23.03.2011

Gesellschaft für Strahlenschutz:
Super-GAU ist längst Realität

AKW Fukushima Daiichi, 16.03.2011 Berlin (LiZ). Offizielle Meß-Daten aus einer Entfernung von bis zu 200 Kilometern um das zerstörte japanische AKW Fukushima Daiichi erreichen mittlerweile die Größen- ordnung wie bei der Reaktor-Katastrophe von Tschernobyl im Jahr 1986. Darauf weist Sebastian Pflugbeil, Präsident der Gesellschaft für Strahlenschutz, hin. Nach seiner Einschätzung gehe "das Problem in Japan erst los."

Um seine Einschätzung zu untermauern verweist Pflugbeil auf die Meß-Daten, die auf der Internet-Seite der Internationalen Atomenergie-Agentur IAEA veröffentlicht wurden.* Diese stammen vom Betreiber Tepco und den japanischen Behörden. Noch in 200 Kilometer Entfernung des zerstörten AKW Fukushima Daiichi wurden demnach erhöhte Gamma-Dosis-Raten und Beta-Gamma-Kontaminationen gemessen. Die Meß-Daten liegen zwischen 0,2 und 6,9 µSv/h. Die übliche - zum Teil noch durch die Atombomben-Tests der 1960er Jahre verursachte - generelle Hintergrundstrahlung beträgt rund 0,1 µSv/h. Die IAEA gibt an, daß hohe Werte von Beta-Gamma-Kontaminationen zwischen 16 und 58 Kilometer Entfernung vom AKW Fukushima Daiichi gemessen wurden. Die Werte liegen zwischen 200.000 und 600.000 Bequerel (Bq) pro Quadratmeter. Laut IAEA ist nicht auszuschließen, daß solche hohen Werte auch in größeren Entfernungen auftreten. Bislang war die IAEA, deren Aufgabe in der weltweiten Propagierung und Sicherung der "friedlichen" Nutzung der Atomenergie besteht, eher durch die Verharmlosung der Lage in Fukushima aufgefallen.

Zur Bewertung dieser Zahlen liegt ein Vergleich mit der Tschernobyl-Katastrophe nahe. Sogenannte Hot Spots" (deutsch: heiße Spitzenwerte) wurden von den Behörden damals als lokal begrenzte Kontaminationen von mehr als 555.000 Bequerel pro Quadratmeter definiert. Es handelt sich dabei um dieselbe Größenordnung, die in Japan im Umkreis zwischen 16 und 58 Kilometer gemessen wurde. Die Ausdehnung dieser Zone in Japan und die dortige Strahlenbelastung ist vergleichbar mit der Sperrzone westlich von Tschernobyl.

Diese Zahlen belegen, daß es sich bei den Unfällen im AKW Fukushima Daiichi längst nicht mehr um einen GAU handelt, denn dabei handelt es sich definitionsgemäß um den "größten anzunehmenden Unfall", für den die Sicherheitsvorkehrungen eines Kraftwerks ausgelegt sind. Ein Super-GAU ist allein bereits dadurch eingetreten, daß weitaus mehr Radioaktivität in die Umgebung der Anlage ausgetreten ist, als im sogenannten Normalbetrieb abgegeben werden darf. Laut Pflugbeil dürfe auch die radioaktive Kantaminierung des Meeres nicht bagatellisiert werden. Die veröffentlichten Meß-Ergebnisse weisen darauf hin, daß es zumindest in einem der Reaktoren des AKW Fukushima Daiichi zu einer Kernschmelze gekommen ist. Ob dabei nur ein Teil oder das gesamte Inventar an radioaktiven Brennelementen geschmolzen ist, kann bei der gegenwärtigen de-facto-Nachrichten-Sperre und den widersprüchlichen Aussagen von offiziellen japanischen Stellen nicht beurteilt werden.

Obwohl in den Mainstream-Medien nach wie vor überwiegend abgewiegelt und verharmlost wird, sprechen die Meß-Ergebnisse eine deutliche Sprache. Sebastian Pflugbeil rät daher dringend zu weiteren Evakuierungsmaßnahmen. Prekär ist allerdings die Lage für den Großraum Tokio, in dem rund 35 Millionen Menschen leben, und der mit den heute verfügbaren Mitteln nicht evakuiert werden kann.

Nach der Warnung vor radioaktivem Jod im Leitungswasser von Tokio gibt es unterdessen kaum noch abgefülltes Wasser in Flaschen zu kaufen. Viele BewohnerInnen der Hauptstadt versuchten daraufhin, in Online-Shops Wasser zu bestellen. Das verfügbare Angebot reiche aber nicht für alle aus, berichtete der Fernsehsender NHK. Die Behörden ordneten an, daß Babys in 23 Stadtteilen von Tokio sowie in fünf weiteren Städten kein Leitungswasser mehr zu trinken bekommen sollten. Bei Messungen in einer zentralen Wasseraufbereitungsanlage der Hauptstadt waren erhöhte Werte von radioaktivem Jod-131 festgestellt worden.

Nach Einschätzung von Pflugbeil könne die Schadensentwicklung im Atomkraftwerk mit den gegenwärtigen Methoden wie dem notdürftigen Kühlen mit Meerwasser bestenfalls gebremst werden, weitere schlimme Ereignisse könnten eventuell eingedämmt werden. Allerdings sei kein effektiver Ansatz erkennbar, wie das Schlimmste noch verhindert werden könne. Niemand wisse, wie die Prozesse in den Reaktoren zeitlich weiter ablaufen werden. Pflugbeil glaubt auch nicht, daß sich die Situation stabilisiert hat. Das halte er für ein Gerücht. "Also die Prozesse, die dort stattfinden, haben eine negative Tendenz. Die Versuche, die gemacht wurden mit den Hubschraubern und den Feuerwehrspritzen, haben die Sache vielleicht ein klein wenig verzögert, aber die Probleme überhaupt nicht gelöst. Der Zerfall des radioaktiven Materials geht weiter." Es sei damit zu rechnen, daß sich der jetzt zu beobachtende Zustand über Wochen und Monate hinzieht und möglicherweise weiter verschärft. Das sei "wahrscheinlich nicht zu stoppen."

 

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Anmerkungen

* Link zur Seite der IAEA:
http://www.iaea.org/newscenter/news/tsunamiupdate01.html

Siehe auch unsere Artikel:

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