27.03.2011

Landtagswahl
Recycling in Baden-Württemberg

Recycling 2011 in Baden-Württemberg Stuttgart (LiZ). Eine Bemerkung Hegels aufgreifend bemerkte Karl Marx einmal, in der Geschichte ereigne sich zwar manches zwei Mal, jedoch "das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce." So kommt es nun in Baden-Württemberg zu einer Neu- auflage der "rot-grünen" Koalition, die auf Bundesebene zwischen 1998 und 2005 für eine Bestandsgarantie der Atomkaftwerke - getarnt als "Atom-Ausstieg", zwei Kriegsbeteiligungen der Bundeswehr - gerechtfertigt als "humanitäre Einsätze" und einen bis dahin beispiellosen Rückbau des Sozialstaats - gefeiert als "Arbeitsmarktreform" und etliche weitere Wohltaten für das Kapital verantwortlich war. Recycelt als "grün-rote" Koalition wird sie unter einem Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann nun "Stuttgart 21" durchzusetzen versuchen und die Anti-AKW-Bewegung lehren, daß gegen die Weisungsbefugnis eines Bundes-"Umwelt"-Ministers Röttgen in Baden-Württemberg kein AKW stillgelegt werden kann - selbst wenn dies von "Grün-Rot" beabsichtigt würde.

Hier zunächst das reale Wahlergebnis, das – im Gegensatz zu dem von den Mainstream-Medien veröffentlichten – den Anteil der NichtwählerInnen berücksichtigt:

 

reales
Wahlergebnis
veröffentlichtes
Wahlergebnis

NichtwählerInnen

33,8

 ---

"C"DU

25,8

39,0

"Grüne"

16,0

24,2

"S"PD

15,3

23,1

"F"DP

3,5

5,3

Linkspartei

1,9

2,8

Wie schon einmal vor knapp 13 Jahren jubelt die 'taz' und andere Mainstream-Medien beschwören angesichts inflationär eingesetzter Adjektive ein "doppelt historisches" Ereignis. Ines Pohl, Chefredakteurin der 'taz', ist nicht ganz so erfinderisch und verkündet "eine Revolution, die im ganzen Land ihren Widerhall finden wird." Dennoch ist die 'taz' ausnahmsweise einmal lesenswert, denn in einem der Jubel-Artikel versteckt findet sich eine Aussage Kretschmanns, mit der er in Hinblick auf "Stuttgart 21" bereits vorbaut: "Der Gedanke erfüllt mich mit Grausen, daß wir ein Projekt selber realisieren müssen, von dessen Unsinnigkeit wir seit 15 Jahren überzeugt sind. (...) Aber auch das gehört im Zweifel zur direkten Demokratie dazu." Es soll also niemand in ein paar Monaten kommen und sagen, es sei nicht vorherzusehen gewesen und die WählerInnen seien "verraten" worden. (Wer seine eigenen Überzeugungen verrät, müßte zuvor von irgendetwas überzeugt sein. Opportunisten haben keine Überzeugung. Und WählerInnen, die noch glauben, beim Bruch von Wahlversprechen handele es sich um Verrat, haben längst den Kontakt zur Realität verloren.) Wer diesmal nicht vor der Wahl bescheid wußte, wollte nicht bescheid wissen. Vielleicht bildet das baden-württembergische Wahlergebnis ja eine überdurchschnittliche Neigung der Menschen in Deutschlands Süd-Westen zum Masochismus ab?

Auch im Falle der Bundestagswahl im Jahr 1998 hätten die WählerInnen von "S"PD und Pseudo-Grünen wissen können, was auf sie zukommt. Gerhard Schröder hatte lange Jahre als Ministerpräsident in Niedersachsen beweisen dürfen, daß er die Richtlinienkompetenz des Kapitals zu beachten weiß, bevor er der doch ein klein wenig überraschten alten Tante "S"PD mittels Deutschlands meistverkauftem Toilettenpapier (das mit den vier Buchstaben!) als Kanzler-Kandidat aufgedrückt wurde. Auch von Jürgen Trittin, der schon unter Schröder in Niedersachsen als "Europa-Minister" gedient hatte, war kaum mehr ein "Verrat" zu erwarten. Joseph Fischer hatte bereits zwischen 1985 und 1987 als "Turnschuh-Minister" unter dem hessischen Ministerpräsidenten Holger "Dachlatte" Börner bewiesen, daß ihm selbst nach einer Reaktor-Katastrophe wie in Tschernobyl ein Ministersessel wichtiger ist als die Stilllegung des hessischen AKW Biblis - und: daß er über die schauspielerische Qualität verfügt, einen Rücktritt wegen Biblis anzudrohen, um dann doch im Amt zu bleiben.

Auch Winfried Kretschmann spielte schon damals in Hessen eine kleine Nebenrolle: Wie etliche andere KBW-GenossInnen, denen das Warten auf die "Weltrevolution" zu langweilig geworden war und die sich den "Realos" unter Joseph Fischer anschlossen, fand er als Sherpa des "Turnschuh-Ministers" einen lukrativen Job. Fischer war bekannt dafür, daß er alle, die sich ihm andienten, finanziell gut versorgte und so fand sich für Kretschmann ein Job als veritabler Ministerialrat.

Aber all das ist Geschichte - und manchmal muß sie sich offenbar als Farce wiederholen. Dabei wird auf der Freiburger Lokalbühne bereits seit 2002 ein Vorspiel geboten: 2002 wechselte der pseudo-grüne Fraktionsvorsitzende im baden-württembergischen Landtag, Dieter Salomon, als frischgewählter Oberbürgermeister nach Freiburg. Seitdem ist der Niedergang der einstmals als "Ökohauptstadt Deutschlands" gelobten Stadt zu beobachten. Kretschmann spielte auch hierbei eine kleine Nebenrolle: Er beerbte damals Salomon als Fraktionsvorsitzender.

Wenig beachtet wurde in der Öffentlichkeit die Rolle, die Kretschmann in der Vorbereitung der "Geißler-Schlichtung" spielen durfte. Bereits Anfang September vergangenen Jahres, als wöchentlich Zehntausende gegen "Stuttgart 21" auf die Straße gingen, versuchte Kretschmann die Bewegung zu spalten. Während noch ein allgemeiner Konsens bestand, daß eine Teilnahme an dem von Ministerpräsident Mappus und Bahn-Chef Rüdiger Grube angebotenen "Runden Tisch" nur bei einem Bau-Stop in Frage käme, warb Kretschmann für eine Teilnahme. Auch der pseudo-grüne Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer, der noch im August gesagt hatte, ein Bau-Stop sei unabdingbare Voraussetzung für Gespräche, stellte sich nun auf die Seite Kretschmanns. Allerdings erklärte der "grüne" Verkehrsexperte und Fraktions-Chef im Stuttgarter Gemeinderat, Werner Wölfle, zu diesem Zeitpunkt noch, daß Gespäche ohne einen vorherigen Bau-Stop keinen Sinn machen: "Sonst macht niemand mit."

Doch die 'Süddeutsche Zeitung' hatte bereits am 31. August in einer Schlagzeile verkündet: "Stuttgart-21-Gegner auch ohne Baustopp zu Gespräch bereit". Das dauerte dann jedoch noch einige Wochen. Erst nach dem "blutigen Donnerstag", als es am 30. September bei einem brutalen Polizei-Einsatz zu vielen Verletzten gekommen war und Mappus dringend aus der Ecke geholt werden mußte, in die er sich selbst manövriert hatte, als in den ersten Oktober-Wochen die Beteiligung an den Demos auf über 110.000 Menschen stieg und eine Bauplatzbesetzung nur noch eine Frage der Zeit war, setzte Kretschmann mit einigen willigen HelferInnen den "runden Tisch" mit dem von ihm vorgeschlagenen "Schlichter" Heiner Geißler durch.

Am 15. Oktober fanden sich einige FunktionärInnen bereit, darunter auch Werner Wölfle, ohne Vorbedingung eines Bau-Stops an dem abgekarteten Schauspiel teilzunehmen. Selbst als am 17. November durch eine Veröffentlichung des 'stern' bekannt wurde, daß sich die Bahn nicht an die zugesagte Transparenz bei den Planungsunterlagen gehalten hatte, stieg niemand der von den Mainstream-Medien als VertreterInnen der Bewegung gegen "Stuttgart 21" dargestellten HelferInnen Kretschmanns aus dem Schlichtungs-Zirkus aus. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war offenkundig, daß es sich bei der "Geißler-Schlichtung" um eine Farce handelte. Das Ergebnis dieser "Schlichtung", das Geißler zwei Wochen darauf verkündete, konnte ernstlich niemanden mehr überraschen.

Nach dem ruhmlosen Ende von "Rot-Grün" im Jahr 2005 rechtfertigten immer noch etliche "gutgläubige" WählerInnen der Pseudo-Grünen, die nicht zuletzt auch in ökologischer Hinsicht negative Bilanz. In Umkehrung der "realpolitischen" Weisheit, daß der kleinere Koalitionspartner schließlich nicht alles Wünschenswerte durchsetzen könne, erklärten sie, dieser habe halt nicht alles verhindern können...

Zur Qualität der bevorstehenden Farce wird nun der Umstand beitragen, daß Kretschmann in der "grün-roten" Koalition der "Koch und nicht der Kellner" (Schröder zu Fischer) sein wird. Doch auch auf solcherart vorweggenommene Schuld- zuweisungen bereitet sich das Duo Kretschmann/Schmid bereits vor und verkündet nahezu in jedem Interview, es wolle "auf gleicher Augenhöhe" regieren. Dieser Spruch wird allerdings bald vergessen sein, wenn es - ähnlich wie zuletzt in Hamburg - darum gehen wird, wo der "schwarze Peter" am Ende verbleibt.

Kretschmann weiß jetzt schon genau, was auf ihn zukommt, denn auffällig vermied er in den vergangenen Wochen - anders als seine pseudo-grünen ParteifreundInnen in Hamburg im Wahlkampf 2008 - jede konkrete Festlegung bei "Stuttgart 21". Aus seinen Lehrjahren in den 1980er Jahren unter Joseph Fischer (Doppelspiel mit dem damaligen Bundes-Atom-Minister Walter Wallmann) weiß er auch genau, daß er sich niemals ernsthaft mit dem Energie-Konzern und AKW-Betreiber EnBW wird anlegen müssen, da der heutige Bundes-Atom-Minister Norbert Röttgen jede publikumswirksame Verfügung gegen ein AKW mit seinem Weisungsrecht aufheben kann - so wie seinerzeit Wallmann die Verfügungen Fischers aufheben konnte. Und Kretschmann wird - nach dem Vorbild anderer Ministerpräsidenten - einige "Wohltaten" ausstreuen wie etwa einen weniger stark als bislang gebremsten Bau von Windkraftwerken und damit versuchen, "Stuttgart 21" und die Atomkraftwerke Neckarwestheim und Philippsburg vergessen zu machen.

So werden denn auch in einigen Monaten etliche Unentwegte weiterhin meinen, Kretschmann habe sich zwar "strebend bemüht", doch leider das Gewünschte beim besten Willen nicht erreichen können und andere werden einmal wieder "Verrat" vermuten. Wie viele das dann noch sind, wird sich zeigen.

 

LINKSZEITUNG

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Landtagswahl
      Rheinland-Pfalz bleibt schwarz (27.03.11)

      Linkspartei Brandenburg weiter auf Rechtskurs
      Wirtschaftsminister Christoffers setzt sich mit CCS durch
      (7.03.11)

      Parteitag der Pseudo-Grünen
      Gorleben als Verhandlungsmasse (21.11.10)

      "Bundeshauptstadt im Klimaschutz 2010"
      Wie kommt Freiburg zu der Ehre? (26.10.10)

      Freiburg bleibt schwarz
      Salomon knapp über 50 Prozent (25.04.10)

      Verwelkter Lorbeer
      Freiburg war einmal Ökohauptstadt (10.09.07)

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      zum 14-jährigen Jubiläum (20.09.04)