15.02.2013

Werden die belgischen Atomkraftwerke
Doel und Tihange wieder hochgefahren?

AKW Doel bei Antwerpen
Brüssel (LiZ). Im August 2012 wurden im Druckbehälter des Reaktors 3 des AKW Doel bei Ultraschall­untersuchungen Tausende von Rissen festgestellt. Auch Reaktor 2 des AKW Tihange blieb seitdem abgeschaltet. Die Reaktordruckbehälter etlicher anderer Atomkraftwerke stammen vom selben Hersteller. Dennoch macht der belgische Strom-Konzern Electrabel Druck, die Reaktoren im März wieder hochfahren zu dürfen.

Reaktoren der AKW Doel bei Antwerpen und Tihange bei Lüttich vorgelegt. Jörg Schellenberg, Sprecher des Aachener Aktionsbündnisses gegen Atomenergie, und seine MitstreiterInnen haben sich in stundenlanger Arbeit durch die Berichte gearbeitet und darin etliche Ungereimtheiten entdeckt. Als Unterstützer gewannen sie den AKW-Experten und früheren Leiter des Bereichs Sicherheit kerntechnischer Einrichtungen im Bundesumwelt­ministerium, Dieter Majer.

Zentraler Kritikpunkt an den AFCN-Berichten ist die ungeklärte Herkunft der Risse. Offenbar nimmt der Strom-Konzern und AKW-Betreiber Electrabel lediglich an, bei den Rissen handele es sich um einen Herstellungsfehler. Schellenberg und Majer weisen jedoch darauf hin, daß mangels Fakten vom kritischeren Tatbestand auszugehen ist: Die Risse können im Laufe des über 30-jährigen Betriebs entstanden sein. Hierfür spricht zudem, daß zur Zeit des AKW-Baus (Reaktor 3 des AKW Doel ging 1982 in Betrieb) alle notwendigen Untersuchungsmethoden zur Routine gehörten. Wenn es sich bei den Rissen also um Herstellungsfehler handeln würde, hätten diese spätestens bei den finalen Tests vor der Inbetriebnahme auffallen müssen.

Die vorgeschriebene Dokumentation der Tests vor der Inbetriebnahme des Reaktordruckbehälters fehlt jedoch - wie die AktivistInnen feststellten. Ebenso fehlen Dokumente über wichtige Herstellungsschritte. Der Produzent der Reaktordruckbehälter, die niederländische Firma Rotterdamsche Droogdok Maatschappij ging im Jahr 1983 pleite. "Electrabel muß eine vollständige Herstellungsdokumentation vorlegen, sonst dürfte es keine Betriebsgenehmigung geben," erklärt Majer. "Ich vermute, daß diese nicht vorhanden ist. Sonst hätte Electrabel sie längst vorgelegt."

Ein weiterer schwerwiegender Kritikpunkt betrifft den Mangel an Informationen über wichtige Charakteristika der Risse. So ist in den Berichten lediglich eine Längenangabe zu finden - bis zu 2,4 Zentimeter - nichts jedoch über die Tiefe und Stärke der Risse in der 20 Zentimeter dünnen Wand des Reaktordruckbehälters. Majer moniert darüber hinaus das Fehlen einer bruchmechanischen Untersuchung. Offenbar wurde nicht überprüft, ob die Stabilität des Reaktordruckbehälters überhaupt für den der Auslegung zugrunde gelegten größten anzunehmenden Unfall ausreicht. Auch ohne eine solche Untersuchung dürfte es laut Majer keine Genehmigung geben.

Und offenbar liegt den AFCN-GutachterInnen auch kein Original-Testmaterial der Reaktordruckbehälter vor. Das stattdessen verwendete Testmaterial läßt keine adäquaten Aussagen zu, da es weder dem Alterungsprozeß durch Neutronenbeschuß noch der thermischen Belastung ausgesetzt war, noch von der gleichen Legierung ist.

Auffallend ist in den AFCN-Berichten auch, daß die angegebene Zahl von Rissen nicht plausibel ist: So fanden sich im Mantel des Reaktordruckbehälters 3 des AKW Doel bei der Untersuchung im Jahr 2013 angeblich weniger Risse als im Jahr zuvor:

Risse in den Reaktordruckbehältern

Die belgische Atomaufsicht AFCN hat dem Betreiber Electrabel bereits soweit nachgegeben, daß sie in den Berichten bescheinigt, es gäbe "keine Gründe, die Reaktoren stillzulegen". Es sollen vom Betreiber lediglich noch einige weitere Tests bis Ende März vorgenommen werden. Dabei hat selbst Electrabel Vorsichtsmaßnahmen für den weitere Betrieb der Reaktoren vorgeschlagen: So soll etwa in Zukunft der Neutronenbeschuß der Reaktordruckbehälter-Wand reduziert und die thermische Belastung durch ein langsameres Hochfahren und Herunterfahren des AKW verringert werden. Majer kommentiert: "All das deutet darauf hin, daß die Verantwortlichen der Meinung sind, daß die Anlage nicht mehr in einem sicheren Zustand ist."

Nachdenklich stimmt die Information, daß die AFCN seit Anfang 2013 von Jan Bens geleitet wird, der von 1979 bis 1985 beim Betreiber Electrabel im Bereich Betrieb und Sicherheit beschäftigt war. Ab 2004 war Jan Bens Leiter des AKW Doel. 2007 wechselte er zur WANO (World Association of Nuclear Operators), einer Lobby-Organisation der AKW-Betreiber.

 

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Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      8000 Risse im AKW Doel
      Stilllegung dennoch ungewiß (17.08.12)

      Riß im Reaktordruckbehälter
      des belgischen AKW Doel (9.08.12)

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      "Schwarz-Gelb" zerschlägt deutsche Solar-Branche
      (12.07.12)

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      Riß im Reaktordeckel? (19.06.12)

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      Kernschmelz-Risiko unterschätzt (1.03.12)

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      Erneuerbare bei über 20 Prozent
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