstieg immer weiter in die Zukunft verschoben wird.

Gorleben - Krümmel

Die wendländischen AtomkraftgegnerInnen waren zu einem dreitägigen Treck, mit einem zusätzlichen Fahrräder- und Trecker-Konvoi und zahlreichen Bussen nach Krümmel aufgebrochen. Am AKW haben sie die Demonstration und Kundgebung mit geprägt. Auch hier wurde Kritik an einer "parteipolitischen Instrumentalisierung der Menschenkette" laut. Parteipolitisische Fensterreden waren aber am AKW Krümmel nicht vorgesehen. Auffallend waren die rund 70 Traktoren und Gespanne, die aus dem Wendland rund um Gorleben gekommen waren.

Ahaus

Um 14 Uhr setzte sich ein Protestzug von rund 7.000 Menschen in Bewegung. Dominierend unter den Fahnen waren solche mit dem sonnigen "Atomkraft?-Nein Danke!"-Symbol, das mittlerweile mehr als 30 Jahre auf dem Buckel hat und dennoch frisch und frech wie am ersten Tag wirkt. Keinen Kontrast hierzu bildete daher das Alter der Demo-TeilnehmerInnen, die oft deutlich jünger als die strahlende Anti-AKW-Sonne waren.

Heiner Möllers vom Demo-Komitee mußte gleich zu Beginn die anwesende Pateien-Prominenz ermahnen, sich nicht an die Spitze des Zuges zu setzen. Hier solle kein Wahlkampf gemacht werden, es gehe den DemonstrantInnen um den Atom-Ausstieg. Gekommen waren auch Atomkraft-GegnerInnen aus den Niederlanden, Frankreich und Rußland. Kritisiert wurden insbesondere die Transporte von Uranhexafluorid von Deutschland nach Rußland.

In den kommenden Monaten sollen hunderte Atommüll-Transporte ins Zwischenlager Ahaus rollen. In seiner Rede äußerte Möllers die Befürchtung, daß der radioaktive Müll wegen eines fehlenden Endlagers aus Dauer in Ahaus bleiben soll. Er erinnerte an die großen Erfolge der Anti-AKW-Bewegung die von ursprünglich rund sechzig geplanten Atomanlagen nahezu vierzig verhindern konnte. Möllers rief: "Wir werden uns zu wehren wissen!" Die DemonstrantInnen antworteten mit heftigem Beifall und einem ohrenbetäubenden Konzert von Trillerpfeifen.

Biblis

Weitaus mehr Menschen als erwartet kamen zum hessischen AKW Biblis. Dort läuft der im Jahr 1974 in Betrieb genommenen Reaktor Biblis A, der älteste Meiler Deutschlands, dessen Abschaltung nach dem "rot-grünen Atom-Ausstieg" für das Jahr 2006 angekündigt war. Aufgerufen hatten zur Demo am AKW Biblis Anti-AKW-Initiativen aus mehreren Bundesländern, Umweltorganisationen und Parteien.

Matthias Weyland vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) erklärte in seinem Redebeitrag: "Die Bevölkerung ist die Trickserei der Betreiber und der Politik leid, die Wut ist enorm." Am AKW Biblis war es keinen Parteien-VertreterInnen vergönnt, Reden zu halten und vermeintliche Erfolge anzupreisen. Der Arzt Michael Wilk vom Arbeitskreis Umwelt Wiesbaden begrüßte in seinem Redebeitrag ausdrücklich die anwesenden Menschen von der Basis der verschiedenen Parteien. Mit diesen habe die Anti-AKW-Bewegung in den vergangenen Jahren durchweg positive Erfahrungen gemacht und diese hätten bei der Vorbereitung der heutigen Demo kräftig mitangepackt. Dennoch müsse ausgesprochen werden, daß "S"PD und Pseudo-Grüne wegen des Atomkompromisses eine Mitschuld daran tragen, daß Biblis A und 16 weitere Reaktoren in Deutschland immer noch am Netz seien. Die Anti-AKW-Bewegung könne aber sehr wohl unterscheiden zwischen den einfachen Mitgliedern an der Basis und "den sogenannten Parteispitzen". Von diesen "Parteispitzen" sei wohl gar zu erwarten, daß sie einen mit Biodiesel betriebenen "ökologischen Kampfpanzer" zum Einsatz für vermeintliche deutsche Interessen am Hindukusch begrüßen würden. Auf dem Platz anwesende Parteiprominenz wie die rheinland-pfälzische "Umwelt"-Ministerin Margit Conrad ("S"PD), der hessische "S"PD-Vorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel und die hessischen Vorsitzenden der Pseudo-Grünen Kordula Schulz-Asche und Tarek Al-Wazir quittierten die Kritik Michael Wilks mit hörbarem Gegrummele. Der starke Applaus zeigte jedoch, daß viele DemonstrantInnen Wilk zustimmten. Wilk richtete zudem deutliche Kritik an die Adresse der Atom-Konzerne. Diese würden von Kriminellen geleitet und bereits der sogenannte Normalbetrieb von Atomkraftwerken sei nichts anderes als Körperverletzung.

Die Menschenkette um das AKW Biblis war ein voller Erfolg. Die vier Kilometer lange Strecke konnte problemlos vollständig besetzt werden. Vom sogenannten Abluft-Kamin des AKW wurde die Aktion offenbar interessiert beobachtet. Auch der recht kostenintensive Start eines Polizei-Hubschraubers vom AKW-Gelände aus war dem hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch trotz maroden Landeshaushalts offenbar nicht zu teuer. Am Freitag, einen Tag vor der Demo, hatte der Hessische Verwaltungsgerichtshof einen kurz zuvor auf Betreiben Kochs an die VeranstalterInnen gerichteten Kostenbescheid abgeschmettert. Die VeranstalterInnen hätten wegen der "Abwehr von Unfall- und Gesundheitsgefahren allgemeiner Art" bei der Demo rund 2.600 Euro bezahlen sollen. "Das ist ein riesiger Erfolg für uns und für alle zukünftigen Demonstrationen", erklärte Matthias Weyland vom BUND. Der Versuch, die Ausübung des Demonstrationsrechts vom Geldbeutel der Veranstalter abhängig zu machen und damit erheblich einzuschränken, sei gescheitert.

Menschenkette Brunsbüttel - Krümmel

An der 120 Kilometer langen Strecke vom AKW Brunsbüttel quer durch Hamburg bis zum AKW Krümmel demonstrierten 120.000 Menschen für einen Atom-Ausstieg in Deutschland. "Es ist gelungen: Die Kette steht. Dies zeigt, daß die Mehrheit der Bevölkerung aus der gefährlichen Atomenergie aussteigen will. Die Pannenmeiler Krümmel und Brunsbüttel müssen endgültig stillgelegt werden. Und auch der Betrieb der anderen Atomkraftwerke ist nicht länger zu verantworten. Der heutige Tag wird eine bundesweite Kettenreaktion des Protests und Widerstands auslösen, sollte die Bundesregierung in der Atompolitik nicht einlenken", erklärten die Veranstalter, ein breites Bündnis von Umweltverbänden, Bürgerinitiativen, Erneuerbare-Energien-Verbänden, kirchlichen Organisationen, Jugendverbänden, Gewerkschaften und Parteien.

"Das Engagement der vielen Hundert ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer und der Zuspruch von engagierten Menschen aus allen Teilen der Bundesrepublik und quer durch alle gesellschaftlichen Milieus waren enorm," sagte der BUND-Atomexperte Thorben Becker, einer der Sprecher der Aktion. "Und auch beim CASTOR-Transport nach Gorleben im November rechnen wir mit weiter wachsenden Protesten," erklärte Jochen Stay, einer der Sprecher des Trägerkreises.

Menschen aus fast allen gesellschaftlichen Schichten nahmen am Protest teil, Bäuerinnen und Bauern mit Traktoren, Familien auf Fahrrädern. Die Wut der Menschen richtet sich vor allem gegen "Schwarz-Gelb", denn von dieser Seite ist nun offen davon die Rede, daß die 17 deutschen Atommeiler viele weitere Jahre in Betrieb bleiben sollen. Dabei sind die beiden Atomkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel, die beide seit Juni 2007 nahezu ununterbrochen abgeschaltet sind, symbolträchtig.

In Elmshorn trug Sigmar Gabriel, derzeitiger "S"PD-Vorsitzender und Atom-Minister der "schwarz-roten" Regierung von 2005 bis 2009, eine Rede vor. Er warnte die TeilnehmerInnen der Menschenkette vor einer weiteren Verlängerung der Betriebszeiten. 300.000 Arbeitsplätze in der Branche der erneuerbaren Energien seien dadurch gefährdet. Unerwähnt ließ er dabei, daß sowohl in den "rot-grünen" Jahren von 1998 bis 2005 als auch in seiner Amtszeit als Atom-Minister die Atomenergie jährlich mit über 7 Milliarden Euro subventioniert wurde, während die erneuerbaren Energien lediglich mit einigen Millionen Euro gefördert wurden.

Zusammen mit seinem Vorgänger als Atom-Minister, dem pseudo-grünen Jürgen Trittin, reihte sich Gabriel auf der Bundesstraße 431 zwischen Elmshorn und Glückstadt in die Menschenkette ein. Trittin sagte: "Die Anti-AKW-Initiativen kämpfen wieder gemeinsam mit uns, weil sie erkannt haben, daß dies der schnellste Ausstieg der Welt ist." Beide wiesen auf die Wahl in Nordrhein-Westfalen am 9. Mai hin und versuchten mit Hilfe der Mainstream-Medien die Menschenkette zu einer Wahlveranstaltung für die Landtagswahl umzufunktionieren. So soll das Bild einer Renaissance von "Rot-Grün" haften bleiben.

Auch der Auftritt des Linkspartei-Politikers Klaus Ernst bei Brokdorf stieß bei den TeilnehmerInnen der Menschenkette nicht auf ungeteilte Zustimmung. Nach den Erfahrungen mit Schröder, Fischer, Gabriel und Trittin, die mal von zehn, mal von zwanzig, schließlich von 32 Jahren redeten, traf der Linkspartei-Politiker einen wunden Punkt, als er in seinem Redebeitrag sagte: "Die Atomkraftwerke müssen so schnell wie möglich abgeschaltet werden."

 

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Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Sanitär-Kosten für Biblis-DemonstrantInnen?
      Roland Koch will Anti-AKW-Demo verteuern (22.04.10)

      Der Endlager-Schwindel
      Greenpeace veröffentlicht Akten zu Gorleben (13.04.10)

      Biblis A - Lug und Trug
      Demo am 24. April (27.03.10)

      Der deutsche "Atom-Ausstieg"
      Folge 2 der Info-Serie Atomenergie