Brüssel (LiZ). Bereits im vergangenen April wurde deutlich, daß EU- Kommissarin Cecilia Malmström nicht an einer sachlichen Diskussion über die Gefahren einer Einführung von Internet-Sperren interessiert ist. Unbeeindruckt versucht sie, weiterhin mit dem perfiden Vorwand, damit Kinderpornographie bekämpfen zu wollen, eine Infrastruktur zur politischen Zensur des Internets durchzusetzen. Auch die Entscheidung des Innenausschusses im EU-Parla- ment gegen obligatorische Internet-Sperren wertet sie nicht als persönliche Niederlage.
Anfang 2010 hatte Malmström - nachdem eine entsprechende Initiative der damaligen deutschen "Familienministerin" Ursula von der Leyen in Deutschland trotz massiver Begleitmusik der Mainstream-Medien an Glaubwürdigkeit verlor - den Entwurf für eine "Richtlinie für Kinderschutz" vorgestellt, dessen zentrales Ziel die Einführung von Internet-Sperren war. Die EU-Kommissarin begründete ihre Weigerung, die jetzige Niederlage zu einem Überdenken ihrer Position zu nutzen, damit, sie sei für so etwas schon "zu lange im politischen Geschäft." Wie schon in dem vielfach kritisierten Interview mit der 'FAZ' Mitte April 2010 griff sie erneut auf die - nach wie vor unbewiesene - Behauptung zurück, Internet-Sperren würden "mit großem Erfolg" von einigen EU-Mitgliedsstaaten umgesetzt.
Nach wie vor behauptet Malmström, das Löschen von Internet-Seiten - etwa mit kinderpornographischen Inhalten - sei außerhalb von Europa nicht immer möglich. Nach wie vor ignoriert Malmström dabei, daß es beispielsweise Banken durchaus möglich ist, Phishing-Seiten im Internet im Schnitt nach vier Stunden vom Provider entfernen zu lassen. Diese werden gelöscht, nicht gesperrt. Dabei sind Phishing-Seiten häufig in weniger kooperativeren Ländern als den USA gehostet. Bekanntlich sind über 70 Prozent der Internet-Seiten mit kinderpornographischen Inhalten in den USA gehostet.
Nach wie vor geht Malmström nicht auf das Argument der KritikerInnen von Internet-Sperren ein, wonach die dafür benötigten "schwarzen Listen" von der Polizei zentral und geheim - etwa vom Bundeskriminalamt (BKA) - erstellt und verwaltet werden müssen: Um ihren Zweck zu erreichen, können solche Listen nicht öffentlich und transparent gehandhabt werden. Sie sind daher demokratisch nicht kontrollierbar. Malmström spricht statt dessen unentwegt davon, Europas BürgerInnen müßten Vertrauen haben, daß sie von der Polizei beschützt werden, denen der Datenschutz, die Privatsphäre und die Meinungsfreiheit eine Selbstverständlichkeit sei.
Der unter Malmström arbeitende Leiter der 'Abteilung Organisierte Kriminalität', Jakub Boratynski, verteidigt "Internet-Sperren gegen Kinderpornographie" mit dem Argument, der "Geschäftszweig Menschenhandel" mache mit dem Verkauf von Kindern große Umsätze. Ebenso sinnig wäre es, mit den entsprechenden Umsatzzahlen bei Phishisch-Angiffen auf Konten, Internet-Sperren statt Löschen in diesem Bereich zu propagieren. Unter Berufung auf die Internet Watch Foundation (IWF) erklärte Boratynski, daß weltweit 8844 "Instanzen" mit kinderpornografischen Inhalten so gespeichert seien, daß sie vielfach nicht gelöscht werden könnten. Hier sei es die Aufgabe von Internet-Sperren, die Ausbeutung zu erschweren. Ein Beweis für die Behauptung, daß Löschen nicht möglich sei, steht nach wie vor aus. Doch ungeachtet dessen wird die Pseudo-Argumentation pro Internet-Sperren von den Mainstream-Medien nach dem Vorbild tibetanischer Gebetsmühlen wiederholt und weiter verbreitet.
Gerade die aktuellen Vorgänge in Tunesien, Ägypten und anderen Ländern zeigen, wie wichtig das Internet für unabhängige und freie Nachrichten-Verbreitung ist. Doch offenbar sehen die Mainstream-Medien im Internet nur eine unliebsame Konkurrenz.
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
Unfähig zur Diskussion
Internet-Sperren und Cecilia Malmström (15.04.10)
Internet-Zensur nun aus Brüssel?
Vorwand Kinderpornographie und erschreckende
Ignoranz gegenüber Sachargumenten (29.03.10)
Internet-Sperren-Gesetz von der Leyens
soll gestoppt werden (27.12.09)
Demo "Freiheit statt Angst" in Berlin
20.000 gegen Überwachungswahn (13.09.09)
'aspekte'-Sendung mit Kritik an Internet-Sperren-Gesetz
Ex-Bundesverfassungsrichter Hoffmann-Riem
äußert schwerwiegende Bedenken (1.08.09)
Internet - Kinderpornographie
- Vorwand für politische Zensur
Anhörung im Bundestag (4.06.09)
Internet - Kinderpornographie
- Vorwand für politische Zensur
Regierung spricht von Gremium zur Kontrolle des BKA
(26.05.09)
Gegen politische Zensur des Internets
Online-Petition gegen Internetsperre
am ersten Tag mehr als 16.000 UnterzeichnerInnen
(5.05.09)
Mit Stop-Schild gegen Kinderpornos?
Arbeitskreis gegen Internetsperren und Zensur gegründet
(17.04.09)
Aufstehn für ein freies Internet
CCC will "Zensursula" besuchen (16.04.09)
wikileaks.de gesperrt
Beginn der Internet-Zensur in Deutschland? (11.04.09)
Hausdurchsuchung bei Inhaber der Domain wikileaks.de
Aktionismus gegen Kinderpornographie
als Vorwand für politische Zensur (25.03.09)
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von elektronischen Speichersystemen,
'Wikipedia' und Internet-Umfragen (3.03.2009)
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zielt auf Zensur des Internets
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für freie linke Nachrichten (1.02.09)