5.03.2010

Katholische Kirche
und Glaubwürdigkeit:

Systematischer Mißbrauch in Klosterinternat Ettal
Sex-Skandal im Vatikan

Joseph Ratzinger alias Benedikt XVI Rom / Regensburg (LiZ). Der von der Klosterleitung berufene externe Ermittler, Münchner Rechtsanwalt Thomas Pfister, berichtete heute (Freitag) von einem aktuellen Fall, in dem ein Klostermitglied gestand, Kinderpornos heruntergeladen und früher Fotos halbnackter Schüler auf eine Internetseite für Homosexuelle gestellt zu haben. Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft. Bislang hatte es immer wieder beschwichtigend geheißen, es habe sich lediglich um Vergehen Einzelner gehandelt. Bei der Vielzahl der Fälle erscheint dies immer unglaubwürdiger, zumal sich auch diejenigen schuldig gemacht haben, die durch Unterlassen zum jahrzehntelangen Fortbestehen der unhaltbaren Zustände beitrugen.

Laut Pfister habe es früher deutlich mehr als zehn Patres gegeben, die systematisch geprügelt hätten. Auch die Zahl der Opfer gewalttätiger Ettaler Patres ist inzwischen deutlich gestiegen. Pfister liegen mittlerweile Hinweise auf rund 100 Betroffene vor. Er zitierte Opfer, die von "voll durchgezogenen" Schlägen oder Massenbestrafungen für Nichtigkeiten und anderen massiven Vergehen berichteten. Übergriffe bis hin zur Prügelstrafe seien "tägliche Praxis" gewesen. In dem Kloster wurden Schüler "über Jahrzehnte hinweg massiv mißhandelt", so Pfister.

Der Cellerar (Verwaltungsleiter) des Ettaler Klosters, Pater Johannes Bauer, räumte auf der heutigen Pressekonferenz ein, selbst in den 1980er-Jahren zugeschlagen zu haben. "Neben anderen Mitbrüdern war auch ich selbst in den Jahren 1985 bis 1987 Erzieher im Internat und habe damals, das muß ich zu meiner eigenen Schande offen sagen, ebenfalls Kinder brutal körperlich mißhandelt und gedemütigt." Er habe Kinder mit der Hand, aber auch mit einem Kleiderbügel verprügelt. Pater Johannes Bauer sagte, die Fakten in Pfisters vorläufigem Bericht seien für seine Gemeinschaft "schockierend und zutiefst beschämend". Die Ettaler Benediktiner bäten alle Schüler und Eltern um Verzeihung. Pfister zitierte aus mehreren Schreiben, in denen frühere Schüler von ihren traumatisierenden Erfahrungen berichteten. Möglicherweise wurde auch ein Pater sexuell mißbraucht. Er sei mit einem früheren Ettaler Pater im Gespräch, der sich an ihn gewandt habe, berichtete Pfister.

Ein inzwischen gestorbener Pater behauptete in seinem schriftlichen Nachlaß, Schüler seien regelmäßig auch nachts zu ihm gekommen und hätten "sexuell stimulierenden Körperkontakt" gesucht, den er "nicht unterbunden" habe. Ein anderer Pater habe ein sexuelles Verhältnis zu einer 16-jährigen Schülerin gehabt, wie Pfister berichtete.

Laut Pfister soll es aber eine "Zäsur" im Jahr 1990 gegeben haben, so daß heute viele der Vergehen verjährt seien. In der Zeit vor 1990 habe es in Ettal eine "systematisch praktizierte Kultur des Schweigens und des Wegsehens" gegeben, eine falsch verstandene Solidarität der Verantwortlichen im Kloster mit in Verdacht geratenen Patres. Die Schüler waren in folge dessen gewalttätigen und sadistischen Patres hilflos ausgeliefert. Pfister meint, daß diese Vergehen wahrscheinlich zu jahrelangen Haftstrafen geführt hätten, wenn sie vor weltlichen Gerichten verhandelt worden wären. Zugleich erklärte Pfister: "Das Kloster Ettal von heute hat mit Kloster Ettal von damals wenig zu tun." Trotz der Vielzahl von Fällen körperlicher und sexueller Gewalt dürfe die Benediktinerabtei nicht als Gemeinschaft prügelnder und mißbrauchender Klosterbrüder gesehen werden.

Offenbar liegen jedoch nicht alle Fälle vor 1990. Die Staatsanwaltschaft ermittelt in drei jüngeren Fällen: Einem Verdacht auf sexuellen Mißbrauch aus dem Jahr 2005, dem eingangs genannten Fall von Kinderpornographie und in einem Fall von Gewalttätigkeit gegen zwei Schüler aus dem Jahr 2009. Daß es keineswegs eine Zäsur gab, zeigt ein Eklat, der sich auf der heutigen Pressekonferenz zutrug. Der kommissarische Schulleiter versuchte die geschilderten Gewalttätigkeiten aus dem Jahr 2009 herunterzuspielen: Es habe sich nur um "leichte Kopfnüsse" gehandelt. Pfister widersprach ihm entschieden und warf ihm Vertuschung vor.

Der Münchner Generalvikar Peter Beer sagte im Namen von Erzbischof Reinhard Marx, er begrüße die großen Anstrengungen der Ettaler Mönche und der Schul- und Internatsleitung für eine rückhaltlose Aufklärung aller Vorwürfe. "Es ist unser gemeinsames Ziel, den Opfern von sexuellem Mißbrauch und Gewalt Gerechtigkeit widerfahren zu lassen." Die Erzdiözese sei zuversichtlich, daß der Abtei eine Neuorientierung gelinge.

Weitere Enthüllungen gab es im Fall der 'Regensburger Domspatzen', einem Jungen-Chor. Nachforschungen des Bistums ergaben, daß 1958 der damalige Präfekt am Musikgymnasium Regensburg aus dem Dienst entfernt wurde. Laut einem damaligen Pressebericht soll der 1984 gestorbene Geistliche bei "unsittlichen Handlungen" mit Schützlingen ertappt und den Recherchen des Bistums zufolge zu zwei Jahren Haft verurteilt worden sein. Auch ein Ex-Internatsleiter des Jungen-Chors soll demnach 1971 wegen eines Übergriffs zu elf Monaten Haft verurteilt worden sein. Die Tat soll der ebenfalls 1984 gestorbene Geistliche vor 1969 verübt haben.

Der Bruder von Papst Benedikt XVI., Georg Ratzinger, war von 1964 bis 1994 Leiter der 'Regenburger Domspatzen'. Der heute 86-Jährige sagte gegenüber dem 'Bayerischen Rundfunk', er habe "keine Kenntnis" über Mißbrauchsfälle.

Im Bistum Regensburg rief die Beauftragte zur Aufklärung sexuellen Mißbrauchs, Birgit Böhm, alle Betroffenen auf, sich für eine umfassende Aufklärung zu melden. "Wir möchten ermutigen, Leid beim Namen zu nennen, zu bearbeiten und auf diese Weise Schmerzen zu lindern und aufzulösen", sagte Böhm. Untersucht werden sollen auch Verdachtsfälle auf Mißhandlung im Weidener Studienseminar und in Etterzhausen, wo Dritt- und Viertklässler auf ihre Karriere bei den 'Regensburger Domspatzen' vorbereitet wurden.

Ebenfalls heute wurden mutmaßliche Mißbrauchsfälle aus dem Bistum Fulda bekannt. Dort werden ein Priester, ein Lehrer und ein ehrenamtlicher Mitarbeiter eines Jugendverbandes beschuldigt, sich an Minderjährigen vergriffen haben.

Bereits am Mittwoch berichtete die renommierte italienische Zeitung 'Repubblica' über einen Sex-Skandal im Vatikan. Ein Chor-Sänger der 'Capella Giulia', dem zweitwichtigsten vatikanischen Chor nach den Sängern der Sixtinischen Kapelle, soll männliche Prostituierte vermittelt haben. Zu seinen Klienten gehörte angeblich auch ein Mann aus dem direkten Umfeld von Papst Benedikt XVI. Der Sänger Chinedu Ehiem habe dem Präsidenten des obersten Rates für öffentliche Arbeiten, Angelo Balducci, regelmäßig gegen Bezahlung immer neue Sex-Partner zugeführt. Balducci zählt zur auserlesenen Gruppe der "Gentiluomini di Sua Santità", der "Ehrenmänner Seiner Heiligkeit" des Papstes. Bei besonderen Anlässen war Balducci als ehrenamtlicher Diener in der Residenz von Papst Benedikt XVI. tätig. Der Posten ist heiß begehrt: 147 "Ehrenmänner" zählt der Vatikan derzeit, davon 114 Italiener. Neben dem alten römischen Adel der Orsini oder Colonna ist auch der heutige Geldadel stark vertreten.

Mittlerweile berichtete auch der britische 'Guardian' über den Sex-Skandal. Der Zeitung liegen Tonband-Aufzeichnungen der italienischen Polizei vor, auf denen Telefonate zwischen Balducci und Ehiem festgehalten wurden: "Ich habe deinen Anruf gesehen, als ich mit dem Chor im Petersdom probte..." Ehiem offeriert Balduci einen männlichen Prostituierten, "zwei Meter groß, 97 Kilogramm schwer, 33 Jahre alt. Im Vergleich zu dem bin ich bloß normal ausgestattet, er hat einen unglaublichen Körper. Ab zehn Uhr hat er Zeit (...)"

Laut Darstellung der britischen Zeitung hat Balducci mehrfach die Dienste männlicher Prostituierter in Anspruch genommen. Ehiem bot reichlich Auswahl: "Ich habe da einen aus Neapel, einen Kubaner, einen Deutschen, gerade aus Deutschland eingetroffen, zwei Schwarze, einen Fußballer, einen Tänzer der RAI (des staatlichen Fernsehens, Anm. d. Red.)", heißt es laut der Tageszeitung 'Libero' in den Tonband-Aufzeichnungen. Zu den Prostituierten soll ein Mann gehören, der gerade die Ausbildung zum Priester absolviert. Auch die 'New York Times' zitiert Balducci unter Berufung auf die italienischen Telefon-Aufzeichnungen mit den Worten: "Um welche Zeit muß er wieder im Seminar sein?"

Anfang Februar war Balducci wegen Korruption festgenommen worden. Als Staatsbeamter und ehemaliger stellvertretender Chef des Zivilschutzes soll er systematisch Bauaufträge des italienischen Zivilschutzes verschoben haben soll, zum Beispiel nach dem Erdbeben von L'Aquila, aber auch für den G8-Gipfel von 2009. Im Zuge dieser Ermittlungen stießen die Fahnder nun auf den Skandal um den Prostituierten-Ring.

Neben all diesen neuen Skandalen sollte einer der größten Skandale der katholischen Kirche nicht vergessen werden: Nach wie vor spricht sich der Papst gegen den Gebrauch von Kondomen aus und ist damit mitverantwortlich für den Tod unzähliger Menschen nicht nur in Afrika.

 

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Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Bischof für schnellen Atomausstieg
      "Nie vollständig im Griff" (3.03.10)

      Pädophilie-Affaire der katholischen Kirche
      Geheimschreiben aus dem Jahr 2001
      belastet Papst Benedikt XVI. (22.02.10)